Atheismus

Zwei überzeugte Nichtgläubige

"Privatgrundstück - Beten verboten" steht auf einem Schild an einer Garagenwand in Dresden (Sachsen).
Ronald Dworkin und Franz Wuketits würden sicher keinem das Beten zu Gott verbieten. Aber für sie selbst kommt es nicht in Frage. © dpa picture alliance/ Arno Burgi
Von Gesine Palmer · 01.06.2014
Ein deutscher Wissenschaftstheoretiker und ein amerikanischer Rechtsphilosoph fühlen sich veranlasst, ihren Nicht-Glauben zu rechtfertigen. Beide Bücher sind flott und lesenswert geschrieben.
Neuerdings müssen sie sich wieder rechtfertigen - die Leute, die nicht an einen bestimmten persönlichen Gott glauben. Das liegt weniger dran, dass weltweit die Frömmigkeit zunimmt. Es hat wohl mehr damit zu tun, dass Psychologen die seelischen Wohltaten und den ökonomischen Nutzen des Glaubens und der tief empfunden persönlichen Werte entdeckt haben.
Die Botschaft der Seelenkundler, vom Psychoanalytiker bis zum Coach, lautet in etwa: Okay, du glaubst nicht an Gott - aber etwas musst du doch glauben. Tust du es nicht, dann stimmt etwas nicht mit dir. Etwas mit dem Urvertrauen womöglich. Das rüttelt natürlich auch den coolsten Ungläubigen auf.
Denn wenn an dieser Stelle etwas nicht stimmt, führt der Weg entweder direkt in die Psychiatrie - oder zum alten Vorwurf gegen die Atheisten, sie wären moralisch zweifelhafte Subjekte, weil nur ein gläubiger Mensch ernsthaften Grund zu moralischem Handeln habe. Ein Vorwurf, der in der Tat nicht nur in den fernen Gottesstaaten, sondern auch bei uns wieder öfter zu hören ist.
Neuerdings rechtfertigen sich Nichtgläubige wieder
Mich wundert es trotzdem, aber neuerdings rechtfertigen Nichtgläubige sich wieder. So erläutert der deutsche Wissenschaftstheoretiker Franz M. Wuketits, dass und warum gerade Atheisten sehr moralische Menschen sein können, die auch ein sinnvolles und lebenswertes Leben führen. Und der verstorbene amerikanische Rechtsphilosoph Ronald Dworkin beanspruchte für Atheisten den Status einer eigenen Religion, der durch die Religionsfreiheit ebenso geschützt werden müsse wie die eingeführten Religionen, die einen oder mehrere Götter verehren.
Gemeinsam ist beiden, dass sie Albert Einstein verehren und dass sie seltsam vernarrt sind in eine Verbindung zwischen Natur und Moral. Auch darin zeigt sich die enorme Verunsicherung. Es ist noch nicht lange her, dass apologetische Literatur immer die Religion gegen die Angriffe der sieghaft wirkenden Aufklärung verteidigte. Diese beiden Werke zeigen, dass der Spieß umgedreht wurde.
Wuketits wirkt im Duktus selbst noch ein bisschen erstaunt, wenn er den autoritären Neoreligiösen gelassen entgegenhält:
"Gott ist für die Moral eine überflüssige Hypothese."
Oder:
"Dem Kosmos sind wir nicht einmal gleichgültig. 'Gleichgültigkeit' impliziert zumindest die Möglichkeit der Anteilnahme, die wir vom Universum jedoch nicht ernsthaft erwarten dürfen."
Oder eben, indem er Einstein zitiert mit dem Satz:
"Nach dem Sinn oder Zweck des eigenen Daseins sowie des Daseins der Geschöpfe überhaupt zu fragen, ist mir von einem objektiven Standpunkt aus stets sinnlos erschienen."
Das alles sind rationale Sätze, die dem Leser einen lebensfrohen, diesseitsorientierten und geselligen Egoisten nahe bringen sollen, der eben als Atheist seiner Wege geht.
