Atomindustrie hält Brennelementesteuer für rechtlich fragwürdig

Ralf Güldner im Gespräch mit Hanns Ostermann · 20.08.2010
Der Präsident des deutschen Atomforums, Ralf Güldner, hält eine Vereinbarung mit der Bundesregierung über eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, eine Anpassung des Sicherheitsniveaus sowie einen geregelten "Vorteilsausgleich" für sinnvoller als eine Brennelementesteuer.
Hanns Ostermann: Es dürfte derzeit die größte Baustelle der Kanzlerin sein: Bis Ende September will sie das neue Energiekonzept der Bundesregierung vorstellen. Schon seit Wochen wird um dieses Papier mit harten Bandagen gekämpft. Für erhebliches Aufsehen haben dabei vor allem die Betreiber der Atomkraftwerke gesorgt. Sie sprechen von einer Erdrosselung ihrer Branche, würde eine Atomsteuer eingeführt, und natürlich wollen sie die Meiler länger am Netz lassen. Notfalls würden ältere sofort abgeschaltet. Warum dieser scharfe Ton, diese rigide Haltung? Darüber habe ich mit Ralf Güldner gesprochen, er ist stellvertretender Vorsitzender der EON Kernkraft GmbH und Präsident des Atomforums. Meine erste Frage an ihn: Was würde denn passieren, wenn ältere Meiler abgestellt würden? Sind sie nicht längst überflüssig?

Ralf Güldner: Nein, ich denke, keines unserer Kraftwerke ist im Moment überflüssig. Sie leisten einen wertvollen Beitrag zur Energieversorgung in der Grundlast, sind aber auch in der Lage, schwankende Einspeisungen der Erneuerbaren zu regeln. Sie leisten diesen Beitrag CO2-frei, sind auf hohem Sicherheitsniveau, und insofern: Da die Stromerzeugungskosten in den Anlagen am unteren Ende der Skala in Deutschland liegen, leistet jede einzelne Anlage ihren Beitrag, nicht nur zur sicheren Stromversorgung in Deutschland, sondern auch zu insgesamt wettbewerbsfähigen Stromkosten.

Ostermann: Aber Krümmel war doch ein Gegenbeispiel.

Güldner: Krümmel ist in dem Sinne kein Gegenbeispiel. Wir hatten dort einen Schaden im konventionellen Teil der Anlage, im Transformator, der gar keine Auswirkungen auf die nukleare Sicherheit gehabt hat. Dieser Schaden hat aber dazu geführt, dass die Reputation dieser Anlage sehr stark gelitten hat und sie bis jetzt nicht wieder ans Netz gegangen ist. Daher ist auch insgesamt der Beitrag der Kernenergie zur Stromerzeugung etwas nach unten gegangen, knapp unter 25 Prozent jetzt. Wir bedauern das sehr, dass Krümmel seinen Beitrag nicht leisten kann. Ich denke, es hätte durchaus einen positiven Einfluss auf die Gesamtkosten der Stromerzeugung, wenn eine Anlage wie Krümmel laufen würde.

Ostermann: Wie sollte aus Ihrer Sicht das neue Energiekonzept aussehen, und welchen Stellenwert müsste dabei die Atomkraft spielen?

Güldner: Wir wollen natürlich für die Stromkunden sowohl im privaten als auch im industriellen Bereich Versorgungssicherheit haben, das heißt garantieren, dass der Strom in ausreichender Menge und mit ausreichender Qualität zur Verfügung steht. Wir brauchen dann insbesondere für die industriellen Kunden wettbewerbsfähige Strompreise. Das sind zwei wesentliche Punkte, und der dritte ist, dass wir unsere Ziele im Klimaschutz erreichen wollen, und dann brauchen wir sicherlich einen Beitrag CO2-freier Energieerzeugung in der Grundlast. Das kann im Moment nur die Kernenergie liefern – wenn man von dem Beitrag im einstelligen%bereich der Wasserkraft einmal absieht –, und wir müssen natürlich an den Erneuerbaren weiterarbeiten, denn auch die Erneuerbaren können eben CO2-frei hier ihren Beitrag leisten, sind aber in dem Sinne nicht grundlastfähig, da Wind und Sonne nun mal nicht den ganzen Tag über blasen oder scheinen. Das heißt also: Wir brauchen hier ein Regulativ in der Grundlast, und das kann die Kernenergie liefern. Ganz wichtig ist es für die Industrie, dass ein solches Konzept langfristig stabil bleibt, denn wir haben sehr lange Investitionszyklen, der Bau von Anlagen dauert lange. Das heißt, man braucht Planungssicherheit, um die großen Investitionen, die hier notwendig sind, mit der entsprechenden Sicherheit tätigen zu können.

