Atomgespräche

"Albtraumszenario" für Saudi-Arabien

In Wien ringen der Iran und seine Vertragspartner um ein Atomabkommen.
Komplizierte und langwierige Verhandlungen: In Wien ringt der Iran mit dem Westen um ein Atomabkommen © picture alliance/dpa/Hans Punz
24.11.2014
In Wien kämpft der Iran mit dem Westen um einen Atom-Deal. Ein Erfolg der Verhandlungen hätte nicht nur positive Konsequenzen, analysiert die Nahostexpertin Nora Müller: So könnte er die Machtverhältnisse in der Region deutlich verschieben.
Im Deutschlandradio Kultur sagte Müller am Montag, die Möglichkeit, dass Teheran nach geglückten Atomgesprächen wieder zu einem wichtigen Partner Washingtons werde, sei für Saudi-Arabien ein "Albtraumszenario". Denn dadurch könnte sich die Machtbalance in der Region verschieben. Riad und auch den Vereinigten Arabischen Emiraten gehe es momentan um viel mehr als nur zu verhindern, dass sich der Iran atomar bewaffne. "Denen geht es um regionale Vormachtstellungen", sagte Müller.
Wie sich Teheran letztlich entscheidet, ist aber laut Müller nicht abzusehen. Grundsätzlich komme es dem Iran entgegen, dass der Westen das Land im Kampf gegen die Terrororganisation IS brauche. Es sei wichtig, durch einen Atom-Deal diejenigen Kräfte im Iran zu stärken, die auf einen moderaten Kurs setzten und eine Öffnung des Landes gegenüber dem Westen befürworteten. "Das sind (...) die Leute um Präsident Rohani." Letztlich entscheide aber der Revolutionsführer Khamenei. Dieser werde "Top oder Hopp" sagen. Khamenei müsse die innenpolitischen Kräfte im Iran auszubalancieren. Vor diesem Hintergrund sei dessen Entscheidung "eine Black Box", sagte Müller.