"Wer schon 'kriminell' handelt, wenn er auch nur eine Flasche Alkohol unverpackt über die Straße trägt oder am Badestrand sein Hinterteil entblößt, ist nicht per se ein Verbrecher, sondern hat sich die falsche Gesellschaft ausgesucht."
Einwenden muss man da schon, dass die meisten Menschen sich eben nicht selbst die richtige oder falsche Gesellschaft aussuchen, sondern vielmehr allzu oft in eine falsche Gesellschaft hineingeboren oder von ihr ergriffen werden, wenn sie frei und anders leben wollen.
Dworkin reklamiert den Begriff der Religion auch für den Glauben der Atheisten
Wie prekär es auch in der westlichen Welt für Atheisten bald wieder werden könnte, schien der Amerikaner Ronald Dworkin etwas besser zu wissen. Er verteidigte sich wohl deshalb mit einem anderen Einstein-Zitat:
"Das Wissen um die Existenz des für uns Undurchdringlichen, der Manifestationen tiefster Vernunft und leuchtendster Schönheit, die unserer Vernunft nur in ihren primitivsten Formen zugänglich sind, dies Wissen und Fühlen macht wahre Religiosität aus; in diesem Sinn und nur in diesem gehöre ich zu den tief religiösen Menschen."
Und er tat das mit Bedacht. Er hatte den Angriff der Gegenseite verstanden, den Angriff einer religiösen Rechten, die nur vordergründig um den Kreationismus, um den Glauben an die absolute Wahrheit biblischer Geschichte kämpft. Denn der Angriff wird da gefährlich, wo er auf moralische Haltungen und psychische Dispositionen zielt.
Dworkin setzte nicht wie Franz Wuketits auf den Charme des leichteren Lebens ohne Gott, sondern reklamierte den Begriff der Religion auch für den Glauben der Atheisten, der genauso tiefer Hingabe fähig sei wie der gottfromme. Wie zuvor schon Bertrand Russell und Karl Raimund Popper verwies er darauf, dass auch wissenschaftliche und mathematische Sätze in letzter Instanz geglaubt und für wirklich gehalten werden müssten.
"Im speziellen Fall der Werte meint Glauben jedoch mehr als das, weil unsere entsprechenden Überzeugungen uns zugleich emotional binden. Selbst wenn sie sämtliche Kohärenztests und systemimmanenten Prüfungen bestanden haben: Sie müssen sich auch richtig anfühlen, uns gewissermaßen emotional überzeugen. Sie müssen uns als ganze Person ergreifen."
Für ihn hat deswegen die religiöse Ethik dasselbe Problem wie die nichtreligiöse: jedes einzelne Werturteil muss aus sich heraus und nach einer eigenen kategorialen Ordnung gewonnen werden, es kann nicht aus irgendeinem Satz über das Sein der Welt abgeleitet werden.
"Es führt kein Weg von den Geschichten über die Entstehung des Firmaments oder des Himmels und der Erde ... zum bleibenden Wert von Freundschaft und Familie, zur Bedeutsamkeit von Wohltätigkeit oder zur Erhabenheit des Sonnenuntergangs."
In einem weiteren Schritt definierte er jeden als einen Inhaber "religiöser" Überzeugungen, der sich selbst an absolute Werte bindet, ob nun mit oder ohne Glauben an einen personalen Gott. So ist dem Atheisten das Recht auf Gewissensfreiheit gesichert und auch für ihn der psychologische Test auf seelische Gesundheit bestanden.
Beide Bücher bieten interessante Argumentationen. Beide sind flott geschrieben und lesenswert, wobei der Amerikaner etwas tiefer gründet und komplexer schreibt als der Deutsche.

Ronald Dworkin: Religion ohne Gott
Aus dem Amerikanischen von Eva Engels
Suhrkamp Verlag Berlin, 2014
146 Seiten, 19,95 Euro, auch als ebook

Franz M. Wuketits: Was Atheisten glauben
Gütersloher Verlagshaus, 2014
192 Seiten, 19,99 Euro, auch als ebook