Ostermann: Und das heißt auch, dass Sie natürlich für eine Verlängerung der Atomkraftwerke plädieren, allen Gegenstimmen zum Trotz?

Güldner: Natürlich sind wir der Meinung, dass die deutschen Kernkraftwerke im Moment ihren Beitrag leisten, ihn sicher leisten. Wir sind im internationalen Vergleich relativ jung, das Durchschnittsalter unserer Anlagen ist 26 Jahre, international redet man von Laufzeiten von etwa 60 Jahren. Das heißt also: Wir würden letztendlich Volksvermögen verschenken und die Volkswirtschaft schädigen, wenn wir diese Stromerzeugungsanlagen vorfristig vom Netz nehmen würden.

Ostermann: Zum Sparpaket der schwarz-gelben Koalition gehört ja auch die Brennelementesteuer. Warum ist sie für Sie so unakzeptabel?

Güldner: Diese Brennelementsteuer ist aus unserer Sicht in der jetzigen Form, wie sie vorgeschlagen wird, rechtlich zweifelhaft, sowohl vor dem Hintergrund deutscher Rechtssituationen, aber insbesondere auch vor dem europäischen Wettbewerbsrecht. Wir würden es daher bevorzugen, dass wir zu einer Vereinbarung mit der Bundesregierung kommen, die genau diese drei Punkte, wie sie im Koalitionsvertrag festgelegt sind, beinhalten, nämlich Laufzeitverlängerungen, Anpassung des Sicherheitsniveaus und einen geregelten Vorteilsausgleich. Und Herr Großmann, der CEO vom RWE, hat gerade Anfang dieser Woche noch mal in einem Interview bekräftigt, dass wir in einem solchen Gesamtkontext bereit sind, etwa 50 Prozent der zusätzlichen Gewinne in diesen Vorteilsausgleich dann abführen zu wollen.

Ostermann: Damit ist natürlich noch nicht gewährleistet, dass die erhofften 2,3 Milliarden – davon spricht Schwarz-Gelb –, dass diese 2,3 Milliarden dem Staatssäckel zugeführt werden.

Güldner: Das kommt drauf an, man muss hier die finanzpolitischen Dinge oder finanztechnischen Dinge berechnen. Wenn wir den Vorteilsausgleich auf die zusätzlich zu erzeugten Mengen umlegen, dann würden die größeren Geldbeträge erst zu einem späteren Zeitpunkt kommen. Aber das kann man in dem Vormodell, das wir vorgeschlagen haben, auch mit einer etwas vorgezogeneren Zahlung realisieren. Also ich glaube, dass vor dem Hintergrund einer angemessenen langen Laufzeitverlängerung und akzeptablen Forderungen bezüglich der Anpassung von Sicherheitsniveaus hier Lösungen gefunden werden können, die den Erwartungen des Finanzministers am Ende des Tages doch gerecht werden.

Ostermann: Die Umweltschützer kündigen jedenfalls einen heißen Herbst an, falls die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert werden. Warum hat die Atomkraft bei uns einen so zweifelhaften Ruf, während Franzosen und Schweden mit ihr völlig anders umgehen?

Güldner: Ich will nicht ausschließen, dass wir in der Vergangenheit insgesamt mit dem Thema Öffentlichkeitsarbeit und Unterstützung der Akzeptanz der Kernenergie nicht so umgegangen sind, dass es zu optimalen Resultaten geführt hat. Wir haben Beispiele in anderen Ländern, wo es gelungen ist, die öffentliche Meinung anders zu gestalten. Schweden ist ein Beispiel, das in den 80er-Jahren den Ausstieg beschlossen hat, allerdings konditioniert, immer mit dem Hinweis: für den Fall, dass sich Alternativen ergeben, und die jetzt mit einer breit getragenen Mehrheit der Bevölkerung beschlossen haben, die Anlagen 60 Jahre laufen zu lassen und sogar dabei sind, denn Weg zu ebnen für Neubauten. Also hier muss man sicherlich analysieren: Das ist in der Gestaltung der öffentlichen Meinung falsch gelaufen? Da kann man sicher das eine oder andere besser machen.

Ostermann: Ralf Güldner, stellvertretender Vorsitzender der EON Kernkraft GmbH und Präsident des Atomforums. Herr Güldner, danke Ihnen für das Gespräch!

Güldner: Bitte sehr!
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