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Der deutsche Außenminister über die erhofften Folgen des Abkommens mit dem Iran. Das Abkommen mit und die Rolle des Iran soll jetzt mein Thema sein im Gespräch mit Nora Müller, sie leitet nach Stationen im Nahostreferat des Auswärtigen Amtes und beim Goethe-Institut den Bereich Internationale Politik der Körber-Stiftung und ist dort auch für den "Körber Dialogue Middle East" zuständig. Frau Müller, schönen guten Morgen!
Nora Müller: Schönen guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Offiziell geht es bei den Gesprächen in Wien ja nur, in Anführungsstrichen, um das iranische Atomprogramm, aber eine Annäherung zwischen Iran und dem Westen – vor allen den USA – in dieser Frage, die könnte ja weitreichende Folgen für die gesamte Region haben. Vor allem der Iran hat aber auch Wert darauf gelegt, eben nur über die Atomfrage zu verhandeln, oder?
Müller: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das von iranischer Seite tatsächlich auch so wäre, dass man sagt, wir koppeln die Verhandlungen über das Atomprogramm nicht mit regionalpolitischen Fragen, denn es könnte ja durchaus im Interesse Irans sein, zu sagen, im Moment braucht der Westen einen Partner bei der Bekämpfung von IS, das könnte doch zu unserem Vorteil ins Gewicht schlagen, auch bei den Iran-Verhandlungen.
Nichtsdestotrotz hat der Westen darauf bestanden, zu sagen, beziehungsweise die G3 plus 3, die in Wien verhandeln, zu sagen: Wir stellen keine Verbindung her zwischen regionalpolitischen Fragen und der Lösung des Nuklearkonflikts. Und ich glaube, es wird wichtig sein, dass man eben, falls es tatsächlich zu einem Deal kommen sollte, sich dann auch mit Iran ins Benehmen setzt und guckt: Wo sind denn eigentlich regionalpolitische Fragen, bei denen wir möglicherweise zusammenarbeiten können.
von Billerbeck: Der Iran hat ja Einfluss auch auf Baschar al-Assad in Syrien, auf die Hisbollah im Libanon. Könnte denn das Atomabkommen, wenn es denn dazu kommt – ist ja bisher noch alles offen – könnte das Atomabkommen auch bewirken, dass der Iran eben weniger zündelt und tatsächlich viel mehr als stabilisierende Macht in der Region auftritt?
Müller: Ja, da gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten. Es gibt natürlich die optimistische Lesart, zu sagen: Wenn es denn zu einem Nukleardeal kommt, dann wird der Iran sich tatsächlich auch stärker regionalpolitisch in unserem Sinne, also konstruktiver, engagieren, dann wird es möglicherweise zu einem Einvernehmen kommen bei der Lösung der Syrienfrage, bei anderen regionalpolitischen Fragen, die ungeklärt sind. Das ist ein Szenario.
Es gibt aber auch das andere Szenario, das besagt: Die Leute, die in Teheran für die regionalpolitischen Dossiers zuständig sind, das sind eigentlich gar nicht diejenigen, die jetzt in Wien am Tisch sitzen. Und es könnte sein, dass der Revolutionsführer sagt: Wenn es ein Agreement gibt, dann muss ich sozusagen die konservativen Kräfte in meinem System damit entschädigen, in Anführungsstrichen, indem ich ihnen freie Hand bei diesen regionalpolitischen Fragen lasse.
Und das wäre ein Szenario, das dann eben auf einen weiteren problematischen Kurs des Iran in der Region hindeuten würde.
von Billerbeck: Sie sind Expertin für das Gebiet. Welches Szenario sehen Sie denn, was da eher eintreffen könnte?
Durch einen Atom-Deal müssen die moderaten Kräfte im Iran gestärkt werden
Müller: Also ich glaube, dass es auf jeden Fall wichtig ist, durch das Hinwirken auf einen Deal, auf ein Abkommen, die Kräfte im Iran zu stärken, die auf einen moderaten Kurs setzen, die eine Öffnung des Landes auch gegenüber dem Westen befürworten, und das sind eben die Leute um Präsident Rohani und um seinen Außenminister Javad Zarif.
von Billerbeck: Aber wenn die gar nicht am Tisch sitzen, die anderen, die da auch noch im Blick behalten werden müssen?
Müller: Ja, das ist ein schmaler Grat und das ist eine Situation, die eben auch sehr stark mit innenpolitischen Befindlichkeiten in Teheran zu tun hat.
Am Ende ist derjenige, der entscheidet, immer der Revolutionsführer Ali Khamenei, und der ist derjenige, der letztlich sagen wird, ob top oder hopp, wenn ich das mal so ein bisschen salopp formulieren darf, und der ist vor allem auch derjenige, der versucht, die innenpolitischen Kräfte im Iran gegeneinander auszubalancieren. Und wie dessen Entscheidung am Ende fallen wird, ist natürlich ein Stück weit eine Black Box.
von Billerbeck: Ein Thema, das uns ja hier im Westen und auch in der Region derzeit sehr beschäftigt, ist der Kampf gegen die Terrorkräfte des Islamischen Staats, in Anführungsstrichen. Inwieweit könnte sich denn die Einigung bei den Atomgesprächen mit dem Iran auswirken auf diesen Kampf mit dem IS?
Iran: "Aus der Kälte zurück in die internationale Gemeinschaft"
Müller: Es wäre natürlich so, dass die Beziehungen zu Iran deutlich entkrampft würden, wenn ich das mal so sagen darf, durch ein Nuklearabkommen, und das würde möglicherweise auch eine Kooperation mit Iran im Kampf gegen IS, gegen den Islamischen Staat, erleichtern. Ob das tatsächlich so kommen wird, wird man sehen müssen.
Ich glaube, insgesamt ist es eben sehr wichtig, dass dieses Abkommen zustande kommt, damit es gelingen kann, Iran so ein bisschen, die Iraner sagen immer, "bringing Iran in from the cold", also Iran sozusagen aus der Kälte wieder zurück in die internationale Gemeinschaft zu bringen, damit man das Verhältnis zu diesem doch sehr wichtigen Akteur in der Region konstruktiver gestalten kann. Und dazu gehören natürlich auch Aspekte wie Kampf gegen IS.
von Billerbeck: Wir haben den deutschen Außenminister gehört und seine Formulierung die Bedenken Israels betreffend. Aber es ist ja nicht das einzige Land, das da fürchtet, dass sich das Machtgefüge durch eine Annäherung zwischen Teheran und dem Westen zu ihren Ungunsten verschieben könnte. Saudi-Arabien und die Vereinigten Emirate gehören genauso dazu. Wie berechtigt sind diese Sorgen?
Müller: Also ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich schon so ein bisschen die Lesart der GCC-Staaten, also vor allem Saudi-Arabiens und möglicherweise auch der Vereinten Arabischen Emirate, nachvollziehen kann, denn denen geht es um viel mehr als nur darum, zu verhindern, dass Iran nuklear bewaffnet wird.
Denen geht es um regionale Vormachtstellungen, und da spielen ganz viele Aspekte eben, wie der sunnitisch-schiitische Gegensatz eine Rolle, da spielen unterschiedliche Modelle von islamisch legitimierter Herrschaft eine Rolle. Und das Albtraumszenario vor allem der Entscheidungsträger in Riad ist ja, dass es zu einer Annäherung zwischen Washington und Teheran kommt und dass Iran dann zu einem wieder, muss man sagen – das war ja mal vor der islamischen Revolution auch so – wieder zu einem wichtigen regionalen Partner der USA werden könnte, und dass sich dadurch eben die Machtbalance in der Region eindeutig zuungunsten der GCC-Staaten und vor allem zuungunsten des Big Players Saudi-Arabien verschieben würde.
von Billerbeck: Die Atomgespräche mit dem Iran und das Kräfteverhältnis in der Region – mein Thema im Gespräch mit Nora Müller, Nahostexpertin der Körber-Stiftung. Ich danke Ihnen!
Müller: Ganz herzlichen Dank! Auf Wiederhören!
von Billerbeck: Tschüss!
Müller: Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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