Atomenergie in China

Mehr Beteiligung für die Bürger - theoretisch

Baustelle des Atomkraftwerks im chinesischen Haiyang 2015.
Baustelle des Atomkraftwerks im chinesischen Haiyang 2015 © imago Stock & people/Imaginechina
Jost Wübbeke im Gespräch mit Nana Brink · 30.08.2016
China will den CO2-Ausstoß reduzieren und setzt auf "saubere" Atomenergie. Doch dagegen formieren sich in der autoritär regierten Volksrepublik Bürgerproteste. Jost Wübbeke vom Mercator-Institut für China-Studien sagt, die Regierung lasse Proteste zu, um größeren Aufruhr zu vermeiden.
China setzt auf Atomenergie als "saubere" Alternative zur Kohle, um den CO2-Ausstoß deutlich zu reduzieren. Doch es gibt – das würde man angesichts des autoritären und repressiven Gebarens der chinesischen Regierung kaum vermuten – immer wieder Bürgerproteste, die sich teilweise erfolgreich gegen den Bau von neuen Atomkraftwerken richten.

Rigidere Umweltgesetze

Jost Wübbeke, Leiter des Programmbereichs Wirtschaft und Technologie am Berliner Mercator Institut für China-Studien, beobachtet sei einigen Jahren mehr Kompromissbereitschaft seitens der Zentralregierung.
"Die Zentralregierung hat gemerkt, dass Unzufriedenheit über die Umweltsituation doch sehr stark umschlagen kann und durchaus die Legitimität der eigenen Herrschaft untergraben kann. Insofern besteht hier ein Risiko für das politische System."
In der chinesischen Regierung habe durchaus ein Umdenken stattgefunden – hin zu einem neuen, rigiden Umweltgesetz, das "theoretisch den Bürgern auch mehr Beteiligung einräumt".
Insgesamt sei der Widerstand gegen Atomkraft in China jedoch nicht mit der gut organisierten Anti-Kernenergie-Bewegung in Deutschland vergleichbar. Das Thema sei kein "Politikum" und Widerstand formiere sich nur in einzelnen, kleinen Gruppen.

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: China setzt auf Atomenergie. Die Katastrophe von Fukushima hat vielleicht ein kurzes Innehalten bewirkt, aber – und das wird auch gerade wieder auf der Konferenz der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA zur Zukunft der Kernenergie im Asien-Pazifik-Raum deutlich, und dazu gehört ja auch China – im Land der Mitte will man mehr Atomreaktoren bauen als weniger.
((Bericht))
Erleben wir also einen Atomboom made in China? Aber wir erleben auch Protest, zu unserer Überraschung. Jost Wübbeke ist Leiter des Programmbereichs Wirtschaft und Technologie am Mercator Institute für China-Studien. Schönen guten Morgen!
Jost Wübbeke: Guten Morgen!
Brink: Wir haben also gehört, China setzt auf die Atomindustrie, aber gegen den Bau von Atomkraftwerken gibt es Bürgerproteste. Und das, muss ich ganz ehrlich sagen, passt ja überhaupt nicht so richtig in unser Bild. Wie muss man sich solche Proteste vorstellen?
Wübbeke: Ganz richtig, es gibt vereinzelt Proteste gegen Projekte der Atomindustrie. Vor einigen Wochen kürzlich gab es Proteste gegen eine Wiederaufbereitungsanlage in Jiangsu. Dazu muss man allerdings sagen, das ist keine organisierte Bürgerprotestbewegung, wie wir sie in Deutschland kennen, das sind eher vereinzelte Proteste, die sehr spontan entstehen. Und insgesamt ist eigentlich Atomkraft nicht so ein Politikum wie in Deutschland. Die meisten Atomkraftwerke werden eigentlich ohne größere Proteste gebaut. Also, insofern ist das jetzt schon ein Novum, was wir jetzt in Jiangsu gesehen haben. Allerdings gibt es natürlich sehr viele Umweltproteste in China, die sich auf andere Themenbereiche fokussieren. Also, gerade bei Müllverbrennungsanlagen, bei Stahlkraftwerken, bei Wasserverschmutzung kommt es regelmäßig zu großen Protesten, und das hat die Atomkraft bislang noch nicht geschafft.

