"Auch die Idioten haben Meinungsfreiheit"

18.09.2012
Den Befürwortern eines Vorführungsverbots wirft der Schriftsteller Michael Kleeberg Feigheit und vorauseilendes "Appeasement" vor. Die Proteste in einigen islamischen Ländern hätten überdies nur "sehr bedingt" mit dem Video zu tun.
Jan-Christoph Kitzler: Das wünscht sich jeder Künstler, dass sein Werk große Gefühle auslöst – aber ist der Film mit dem Titel "Die Unschuld der Muslime" wirklich Kunst, einfach nur eine freie Meinungsäußerung in einer freien Welt, oder geht es am Ende doch nur darum, religiöse Gefühle zu verletzen und zu beleidigen?

Die Provokation jedenfalls, wenn sie denn so ausdrücklich gemeint ist – das, wovon wohl man ausgehen muss –, sie funktioniert. In der islamischen Welt greift ein wütender Mob westliche Botschaften an, angeheizt von islamistischen Hasspredigern, geht auf die Straße zu Zehntausenden. Und nun droht das ganze auch überzuschwappen, nach Deutschland möglicherweise: Die Krawalltruppe pro NRW will diesen Film öffentlich in einem deutschen Kino zeigen, hofft auch hier auf den Mediencoup und auf große Emotionen.

Und jetzt tobt ein Streit darüber, wie man umgehen soll mit radikaler Islamkritik. Darüber spreche ich jetzt mit dem Schriftsteller und Übersetzer Michael Kleeberg, der sich immer wieder auch in politische Debatten einschaltet. Schönen guten Morgen!

Michael Kleeberg: Guten Morgen!

Kitzler: Innenminister Friedrich überlegt ja nun, die Vorführung des Films in einem deutschen Kino zu verbieten. Seine Begründung ist – in die Richtung geht es –, die öffentliche Sicherheit ist in Gefahr. Ist das ein legitimes Argument in diesem Fall?

Kleeberg: Finde ich, offen gestanden, ein ziemlich schreckliches Argument, wenn deswegen die öffentliche Sicherheit in Gefahr wäre. Da müssten wir uns wirklich mal fragen, warum die denn in Gefahr wäre. Also ich meine, Meinungsfreiheit ist ja ein hohes Gut der Demokratien. Wir dürfen nur nicht vergessen, Meinungsfreiheit gilt nicht nur für intelligente Meinungen. Auch die Idioten haben Meinungsfreiheit, andernfalls würde übrigens eine himmlische Ruhe über diesem Land herrschen. Aber wie gesagt, Meinungsfreiheit ist im Allgemeinen nicht teilbar in die bequeme und die unbequeme, die gute und die schlechte Meinungsfreiheit.

Kitzler: Aber man hat ja da schon den Eindruck, die Meinungsfreiheit wird missbraucht für Hetze.

Kleeberg: Ja, interessanterweise scheint ja immer ein großer Unterschied zu bestehen bei der Frage, wem man nun sozusagen Spott, Kritik oder Hetze – ich kenne nun dieses Video nicht, gehe aber mal davon aus, nach allem, was ich gehört habe, dass es ziemlich idiotisch ist. Aber die Frage ist ja, die sich immer stellt, wem kann man so etwas zumuten, wem kann man es nicht zumuten.

Es ist ein Reflex, und bevor wir jetzt über Deutschland reden, müssen wir ja mal darüber reden, was hier orchestriert in den letzten Tagen in der islamischen Welt überall passiert ist, das hat ja in diesem Falle nur ganz bedingt und indirekt mit diesem Video zu tun. Denn der orchestrierte Mob, der in diesen verschiedenen Ländern eingesetzt worden ist für Demonstrationen, für das übliche Fahnenverbrennen, für das übliche Gebrülle und Geschreie, was dann immer in die Medien kommt, aber eben vor allem auch tatsächlich hin bis zum Mord geführt hat, das hatte ja mit dem Video nur sehr bedingt zu tun. Das Video ist ja nur ein Aufhänger. Keiner dieser Leute hatte in dem Moment, wo die Stürme auf die Botschaften losgingen, dieses Video jemals gesehen.

Wir haben also in der islamischen Welt alle möglichen Machtgruppen. Und um nichts anderes als Macht geht es dann dort auch, die das rituelle Beleidigt-Sein der Muslime – und das hat ja nun eine lange und traurige Geschichte – immer ausnutzen, um hier und da ganz bestimmte Machtdemonstrationen zu machen.
Wenn wir in die Geschichte zurückgehen, dann ist uns das im Westen das erste Mal aufgefallen mit der Fatwa gegen Salman Rushdie. Vielleicht sollten wir da bleiben, und auch da gab es ja bei uns damals Leute, die gesagt haben, o Gott, o Gott, das ist ja vielleicht auch nur ein Machwerk und beleidigt die Muslime.

Dann haben wir den berühmten Fall der dänischen Karikaturen gehabt, auch da ist in vorauseilendem Appeasement bei uns zu Lande wieder eine ganze große Gruppe gewesen, die gesagt hat, um Gottes willen, wir dürfen die Muslime nicht beleidigen lassen.

