Attac: "G8-Gipfel ist ein Auslaufmodell"

Hendrik Auhagen im Gespräch mit Ulrike Timm · 06.07.2009
Das globalisierungskritische Bündnis Attac misst dem am Mittwoch beginnenden G8-Gipfel keine große Bedeutung zu. Es seien keine Proteste geplant, sagte Hendrik Auhagen von Attac Deutschland. In Italien treffe sich ein "Kreis von Versagern". Entscheidend sei vielmehr der G20-Gipfel im Herbst in Pittsburgh.
Ulrike Timm: Ab Mittwoch tagen die Regierungschefs der G8 im italienischen L’Aquila. Sie reden über Finanzkrise, Klimawandel und soziale Verantwortung und sie können das wohl ziemlich ungestört tun. Anders als in Heiligendamm oder Genua sind diesmal keine großen Proteste angekündigt, kein Zeltlager, kein Gegengipfel, keine Großdemonstration – nichts davon. Erstaunlich, denn das viel kritisierte internationale Finanzsystem zum Beispiel ist doch inzwischen wirklich in Teilen kollabiert. Und nu? Über allen Gipfeln ist Ruh? Frage dazu an Hendrik Auhagen, er ist Mitglied des Koordinierungskreises der globalisierungskritischen Bewegung Attac, schönen guten Morgen, Herr Auhagen!

Hendrik Auhagen: Guten Morgen!

Timm: Warum liegt Attac den Staatschefs in L’Aquila nicht stärker in den Ohren?

Auhagen: Das kann man gut mit der Natur von Attac erklären und auch dem, was ich das "Wunder von Attac" bezeichnen würde.

Timm: Wie meinen Sie das?

Auhagen: Attac ist ja eine kleine Organisation mit 20.000 zahlenden Mitgliedern und in normalen Zeiten wenigen hundert Aktivisten, aber die ehrenamtlich, also ohne Bezahlung, tätig sind. Und dass diese Organisation es geschafft hat, bei Heiligendamm bis zu 80.000 Demonstranten auf die Beine zu bringen oder in der Kampagne gegen die Bahnprivatisierung gegen milliardenschwere Plünderungsinteressen erfolgreich angehen konnte und die Bahnprivatisierung zumindest hinauszögern konnte, das ist ja ein Wunder. Eine so winzige Organisation und so große Wirkung!

Timm: Sie reden jetzt von Attac Deutschland mit seinen 20.000 Mitgliedern. Ich rede natürlich von Attac weltweit, das in Heiligendamm oder auch in Genua für große Aufmerksamkeit gesorgt hat. Gibt es vielleicht eine gewisse Beißhemmung, seit Italiens Ministerpräsident und auch Fernsehmann Berlusconi die Kulisse gewechselt hat, also – Erdbebengebiet L’Aquila statt Trauminsel, Kasernenunterbringung statt Kreuzfahrtschiff für die Staatschefs? Mag man da nicht so meckern?

Auhagen: Nein. Das ist überhaupt kein Grund, im Gegenteil, das ist ja geradezu zynisch, in einem Erdbeben-, in einem Notgebiet, wo die Bevölkerung bangt, ob sie in einigermaßen überlebenswerten Wohnungen den Winter überstehen kann, dort so eine Show abzuhalten. Das wird auch von den entsprechenden italienischen Organisationen bitter kritisiert. Nein, das Problem ist sicherlich auch, dass die italienische Linke in einem Zustand ist, wo sie nicht besonders mobilisierungsfähig ist und Attac ist auch keine, also … Attac Deutschland oder überhaupt Attac ist keine Organisation, die in andere Länder einfach, in Anführungsstrichen, einmarschiert, sondern die Basis ist immer der Widerstand vor Ort oder der Protest vor Ort, den wir dann international unterstützen. Und da ist Italien, die italienische Linke oder die entsprechenden Kreise – es sind ja nicht nur linke Kreise, die gegen Berlusconi demonstrieren – schwach aufgestellt. Aber das ist nur der Nebengrund. Der Hauptgrund ist: Damit man viele Menschen bewegen kann oder solche Kampagnen durchführen kann, das Wunder von Attac realisieren kann, muss es eine entsprechende gesellschaftliche Stimmung geben. Es muss einen Gegenstand gegen, der viele Leute bewegt. Und der G8-Gipfel ist ein Auslaufmodell. Das hat Angela Merkel letzte Woche im Bundestag schon gesagt, dass der eigentlich wichtige Gipfel im Herbst stattfinden wird, der G20-Gipfel in Pittsburgh, was jetzt … Das ist eigentlich ein Abschiedsgipfel, würde ich mal sagen. Und was müssen wir der Öffentlichkeit noch erklären – dass dort ein Kreis von Versagern zusammensitzt, jedenfalls, wenn man Gordon Brown anschaut oder die schillernde Figur Berlusconi? Die sprechen für sich, diese … anders als in Heiligendamm.

