Attac fordert "Finanzmarkt-TÜV"

Stephan Schilling im Gespräch mit Leonie March · 16.09.2008
Angesichts der Bankenkrise in den USA hat sich der Finanzmarktexperte im Koordinierungskreis von Attac, Stephan Schilling, für eine "deutlich schärfere" Regulierung der Finanzmärkte ausgesprochen. Notwendig sei eine Europäische Finanzmarktaufsicht innerhalb der EU, die diese Regulierungsaufgabe gemeinsam mit den Zentralbanken übernehme, sagte Schilling.
Leonie March: Es war ein schwarzer Montag an den Börsen. Der Markt wurde von regelrechten Schockwellen geschüttelt, nachdem bekannt wurde, dass die Investmentbank Lehman Brothers Pleite ist und bei Merrill Lynch die Bank of America in die Bresche springen musste. Mehr als ein Jahr nach ihrem Beginn hat die Finanzmarktkrise damit einen neuen Höhepunkt erreicht, trotz milliardenschwerer staatlicher Hilfen und Liquiditätsspritzen von den Notenbanken.
Über die Finanzmarktkrise und ihre Folgen spreche ich jetzt mit dem Wirtschaftswissenschaftler Stephan Schilling. Er ist Finanzmarktexperte im Koordinierungskreis von Attac. Guten Morgen, Herr Schilling.

Stephan Schilling: Schönen guten Morgen.

March: In Deutschland beruhigen Regierung und Bundesbank ja, allzu große Sorgen um die Stabilität des hiesigen Finanzsystems müsse man sich nicht machen. Teilen Sie die Einschätzung?

Schilling: Es ist Aufgabe der Bundesregierung, jetzt zu beruhigen. Ich glaube, man muss zum einen sehen, dass schon wir in Deutschland auch Verluste haben hinnehmen müssen. Die IKB ist verkauft worden. Das hat den Steuerzahler ungefähr zehn Milliarden gekostet. Also auch wir haben schon durch diese Finanzmarktkrise gelitten. Die deutsche Binnenwirtschaft, die deutsche Konjunktur steht ebenfalls vor dem Abschwung. Auch das hat viel mit der Finanzmarktkrise zu tun. Das heißt, auch wir sind von dieser Krise betroffen. Ich kann schwer einschätzen, ob das deutsche Bankensystem ebenfalls vor einem ähnlichen Kollaps stehen könnte wie das amerikanische. Da hat die Bundesregierung tieferen Einblick. Aber ich würde davor warnen zu glauben, diese Krise wäre jetzt vorüber. Das hat man vor einem halben Jahr schon mal gehört, dass jetzt das Schlimmste vorbei ist. Ich glaube, solche Prognosen sind sehr schwierig zu treffen, und ich würde eher denjenigen glauben, die davon ausgehen, dass uns das noch lange beschäftigen wird und dass sich das alles in einer ziemlich schweren Wirtschaftskrise kulminieren wird.

March: Um die Krise zu entschärfen und weitere Pleiten erst mal zu verhindern, hat ja ein internationales Bankenkonsortium einen 700 Milliarden Dollar schweren Hilfsfonds für angeschlagene Banken gegründet. Wie sinnvoll ist denn das?

Schilling: Das macht jetzt als kurzfristige Rettungsmaßnahme schon Sinn. Allerdings wird das nur bedingt die Probleme lösen. Was dieser Fonds tut ist, Liquidität bereitzustellen. Was er aber nicht schaffen kann ist, die Probleme, die die Banken mit schlechten Wertpapieren haben, Wertpapieren, die durch die Krise in den USA wertlos geworden sind, zu lösen. Das müssen die Banken über kurz oder lang abschreiben. Auch das was sie an Wertpapieren von Lehman Brothers zum Beispiel halten, von den Banken, die jetzt pleite gegangen sind, müssen die Banken über kurz oder lang abschreiben und das wird die Banken massiv belasten. Das wird dazu führen, dass die Banken weniger leicht Kredite vergeben werden. Das wird sich auswirken auf die Konjunktur und daran ändert auch so ein Hilfsfonds nichts.

March: Schon kurz nach Beginn der Finanzkrise vor über einem Jahr wurden ja Rufe nach mehr Transparenz, nach mehr Kontrolle der Finanzmärkte laut. Diese Forderungen werden jetzt erneut erhoben. Wie stellen Sie sich denn die Grundzüge einer effektiven Kontrolle vor?

