Atomkraftwerke

Kernforscher kritisiert belgische Behörden

Das umstrittene Atomkraftwerk in Tihange, Belgien.
Das umstrittene Atomkraftwerk in Tihange, Belgien. © dpa / picture alliance / Olivier Hoslet
Hans-Josef Allelein im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 19.12.2016
"Alarmierend" findet der deutsche Kernforscher Hans-Josef Allelein den Umgang der belgischen Behörden mit Fragen der Reaktorsicherheit. Die umstrittenen Reaktoren in Doel und Tihange hingegen beunruhigen ihn weniger, sollten aber noch einmal überprüft werden.
Seit Jahren stehen die belgischen Atomkraftwerke in Doel und Tihange wegen Sicherheitsmängeln in der Kritik. Auch in Deutschland, denn Tihange ist nur etwa 70 Kilometer von Aachen entfernt.
Insofern ist es dem Kernforscher Hans-Josef Allelein von der RWTH Aachen zufolge ein "großer Fortschritt", wenn sich künftig deutsche und belgische Verantwortliche über Fragen der Atomsicherheit austauschen. Dies sieht ein deutsch-belgisches Abkommen zur Atomsicherheit vor, das am Montag in Brüssel unterzeichnet wird. Gleichzeitig kritisierte Allelein im Deutschlandradio Kultur, dass der Austausch nur auf der Ebene der politisch Verantwortlichen stattfinden wird und nicht auf Expertenebene. "Die Wege sind zu lang."

"Das alles ist alarmierend"

Forderungen aus Deutschland nach einem Abschalten der beiden umstrittenen Reaktoren in Doel und Tihange hält Allelein offenbar für übertrieben. "Ich bin von den beiden Reaktoren weniger beunruhigt als über das, was ich in der Gesamtheit gesehen habe", sagte er. Insgesamt sei die Sicherheitskultur bezüglich der Reaktoren in Belgien zumindest "zweifelhaft" und diskussionswürdig. "Da schließe ich ausdrücklich auch die Genehmigungsbehörde mit ein", betonte Allelein. "Das genaue Hingucken der deutschen Seite finde ich absolut richtig und hat sich auch gelohnt, und das alles ist alarmierend."
Hinsichtlich der umstrittenen Reaktoren in Doel und Tihange plädiert Allelein dafür, diese im kommenden Jahr noch einmal herunterzufahren, um herauszufinden, ob die Haarrisse betriebsbedingt seien. "Oder liegt es daran, dass diese größere Zahl auch deswegen gefunden wird, weil die Ultraschall-Prüfmethode sich verbessert hat?"

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Atomkraft? Nein, danke! Die Sache ist ja geklärt in Deutschland. Sechs Jahre noch, dann ist der letzte Meiler vom Netz. Nur, das hilft den atomkritischen Deutschen wenig, die nahe an der Grenze wohnen, nahe an AKWs zum Beispiel in Tschechien, in Frankreich oder in Belgien. Die denken lange nicht ans Abschalten, und das sogar bei Reaktoren, die bei uns schon den Sticker "Schrottreaktor" hätten, Tihange zum Beispiel in der Wallonie, keine 80 Kilometer von Aachen. Wenn Abschalten schon nicht geht, dann wenigstens sicherer machen, das ist die Idee hinter dem deutsch-belgischen Abkommen zur Atomsicherheit, das heute unterzeichnet wird. Placebo oder echter Fortschritt? Darüber spreche ich mit Hans Allelein, Lehrstuhlinhaber an der RWTH Aachen für Reaktorsicherheit und Reaktortechnik. Guten Morgen!
Hans Allelein: Einen schönen guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Macht das Abkommen die AKWs sicherer oder sollen wir uns nur sicherer fühlen?
Allelein: Weder noch, denke ich. Das Abkommen selbst wird ja zunächst mal, wenn es nur beim Papier bleibt, überhaupt nichts an den Anlagen verändern. Andererseits ist es natürlich ein großer Fortschritt, wenn hier, ich sag mal, institutionalisiert wird, dass deutsche Verantwortliche, so will ich es mal nennen, und belgische Verantwortliche miteinander reden und sich austauschen. Wobei ich ein bisschen das Gefühl habe, es wäre eigentlich besser, wenn wirkliche Experten, wenn es auf der Expertenebene zu einer Diskussion kommt und nicht nur zu einer, ich sag mal, politischen angeregten Diskussion.
Das Atomkraftwerk Doel bei Antwerpen (Belgien).
Das Atomkraftwerk Doel bei Antwerpen (Belgien).© dpa / picture alliance / Julien Warnand
Frenzel: Das heißt, da sitzen eigentlich die Falschen zusammen?
Allelein: Ja, das sollte eigentlich dann auf mehreren Ebenen stattfinden. Sagen wir es mal so: Dass diese Gruppierung sich trifft, ist auch richtig, und dass die miteinander reden, ist auch wichtig, aber die Wege sind zu lang, die müssten dann bei bestimmten Fragen ihre Experten fragen, auf deutscher Seite wäre das dann die Reaktorsicherheitskommission mit ihren Ausschüssen und so weiter. Da sind die Diskussionswege einfach zu lang.
Frenzel: Herr Allelein, Sie haben gesagt, großer Fortschritt, und dann haben Sie gesagt, man informiert sich gegenseitig. Ich würde jetzt sagen, eigentlich ist das doch eine Selbstverständlichkeit, oder?
Allelein: Das kommt drauf an, auf welcher Ebene man sich informiert, selbstverständlich bis zu einem gewissen Level – da, wo der Spaß aufhört, ist genau da, wo die unterschiedlichen Regelwerke in Kraft sind, in Deutschland, Belgien, Frankreich – jedes Land, auch in Europa, auch in der EU, hat seine eigenen Regelwerke, die meisten basieren auf den Vorgaben der USAEC, also der US-amerikanischen Regel, des US-amerikanischen Regelwerks. Aber es gibt immer sehr detaillierte Unterschiede, und auf die kommt es dann letztlich an.