Timm: Das heißt natürlich auch, Sie sind mit Angela Merkel in diesem Punkt einer Meinung, wenn Sie meinen, dieser Gipfel ist nicht so wichtig. Angela Merkel sagt aber auch, zum Beispiel in einem Beitrag für den "Tagesspiegel" am Wochenende, auf diesem G8-Gipfel würden Weichenstellungen für die Finanzkrise gestellt, wie man da rauskommt, und das ist eins der großen Themen von Attac, diese Finanzkrise. Attac hat immer für eine demokratische Reform der Finanzströme sorgen wollen. Also – das Thema ist da, und die Gefahr, dass Klimawandel und soziale Gerechtigkeit als große globale Themen zugunsten kurzfristiger Konjunkturlösungen hinten angestellt werden, die ist doch heute größer als je zuvor. Insofern verstehe ich nicht, dass Sie diesen Gipfel als Nebengipfel ja auch ein bisschen kleinreden.

Auhagen: Wenn die Beteiligten, die Gipfelbeteiligten selbst diesen Gipfel nicht besonders ernst nehmen und auch die Öffentlichkeit entsprechend, dann spricht es eigentlich für sich. Ich glaube auch, dass es keine gravierenden Beschlüsse über diese Zukunft des Weltfinanzsystems geben kann, ohne das Land, das die größten Devisen der Welt hortet, nämlich China. Das wird so proklamiert, ich denke, es ist mehr eine PM-Aktion zur Stützung des schillernden Ministerpräsidenten Berlusconi, aber weniger ein Ort, an dem wichtige Entscheidungen fallen, weil es wären ja Entscheidungen, die gegen China, Indien, Brasilien, Argentinien und viele andere wichtige Länder gefällt würden. Und das ist in dieser Situation gar nicht denkbar.

Timm: Lähmt es Attac aber eventuell auch, dass die Themen Allgemeingut geworden sind? Die demokratische Kontrolle des Finanzsystems zum Beispiel ist heute Konsens von rechts bis links. Muss man sich da neu organisieren bei Attac?

Auhagen: Nein. Das ist leider, unserer Überzeugung nach, kein Allgemeingut. Wenn man sieht, dass schon in Großbritannien all die entsprechenden Bankkreise, die sogenannte Finanzindustrie sehr erfolgreich dafür sorgt, dass es keine massiven Veränderungen gibt auf internationaler Ebene, oder dass die Ignoranz gegenüber dem Weltfinanz-UNO-Treffen jetzt vor Kurzem, wo viele Länder, gerade große Länder, einfach durch Abwesenheit geglänzt haben – das zeigt, dass es überhaupt kein Konsens ist. Von Josef Stiglitz zum Beispiel, dem entsprechenden Experten der UN, ist ja der Vorschlag gemacht worden, den Dollar abzulösen durch eine allgemeine Weltwährung, die eben nicht einem Land unterstellt ist. Und das sind die entscheidenden großen, auch interessensbedingten Fragen: Welches Land, welche Macht soll in Zukunft die Verfügung über die Weltfinanzströme haben? Und da ist es überhaupt kein Gemeingut, dass man Lehren aus dieser Krise ziehen kann. Es ist höchstens, alle … Bestimmte Kreise sehen die Notwendigkeit, kosmetische Konsequenzen zu ziehen, aber keine realen.

