"Auch der Regen"

Von Hans-Günter Kellner · 08.01.2011
In Spanien und Frankreich ist "Auch der Regen" (Originaltitel: También la lluvia) gerade angelaufen. Die Regisseurin Iciar Bollaín erzählt die Geschichte eines spanischen Filmteams in Bolivien, das in den Widerstand der Bevölkerung gegen die Privatisierung der Wasserwirtschaft hineingerät.
Gold – das ist das Zauberwort, das schon Kolumbus in den Ohren klang. Für Gold haben die Spanier die indigene Bevölkerung zu hohen Tributen gezwungen, misshandelt und getötet. In Spanien wird Kolumbus bis heute jedoch oft noch ganz anderes gesehen, erklärt die spanische Regisseurin von "También la lluvia", Iciar Bollaín:

"In Spanien wird immer nur von Kolumbus als dem großen Seefahrer gesprochen, dem Visionär, dem Entdecker. Aber Kolumbus trieb auch als erster Zwangssteuern ein, beutete die Menschen aus, bestrafte sie, wenn sie nicht genug Gold ablieferten. Das ist die eine unterbelichtete Seite der Geschichte. Aber die andere sind die Dominikanermönche Bartolomé de las Casas und Antonio Montesinos. Die werden in Spanien überhaupt nicht gewürdigt, dabei waren sie die ersten Stimmen, die Menschenrechte für die "indios" forderten."

Mit einer beeindruckenden Predigt prangert der Dominikanermönch Antonio Montesinos in dem Film die Verbrechen der Kolonialmacht an der indigenen Bevölkerung an. Obwohl die spanische Krone ihn aufforderte, zu widerrufen, hielt er die Predigt immer wieder. Die Schriften der Dominikanermönche, die sich für die "indios" einsetzten, waren in Spanien 300 Jahre lang verboten. Noch zu Francos Zeiten erklärten Historiker diese Mahner für geisteskrank. Die spanischen Zuschauer erfahren aber noch mehr über ihre Geschichte:

"Und was der Film auch würdigt, und was in Spanien auch völlig ausgeblendet wird, ist der indigene Widerstand gegen die Spanier fast von Anfang an. Im Film sprechen wir von Hatuey, der in Lateinamerika sehr bekannt ist. Aber es gab noch mehr, auch eine Frau Anacaona. Viele Menschen leisteten Widerstand. Das alles finde ich faszinierend."

Wer in Spanien heute fordert, man möge der Opfer der eigenen Geschichte gedenken, dem wird oft geantwortet, das Land könne sich doch nicht für die Entdeckung Amerikas entschuldigen. Mit dem beschönigenden Blick auf die eigene koloniale Vergangenheit stehe Spanien nicht allein, meint Bollaín. Auch französische oder britische Schüler könnten noch heute in den Schulbüchern lesen, dass die Kolonialmächte allein Demokratie und Kultur exportiert hätten. Doch auch in Lateinamerika wird die Geschichte in sehr groben Rastern erklärt, sagt der Mexikaner Gael García Bernal, einer der Hauptdarsteller im Film:

"Für uns Lateinamerikaner erzählt der Film erst einmal nichts Neues. Die Grausamkeit der Spanier, der Widerstand der Opfer, der 'indios'. Schmerzhaft ist aus lateinamerikanischer Sicht an dem Film etwas ganz anderes: Wir sind die Kinder dieser Geschichte. Man kann nicht sagen, die Spanier von heute sind die Schuldigen, ihre Vorfahren sind ja hier in Spanien geblieben. Während ein Teil meiner Vorfahren sicher diese 'Conquistadores' waren und dieses gewalttätige Zusammentreffen verursacht haben. Auf der anderen Seite ist diese Verschmelzung zwischen Entdecker und Entdeckten doch auch etwas Positives, was es in nur wenigen Kolonialprozessen der Welt gegeben hat."

"También la lluvia" ist nicht noch ein Film über Kolumbus. Iciar Bollaín und Drehbuchautor Paul Laverty erzählen vielmehr die Geschichte eines spanischen Filmteams, das im Jahr 2000 nach Bolivien fährt, um dort einen Film über die Entdeckung Amerikas zu drehen. Dabei wird das Team in den Widerstand der Bolivianer gegen die Privatisierung der Wasserversorgung verwickelt. Daher Filmtitel, in deutscher Übersetzung "Auch das Regen". Damals ging es gegen einen US-amerikanischen Konzern, doch aus welchem Land die neuen Ausbeuter kommen, ist nebensächlich, sagt Iciar Bollaín:

"Drei Jahre nach diesem Wasserkrieg gab es in Bolivien schwere Auseinandersetzungen mit vielen Toten wegen der Verstaatlichung der Gasvorkommen. Da war der spanische Mineralölkonzern Repsol beteiligt. Die Konzerne sind multinational, sie sind gegenüber ihren Aktionären verantwortlich. Davon erzählt der Film: Ist es erlaubt, dass Aktionäre in New York, London oder Madrid sich bereichern am Handel mit einem so essenziellen Gut wie es das Trinkwasser ist? Das ist die Frage."

Iciar Bollaín hält ihren Landsleuten - den Spaniern – mit dem Film einen Spiegel vor. Den Lateinamerikanern zeigt sie, dass der Kampf um die Unabhängigkeit mit der Loslösung des Kontinents von der Kolonialmacht vor 200 Jahren längst noch nicht abgeschlossen ist. Bei alledem zeichnet die Regisseurin kein Schwarz-Weiß-Raster von Gut und Böse. Sie bewegt sich durchaus in Grauzonen. Vom Stempel "Sozialkino" will sie nichts wissen:

"Mein Antrieb ist eher die Neugier auf ein Thema. Mir geht es nicht um das Anprangern. Bei meinem Film über die Gewalt gegen Frauen wollte ich einfach verstehen, wie es möglich ist, dass eine Frau zehn, 15 Jahre die Schläge aushält. Es stellen sich in meinen Filmen viele Fragen. Das Etikett der Kämpferin gegen Missstände will ich nicht, außerdem ist es gefährlich. Wenn Du mich an einem Freitagabend fragst, ob wir uns einen "Sozialfilm" ansehen wollen, bin ich mir nicht so sicher, ob ich mitkomme. Gutes Kino ist einfach gutes Kino, und politisch ist Film auf eine gewisse Weise immer."

Der Film läuft in Spanien und Frankreich bereits und ist von den Kritikern sehr gelobt worden. Die spanische Filmakademie hat ihn für den Oscar vorgeschlagen und er stößt auch auf großes internationales Interesse. Gute Chancen also, dass der Film eine Debatte um die spanische Geschichte anstößt. Die Botschaft kommt an, zumindest bei den ersten Zuschauern in einem Madrider Kino:

"Es müsste viel mehr solcher Filme geben. Das ist ein wichtiges Thema zwischen Lateinamerika und Spanien. Ich hoffe, dass der Film auch in Lateinamerika erfolgreich ist. Die Menschen dort sollen wissen, dass hier darüber nachgedacht wird, und wir uns auf eine gewisse Weise auch schuldig fühlen."

"Sehr gut hat uns dieser Film gefallen, dieser Aufschrei gegen die Barbarei. Ich weiß nicht, ob das die offizielle Geschichtsschreibung beeinflussen wird, aber das Geschehene darf man nicht vergessen - auch nicht dass diese Leute bis heute ausgebeutet werden, von Spanien und dem Rest der Welt."