Sind die Haarrisse in Doel und Tihange wirklich so schlimm?

Frenzel: Was möchten Sie denn als Fachmann gern über den Zustand von zum Beispiel diesen beiden ja problematischen Reaktoren Doel und Tihange in Belgien wissen?
Allelein: Es gibt ja da verschiedene Fragestellungen. Was mich jetzt so interessieren würde, wäre schlichtweg – oder, was ich wünschen würde, dass jetzt in diesem Jahr oder im kommenden Jahr, in 2017, sowohl der Reaktor in Doel als auch in Tihange vielleicht wieder heruntergefahren würden und dann noch mal auch unter Zuhilfenahme internationaler Experten da noch mal Ultraschalluntersuchungen stattfinden, damit man einfach der Antwort auf die Frage näher kommt, sind diese Flocken, Haarrisse oder wie immer man sie da nennt, sind diese Schädigungen, das sind sie ja nun mal, betriebsbedingt und haben sie sich betriebsbedingt verändert, oder liegt es daran, dass eben diese größere Zahl auch deswegen gefunden wird, weil die Ultraschallprüfmethode sich verbessert hat.
Frenzel: Die Umweltministerin, die deutsche, äußert sich weiterhin besorgt, was den Zustand der belgischen AKWs angeht. Eine Studie aus Wien kommt zu alarmierenden Ergebnissen, was den Raum Aachen und Nordrhein-Westfalen betrifft. Können Sie nachvollziehen, dass der Widerstand wächst, dass viele vielleicht sagen, wir wollen gar nicht mehr so intensiv untersuchen, wir wollen eigentlich, dass die Dinger abgeschaltet werden?
Allelein: Nein, das kann ich nicht verstehen, weil ich kenne die Studie aus Wien nicht unbedingt, also nicht jetzt im Detail, aber als wir die letzte öffentliche Diskussion im Ludwig-Forum hatten, wurde da kolportiert, dass das Ergebnis sei, dass in 30 Prozent der Fälle – das wurde da als die schlimmste Nachricht verkündet, ein Faktor drei über der deutschen Genehmigung gefunden worden ist in den Analysen. Da kann ich nur sagen, da habe ich flapsig drauf gesagt, gut, wenn das wirklich ein Faktor drei ist, dann stelle ich mich im strömenden Regen auf den Aachener Markt hin und esse, ohne Schirm und ohne Schutz eine Currywurst und trinke ein Bier. Also von daher – da muss man jetzt ein bisschen aufpassen. Ich glaube nicht, dass das Ergebnis so alarmierend ist, wenn die Studie richtig durchgeführt worden ist und wenn dieses Aussage, die da gemacht worden ist, wirklich die zentrale Aussage ist, dann müsste man sich eigentlich mehr um die Menschen in Lüttich kümmern, die mehr als 40 Kilometer näher an der ganzen Sache sind als die Aachener. Also da wird ein bisschen Hysterie betrieben.
Frenzel: Hysterie auf der einen Seite, möglicherweise Schönfärberei auf der anderen – haben Sie den Eindruck, dass auf diese Frage, wie sicher sind Atomkraftwerke, überhaupt irgendjemand sachlich antwortet?
Allelein: Das kann ich schwer sagen. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich bin von den beiden Reaktoren weniger beunruhigt als über das, was ich in der Gesamtheit gesehen habe. Da muss ich jetzt sagen, das genaue Hingucken der deutschen Seite finde ich absolut richtig und hat sich auch gelohnt, und das alles ist alarmierend. Das, was man so als Sicherheitskultur bezeichnet in Belgien, ist – da schließe ich ausdrücklich auch die Genehmigungsbehörde mit ein –, das ist zumindest mal zweifelhaft oder diskussionswürdig. Und das macht mir auf die Dauer gesehen sehr viel mehr Kummer.

"Diese Dramatik sehe ich für Aachener nicht"

Frenzel: Sie, der Sie in Aachen geboren wurden, dort lehren, in der Region leben, wie gehen Sie denn ganz persönlich mit dieser Nachbarschaft um? Sie sind vom Fach, aber Sie sind ja auch einfacher Bürger, der einen Reaktor in der Nähe hat, wo Sie wissen, wenn da was passiert, dann ist auch meine Heimat weg?
Allelein: Ich glaube nicht, dass – also ich bin zutiefst überzeugt, dass es diesen Fall nicht geben wird. Es kann Auswirkungen geben, wenn es zu einem sogenannten GAU – Größten Anzunehmenden Unfall – käme, aber diese Dramatik sehe ich für Aachener wirklich nicht, und deswegen bin ich da ganz beruhigt. Ich bin, wie gesagt, beunruhigt darüber – und da ist es mir eigentlich egal, ob Aachener zu Schaden kommen oder belgische Menschen zu Schaden kommen –, mir ist diese Frage der Sicherheitskultur, des sicheren Betriebs, des sicheren Umgangs, des verantwortungsbewussten Umgangs insgesamt, die ist mir da viel zentraler, und die macht mir sehr viel mehr Kopfzerbrechen.
Frenzel: Heute wird das deutsch-belgische Abkommen zur Atomsicherheit unterzeichnet. Im Gespräch waren wir dazu mit Hans Allelein, Lehrstuhlinhaber an der RWTH Aachen für Reaktorsicherheit und Reaktortechnik. Vielen Dank für das Gespräch!
Allelein: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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