Interessant ist der Grund, der dahintersteckt und der jetzt auch hinter solchen Überlegungen wie denen des Innenministers steckt, und der jetzt auch beispielsweise hinter solchen Meinungen steckt wie denen von Frau Roth von den Grünen, die einen Aufstand der Zivilgesellschaft will, und zwar nicht etwa gegen womöglich hier in den Straßen randalierende und deutsche Fahnen verbrennende junge Muslime, sondern wohlgemerkt gegen die Ausstrahlung eines Films, so blödsinnig er auch sei. Das einzige, was man hoffen könnte und was eigentlich auch einer reifen Demokratie angemessen wäre, ist, dass irgendein idiotischer Verleiher einen idiotischen Film in die Kinos bringt, und keiner schaut ihn sich an. Das wäre sozusagen normal.

Kitzler: Es gibt ja vielleicht so was wie eine vorauseilende Angst, kann man sagen. Sie haben den Fall Rushdie angesprochen, heute erscheint seine Autobiografie, und er hat in diesem Zusammenhang auch gesagt, na ja, heute hätte sein Buch, weil sich das Klima geändert habe, es deutlich schwerer, veröffentlicht zu werden. Muss sich der Westen wieder mehr wehren, kann man das so sagen?

Kleeberg: Na, sagen wir mal so, gestern hat zu diesem Fall, gab es einen hochinteressanten Kommentar in der "Welt" von Henryk M. Broder, mit dem man nicht immer einer Meinung sein muss, aber manchmal bringt er die Dinge auf den Punkt.

Und er sagt eben, all diese Leute, die sagen, die argumentieren, die Muslime könnten die Beleidigung ihrer Religion nicht aushalten, man müsse ihnen noch etwas Zeit lassen, sie seien noch nicht so weit, und er sagt – ich zitiere also: "Wer so argumentiert, ist nicht nur ein Kulturrelativist, er ist ein subtiler Rassist. Er müsste konsequenterweise den Muslimen auch raten, längere Strecken mit dem Kamel statt mit dem Flugzeug zurückzulegen." Und er sagt dann: "Wer aber Reisen im Internet bucht und dann nach München oder Zürich fliegt, um sich dort in einer Klinik behandeln zu lassen, dem kann auch zugemutet werden, dass er nicht ausrastet, wenn seine Religion ins Lächerliche gezogen wird." Dazu darf ich dann vielleicht mal sagen, ich bin nun zufällig Christ, und Sie wissen ja, in den letzten Wochen gab es doch diese, wie ich finde, ziemlich erbärmlichen und widerlichen Beleidigungen von der Satirezeitschrift "Titanic", die den Papst, also Papst Benedikt irgendwie als sabbernden, …

Kitzler: … inkontinenten …

Kleeberg: … inkontinenten – also bitte schön, ich finde das auch geschmacklos, geschmackloser und dämlicher und beleidigender für jemanden, der glaubt, kann auch dieses Video nicht sein.

Kitzler: Das heißt also …

Kleeberg: Ich bin nun auch nicht irgendwo da raus gelaufen und habe angefangen, Molotow-Cocktails auf die Redaktion der "Titanic" zu schleudern.

Kitzler: Das heißt also, solche Kritik muss man aushalten. Die Frage ist ja nun aber, als Intellektueller hat man das Problem, man verteidigt die Freiheit, die Meinungsfreiheit, die Sie als unteilbar bezeichnen – natürlich auch zu Recht –, für ein solches Machwerk, für einen solchen Film. Kommt man dann nicht ein bisschen in Konflikte?

Kleeberg: Ein solcher Film ist natürlich mit größter Wahrscheinlichkeit eine dumme Provokation. Im Übrigen, Mohammed war eine historische Gestalt – Sie können bei Wikipedia problemlos lesen, was man über ihn weiß, die Geschichte seines Lebens, seine Heiraten, seine Kriegszüge et cetera, et cetera. Die Religion sozusagen überhaupt in den Mund zu nehmen – jetzt rede ich nicht von dem Video –, darf kein Problem mit sich bringen der Aggressivität oder so.

Das Problem allerdings des politischen Islams ist natürlich genau das, dass er im Gegensatz zum Christentum, das als politische Kraft irgendwann aufgehört hat, gefährlich und mörderisch zu sein durch 500 Jahre Aufklärung und eigene Aufklärung, diese sozusagen Selbstreflexion, die steht dem politischen Islam noch bevor. Problem ist aber jetzt, um auf Deutschland zurückzukommen, …

Kitzler: Aber nur ganz kurz, wir haben nicht mehr viel Zeit.

Kleeberg: Ja, das wirkliche Problem ist dieses vorauseilende Appeasement bis hin zur Feigheit. Und man will ja nun diesen Film nicht eventuell verbieten, weil er derartig undemokratisch wäre, sondern weil man natürlich eine Angst hat vor einer potentiell unkontrollierten Menge aus jugendlichen, latent aggressiven Muslimen auch bei uns. Und wenn Sie da drüber nachlesen wollen, was der wirkliche Skandal ist, dann müssen wir, glaube ich, in das Buch von Herrn Buschkowsky reinschauen, dem Bezirksbürgermeister von Neukölln.

Kitzler: Okay, das schaffen wir jetzt aber nicht mehr. Das war der Schriftsteller und Übersetzer Michael Kleeberg über den Umgang mit Islamkritik. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Kleeberg: Danke schön!


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