Ein Umdenken findet statt

Brink: Erstaunlich ist ja aber doch, dass sich dieser Unmut regen kann, dass die Regierung, ja, muss man fast sagen, das zulässt und nicht im Keim erstickt?
Wübbeke: Ja, ganz richtig, sie lässt es zu. Sie hat im Grunde aber auch keine andere Wahl, denn klar, sie kann diese Proteste niederschlagen, das passiert auch durchaus häufig, nur, die Unzufriedenheit der Leute bleibt ja. Und gerade die Zentralregierung hat gemerkt, dass Unzufriedenheit über die Umweltsituation eigentlich doch sehr stark umschlagen kann und durchaus die Legitimität der eigenen Herrschaft untergraben kann. Also, insofern besteht hier schon durchaus eine, ja, ein Risiko für das politische System. Und man kann durchaus sagen, in der chinesischen Regierung, was die Umweltpolitik angeht, hat dort durchaus ein Umdenken stattgefunden.
Es gibt ein neues Umweltgesetz, was sehr rigide ist, was sehr stark ist und theoretisch den Bürgern auch mehr Beteiligung einräumt. Es gibt hierbei auch immer so ein bisschen ein Spiel zwischen Zentralregierung und Lokalregierung. Die Zentralregierung ist bei solchen Protesten eigentlich mittlerweile eher immer vorsichtig, man ist schneller bereit, Projekte zu verschieben oder ganz zu beenden, während die Lokalregierungen eigentlich immer noch so diesen klassischen Ansatz haben, Proteste niederzuschlagen. Und hier kommt es eben dann häufig vor, dass die Zentralregierung auf die Lokalregierung Druck ausübt, diese Projekte zu beenden.
Brink: Nun haben Sie erklärt, dass die Atomenergie ganz anders als bei uns eigentlich, ja, würden Sie sagen: nicht wirklich umstritten ist in China?

Fukushima hinterließ auch in China Spuren

Wübbeke: Sie ist auf keinen Fall umstritten. Also, genau wie das eingangs erläutert wurde, das ist im Grunde eine saubere Energie, eine saubere Alternative zu Kohle, denn China will ja von der schmutzigen Kohle weg, die immer noch den Großteil der Energie liefert in China. Es gibt also keine, in der Tendenz, sage ich mal, in der Richtung gibt es keine … Da gibt es keine Kontroverse. Allerdings jetzt auch gerade nach Fukushima gab es schon eine Diskussion, wie schnell denn dieser Ausbau vorangehen soll. Und da kann man eben feststellen, dass die chinesische Regierung bereits die Ziele für 2020 deutlich reduziert hat. Also, die waren mal bei über 80 Gigawatt, jetzt sind sie bei 58 Gigawatt, was immer noch sehr, sehr viel ist, also immer noch im Grunde eine Verdoppelung gegenüber dem jetzigen Status, aber nach Fukushima wurden eben viele Projekte einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen und das wichtigste Ergebnis daraus ist eigentlich, dass Kraftwerke im Inland.
Also, bislang sind die meisten Kraftwerke oder alle Kraftwerke Chinas, Atomkraftwerke, sind in den Küstenregionen gelegen und Kraftwerke im Inland bleiben jetzt eigentlich tabu. Denn man fürchtet vor allem die Erdbebengefahr oder dass durch die Atomkraftwerke die Flusssysteme zu warm werden, also dass sie sich aufheizen. Also, hier gibt es durchaus eine gewisse Diskussion, es gibt auch übrigens Kritiker, die öffentlich sagen, wir wollen keine Atomkraft, die sind aber eher in der Minderheit. Also, es ist durchaus schon ein gesellschaftlicher Konsens auch da.
Brink: Interessant war ja auch die Information, dass sie jetzt auch auf einheimische Technik setzen. Die normale Technik hat man ja aus den USA, wie wir gehört haben, gekauft, jetzt will man eigene Reaktortechnik made in China verkaufen. Kann man der vertrauen?
Wübbeke: Ja, Sie können dem chinesischen Reaktordesign insofern vertrauen, wie Sie auch anderen Atomkraftwerken vertrauen.
Brink: Oder man nicht vertrauen.
Wübbeke: Oder nicht vertrauen, genau.
Brink: Also, das sind … Das Reaktordesign Hualong Nummer eins ist ein Reaktor der dritten Generation, dementsprechend hat er auch passive Sicherheitssysteme. Allerdings muss auch dieses Reaktordesign erst mal zeigen, dass es wirklich sicher ist. Es muss erst mal durch europäische Genehmigungsverfahren, die sind sehr langwierig und sehr anspruchsvoll, dauern etwa vier bis fünf Jahre, und wenn der Hualong da durchkommt, dann kann er erst mal als sicher gelten.
Wübbeke: Jost Wübbeke, der Leiter des Programmbereichs Wirtschaft und Technologie am Mercator Institute für China-Studien. Vielen Dank, Herr Wübbeke, für Ihre Einschätzungen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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