Timm: Herr Auhagen, der G8-Gipfel will eben Weichenstellungen in der Finanzkrise leisten, zumindest hat er sich das vorgenommen. Schauen wir mal drauf, wie europäische Nachbarn damit umgehen. Die Isländer jagten ihre Regierung davon, die Franzosen nahmen Manager in Geiselhaft, im Londoner Bankenviertel gab es mächtig Zoff und die Deutschen kauften 1,2 Millionen subventionierte Autos mit der Abwrackprämie. Ich könnte ja verstehen, dass Sie verzweifeln, aber dass Attac so still ist und von dieser Krise so wenig profitiert, das verstehe ich immer noch nicht.

Auhagen: Sie haben recht, es gibt unserer Ansicht nach einen Schock und auch eine Fassungslosigkeit, gerade im sozial engagierten Teil der Gesellschaft, also den Menschen, denen ein gutes Gemeinwesen ein echtes Anliegen ist. Die sind schockiert, und weil es ja auch eine zentrale Erschütterung von Selbstverständlichkeiten gegeben hat, Verantwortlichkeit hat keine Bedeutung mehr. Weder die sogenannten Investmentbanker oder Bankmanager aber auch die Politiker, Medienvertreter und die Wirtschaftswissenschaft, die alle diesen Kurs propagiert haben, der zur Krise geführt hat, tun so, als hätten sie nie etwas damit zu tun gehabt. Es gibt keine Selbstkritik, weder von Steinbrück, der ja auch dafür gesorgt hat, mit dafür gesorgt hat, dass der Finanzplatz Deutschland durch weniger Kontrollen gestärkt wurde, weder von Frau Merkel, die auf dem Leipziger Parteitag einen neoliberalen Kurs der radikalen Entstaatlichung angekündigt hat – von niemandem eine Kritik, und das ist natürlich schon schockierend. Aber ich glaube, Schock heißt, nur für eine bestimmte Zeit. Ich glaube, dass es im Herbst, wenn nach allgemeiner Ansicht die Krise eigentlich wirklich ankommt, dass dann die Betroffenheit eine ganz andere Dimension bekommt und Attac ist dabei, sich darauf vorzubereiten.

Timm: Sie haben noch mal die Krise beschrieben. Attac hat sich aber auf die Fahnen geschrieben, den Regierenden Beine zu machen. Muss man vielleicht auch die Protestformen wechseln, statt Zeltlager und Massendemos der berühmte Gang durch die Instanzen? Sven Giegold etwa macht es ja vor, er sitzt jetzt für die Grünen im Europaparlament. Ist das ein Weg, muss man den Weg ändern?

Auhagen: Ich würde mich freuen, wenn wir 30 Jahre Zeit hätten für einen Gang durch die Instanzen. Das würde mir persönlich auch lieber sein, dass man in aller Ruhe darauf reagieren kann. Die Krise wird in ein, zwei Jahren ihren Höhepunkt wahrscheinlich erreichen und wir sind eigentlich erst noch beim Hors d’oeuvre von dem, was wirklich kommen wird. Und da kommt es drauf an, sehr schnell zu reagieren. Ich glaube auch, dass die politischen Institutionen sich zu einem großen Teil – wie ich eben auch versuchte darzustellen – delegitimiert haben. Es gibt einen massiven Vertrauensverlust, auch wenn viele Menschen so die Haltung haben, wegducken und ignorieren, vielleicht geht ja die Krise an uns vorbei. Aber die Glaubwürdigkeit ist insbesondere dadurch, dass es keine Selbstkritik, keine Übernahme von Verantwortung gegeben hat der sogenannten Eliten … Da ist ein Bruch in der Gesellschaft und ich glaube, das wird sich niederschlagen in größeren sozialen Protestbewegungen, vielleicht solchen Protestbewegungen, wie wir sie in der Bundesrepublik noch gar nicht kannten.

Timm: Hendrik Auhagen vom Koordinierungskreis von Attac, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Auhagen: Bitte!