Schilling: Eines, was man, glaube ich, aus dieser Krise lernen muss, ist, dass es erst mal eine deutlich schärfere Regulierung geben muss, was die einzelnen Akteure und die einzelnen Produkte auf den Finanzmärkten angeht. Bisher war es so – und das war auch bei dem Ausgang der Krise so -, dass neue Produkte (in diesem Fall waren es Kreditderivate) von den Investmentbanken einfach auf den Markt geschmissen wurden. Die wurden dann von Rating-Agenturen bewertet und dann wurden sie in der ganzen Welt verkauft. Wir als Attac fordern, dass es in Zukunft so eine Art Finanzmarkt-TÜV gibt und dass solche Produkte vorher von einer Aufsicht erlaubt werden müssen, bevor man sie in den Handel bringt. Das wäre schon mal ein wichtiger Schritt, weil man dann Teile der Produkte einfach verbieten könnte.

Ein zweiter Schritt wäre, die zentralen Akteure des Systems wieder schärfer zu regulieren. In den letzten Jahrzehnten ist es dazu gekommen, dass neben dem doch relativ stark regulierten Bankensektor ein Schattenbankensystem entstanden ist mit Zweckgesellschaften, die oft in irgendwelchen Steueroasen sitzen, mit Hedgefonds, die Teile der Aufgaben von Banken übernehmen. Solche Akteure müssen wieder stärker reguliert werden. Dazu wird es darauf ankommen, dass man Regulierungsoasen (hier in Deutschland nennt man sie auch Steueroasen), die es weltweit gibt, effektiv unter Druck setzt, damit man wirklich global solche neuen Akteure wieder stärker unter Kontrolle stellen kann.

March: Wer sollte denn die Banken und Finanzräume künftig überwachen? Wer sollte diese Aufgabe übernehmen?

Schilling: Wir fordern, dass innerhalb der EU eine europäische Finanzmarktaufsicht geschaffen wird, die Teile dieser Aufgabe übernehmen kann. Wir könnten uns auch vorstellen, dass die Zentralbanken beziehungsweise dann die Finanzmarktaufsichten Teile der Aufgaben übernehmen könnten, zum Beispiel diese Bestätigung der einzelnen Finanzmarktprodukte. Und es wird darauf ankommen, dass man ähnlich wie nach dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft Anfang des letzten Jahrhunderts sich zusammensetzt und über ein neues Set an internationalen Institutionen nachdenkt, die dann neue Aufgaben in dieser Regulierung übernehmen können.

March: Sollte diese Kontrolle auch, wie zum Beispiel von der EU gefordert, die Rating-Agenturen umfassen, denen ja vorgeworfen wird, die Risiken nicht rechtzeitig erkannt zu haben und deshalb auch falsch beraten zu haben?

Schilling: Ja. Bei den Rating-Agenturen gibt es eine Riesen-Sauerei, weil die Rating-Agenturen von denjenigen, die sie bewerten, gleichzeitig bezahlt werden. Das heißt, es gibt dort einen massiven Interessenskonflikt und das hat dazu geführt, dass zum Beispiel diese Kreditderivate, die ein wesentlicher Ausgangspunkt dieser Krise sind, viel zu gut bewertet wurden. Man müsste mindestens diesen Interessenskonflikt auflösen und die Bezahlung der Rating-Agenturen per Gesetz anders strukturieren. Aus unserer Sicht könnte es durchaus auch Sinn machen, zu öffentlichen Rating-Agenturen zu kommen, dass es Rating-Agenturen zum Beispiel unter Kontrolle der Finanzmarktaufsicht, der BAFIN oder so etwas gäbe.

March: Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass jetzt die Krise auch als Chance begriffen wird und tatsächlich grundlegende Reformen umgesetzt werden?

Schilling: Bisher sind wir da sehr pessimistisch. Wenn man sich die Reaktionen der Politik anschaut, dann stellt man zwar auf der einen Seite fest, dass insbesondere in den USA im Krisen-Management doch einiges richtig gemacht wurde und man schnell interveniert hat. Das ist auch ein wichtiger Unterschied zu der Weltwirtschaftskrise Anfang des letzten Jahrhunderts. Aber was grundsätzliche Reformen angeht, sieht es bisher doch sehr mau aus. Die Vorschläge, die dort erarbeitet wurden, zum Beispiel vom Financial Stability Forum – das ist ein Treffen von allen wichtigen Finanzministern und Zentralbankern -, sehen ein bisschen mehr Transparenz vor, hier und da ein bisschen besseres Risiko-Management. Aber an den grundsätzlichen Fragen wird bisher nicht gearbeitet und werden keine Änderungen herbeigeführt. Da wird es auf weiteren Druck auf die Politik ankommen, damit dort wirkliche Änderungen hin zu einem anderen Finanzsystem erreicht werden können.

March: Stephan Schilling war das, Finanzmarktexperte im Koordinierungskreis von Attac. Vielen Dank, Herr Schilling.

Schilling: Vielen Dank!

Das gesamte Gespräch mit Stephan Schilling können Sie bis zum 16. Februar 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio