Atomkraft - ja bitte?

Gäste: Joachim Knebel und Volker Quaschning · 21.02.2009
Die Debatte um den Ausstieg aus der Atomkraft schien in Deutschland beendet, doch auch hier schwelt sie wieder: Gibt es auch sichere Kernkraftwerke, die Energieengpässe lösen könnten? Lässt sich die Endlagerung umweltverträglich in den Griff bekommen?
Der Kurswechsel der Schweden bei der Atomenergie hat auch in Deutschland die Debatte rund um eine Renaissance der Kernkraft neu entfacht. Ausgerechnet das Öko-Musterland Europas vollzieht eine energiepolitische 180-Grad-Wende. Die Regierung in Stockholm kündigte an, die seit fast 30 Jahren geltende Regelung zum Verzicht auf den Bau neuer Reaktoren aufzuheben. Ein Schlag für die hiesige Anti-Atomkraft-Bewegung - und Aufwind für die Atom-Lobby.

Noch gilt hierzulande zwar der Ausstiegsbeschluss der rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahr 2000, demzufolge bis zum Jahr 2020 alle deutschen Kernkraftwerke vom Netz müssen. Doch der Druck wächst. Schon melden sich die ersten deutschen Politiker, die für einen Ausstieg aus dem Ausstieg auch in Deutschland plädieren. Eine sichere, verlässliche und klimaverträgliche Energieversorgung der Zukunft sei ohne die CO2-freie Kernenergie nicht zu realisieren.

Diese Argumentation verfolgt auch Dr. Joachim Knebel. Der Programmleiter Nukleare Sicherheitsforschung am Forschungszentrum Karlsruhe beschäftigt sich langem mit Fragen der Reaktorsicherheit und der Endlagerung radioaktiver Abfälle:

"Kernkraftwerke werden heute auf Grundlast gefahren, das heißt 24 Stunden volle Last. Das kann keine regenerative Energie leisten, bis auf Wasserkraft, aber da sind wir bereits ausgereizt. Windkraft und Fotovoltaik sind nicht grundlastfähig und Geothermie ist noch nicht ausgereift genug. Die einzigen Alternativen wären also Steinkohle, Braunkohle und Gas, alles CO2-intensive Energieformen. Bei allen sind wir auch vom Ausland abhängig. Und wir haben ja gesehen in diesem Winter, dass Deutschland nur knapp an einem Punkt vorbeigeschrammt ist, dass wir selber kein Gas mehr hatten, weil wir anderen Ländern ausgeholfen haben.

Das Problem ist aber auch, dass wir gar nicht genügend Kohlekraftwerke bauen, um die ausfallenden Kernkraftwerke zu ersetzen. Insofern ist es wirtschaftlich geboten, die Laufzeitverlängerung für die jetzt laufenden Kraftwerke zu beschließen. Kein Land der Welt schaltet Kernkraftwerke nach 32 Jahren ab. Sie können gut und gern 40 Jahre laufen, die USA lassen sie 60 Jahre laufen. Nur wir schalten sie nach der Hälfte ab."

Etwaigen Sicherheitsbedenken tritt der Vizepräsident der Europäischen Kerntechnischen Gesellschaft vehement entgegen:

"Die aktuell betriebenen Kernkraftwerke in Deutschland und Europa sind sicher - Punkt. Kernkraftwerke sind sicher, wenn sie sie verantwortlich fahren. Tschernobyl - was ja immer angeführt wird - wurde nicht verantwortlich gefahren."

Auch die Frage der Endlagerung sei zu lösen:

"Die Endlagerung ist technisch möglich. Das sieht man ja schon daran, dass für radioaktive mittelschwere Abfälle der Schacht Konrad genehmigt worden ist, nach einem langen Verfahren. Auch das Forschungsbergwerk Gorleben ist technisch geeignet, nur es fehlt der politische Willen, es umzusetzen. Wir haben aktuell ein Gorleben-Moratorium, es läuft seit 2000 bis 2010. Das heißt, dass seit acht Jahren nicht geforscht werden darf. Das ist ein absoluter Stillstand, und es ist unfair gegenüber der Kerntechnik. Wir haben ein Arbeitsverbot, und die Gegner sagen, ihr macht ja nix."

Derzeit werde an Reaktoren der "Vierten Generation" geforscht, die einen nahezu geschlossenen Verwertungskreislauf ermöglichten: Die radioaktiven Brennstoffe, die jetzt noch aufwendig hin- und hertransportiert und risikoreich und kostenintensiv gelagert werden müssten, würden dann direkt in diesen Reaktoren verbrannt. Zudem verfügten diese neuen Generatoren über eine fünfzigfach bessere Ausnutzung des Urans.

All diese Argumente können Prof. Dr. Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der FHTW in Berlin nicht überzeugen:

"Die Frage der Endlagerung ist weltweit immer noch nicht geklärt. Die Brennstoffe sind das große Problem. Ich sage immer, wenn in der Zeit der Dinosaurier ein Endlager angelegt worden wäre, hätten wir damit immer noch zu tun. Das sind einfach Zeiten, die unseren menschlichen Horizont übersteigen. Vor 10.000 Jahren hatten wir hier eine Eiszeit, es gab die Kontinentaldrift. Aus heutiger Sicht mögen die Lagerstätten relativ sicher sein, aber aus absoluter eben nicht.

Wir werden die Kernenergie noch 100 maximal 120 Jahre haben, aber wir schaffen uns Probleme, die uns Millionen Jahre beschäftigen werden. Zweitens: der Betrieb. Es können Unfälle passieren, Tschernobyl und Three Miles Island haben es gezeigt. Natürlich kann man sagen: Die deutschen Meiler sind sicher. Aber deutsche Züge sind auch sicher, und bei den ICE sind die Achsen gebrochen. Ich bin Ingenieur, ich rechne mit so etwas. Und dann die terroristischen Gefahren: Es streiten sich die Experten, ob ein Meiler einer B 707 standhält."

Dazu käme die Tatsache, dass Kernenergie eben nicht nur zu zivilen Zwecken genutzt werden könne. So plane Frankreich, Kernkraftwerke an Libyen zu verkaufen - wer garantiere, dass die Technik nicht zu Gewinnung von Atomwaffen verwendet werden könne?

Der Autor mehrerer Bücher zum Thema Erneuerbare Energien sieht daher keine Chance für eine Renaissance der Kernenergie:

"Wie ich das so sehe, werden wir im Jahr 2050 keine Kernenergie mehr haben. Das wird auch der Preis regeln, da Uran auch ein begrenzter Rohstoff ist. Und bei fossilen Energien haben wir die Umweltproblematik. Das heißt, wenn wir unsre Küstenstädte nicht im Meer versenken wollen, müssen wir hier auch sehr schnell auf erneuerbare Energien, auf CO2-freie Energien umschwenken. Da muss man einfach rechnen: 85 Prozent der derzeitigen Energieträger müssen durch CO2-freie ersetzt werden.

Wenn man das durch Atomkraftwerke machen wollte, müsste man Hunderte bauen. Also muss ein Plan B her und das sind erneuerbare Energieträger. Und da haben wir einen breiten Mix, der uns zur Verfügung steht. Das ist ja nicht nur die Solar-Energie. Wir haben die Windkraft, wir haben Wasserkraft. Wir haben Biomasse-Kraftwerke, wir können die Erdwärme nutzen. Sie sind in der Lage auch kurzfristig also bis 2050 die komplette Energie zu ersetzen. Und wenn das möglich ist, sollte man auch so schnell wie möglich darauf setzen."

"Atomkraft - ja bitte? Die Renaissance der Kernenergie"
Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Dr. Joachim Knebel und Prof. Dr. Volker Quaschning.
Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de

Informationen im Internet:
www.volker-quaschning.de
www.fzk.de

Literaturhinweis:
Volker Quaschning: Erneuerbare Energien und Klimaschutz, Hanser Verlag 2008