Asymmetrische Kriege

Moderation: Jürgen König · 22.08.2006
In Zukunft wird es nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler von der Humboldt-Universität Berlin nur noch so genannte asymmetrische Kriege zwischen Staaten und kleineren Gruppen wie Freischärlern und Terrororganisationen geben. Diese würden sich als Freiheitskämpfer tarnen, um sich Legitimation zu verschaffen.
König: Dass Staaten Kriege gegeneinander führen, das gab es einmal. Heute werden Staaten von Gruppen herausgefordert, von Partisanen, von weit vernetzten Terrororganisationen. Und das sind ganz andere Kriege, die anders geführt werden, über die entsprechend auch ganz anders gesprochen, berichtet, geurteilt werden muss als über frühere klassische Kriege. Das ist Thema und These des Buches von Herfried Münkler, "Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie ". Herfried Münkler ist Politikwissenschaftler an der Berliner Humboldt Universität. Herr Professor Münkler, guten Morgen!

Münkler: Guten Morgen!

König: Was ist ein asymmetrischer Krieg?

Münkler: Also vielleicht ist es am besten zu beschreiben, indem man zunächst einmal beschreibt, was ein symmetrischer Krieg ist. Nämlich, dass die gegeneinander antretenden Akteure von ihren Fähigkeiten her einander so ähnlich sind, dass darüber begründet auch ihre Rationalität, ihre Kreativität und die Legitimität, auf die sie sich stützen, einander spiegelbildlich entspricht. Das heißt, sie lernen in gleicher Weise und sie können auch einen Gewaltakt unterlassen, wenn sie beobachten, dass der Gegner ihn unterlässt. Im Prinzip beruht das Sicherheitssystem, das Völkerrecht, die kriegsrechtlichen Regelungen von der Haager Landkriegsordnung bis zu den Genfer Konventionen, immer auf solcher Symmetrie der Gleichartigkeit der Akteure mit allen Folgen. Und in dem Augenblick, wo das wegfällt, weil ein Akteur so schwach ist, sagen wir mal, dass er zu dem Ergebnis kommt, es macht für ihn keinen Sinn zu versuchen, gleichartig mit dem Starken zu werden, sondern er muss in eine ganz andere Richtung lernen. Dann beginnt Asymmetrierung.

König: Die große Zeit der symmetrischen Kriege, vermute ich, war, sagen wir mal, vom Mittelalter, wo das keine Privatangelegenheit mehr ist, sondern wo es ein Staatsmonopol allmählich gibt, bis zum Ende des Kalten Krieges, als das große Gleichgewicht der Mächte sich auflöst. Ist die Zeit der Staatenkriege damit zu Ende gegangen, kann man das so sagen?

Münkler: Das ist eigentlich die These, auf der ich meine Überlegungen begründet habe. Die große Zeit der staatlichen Kriege beginnt in Europa im 15., 16. Jahrhundert, als es den Staaten gelingt, anderen Akteuren die Kriegsführungsfähigkeit zu entziehen, und das passiert in der Regel dadurch, dass sie den Krieg teurer machen. Mit der Entwicklung des Geschützes, der Artillerie wird der Krieg so teuer, dass private Akteure nicht mehr kriegführungsfähig sind, so dass es also nicht nur ein Vorgang der Juristen ist, die das Gewaltmonopol beim Staat festmachen, sondern auch etwas, was durch technologische Entwicklung und ökonomische Faktoren nun tatsächlich auch durchgesetzt wird. Und so lange die Kriege immer teurer geworden sind, war es klar, dass im Prinzip nur Staaten oder nur noch große Staaten und am Schluss eigentlich nur noch die beiden Weltmächte, Sowjetunion und USA, im wirklich nachhaltigen Sinne kriegführungsfähig sind, und damit war es dann auch möglich, tendenziell Krieg zum Verschwinden zu bringen. Aber dann sind Kriege plötzlich wieder billiger geworden oder es war sozusagen die Erfindung, die Kreativität asymmetrischer Akteure, Methoden zu finden, Krieg zu führen, der billig ist, so dass sie nicht Flugzeugträger und Bombergeschwader und Satelliten, und was auch immer die Sache so teuer macht, brauchen, sondern tendenziell, wenn man es pointieren will, mit Teppichmessern am 11.09. in der Lage waren, die Supermacht in ihrem Herz zu verletzen.

König: Das heißt, die Zukunft sieht nur noch asymmetrische Kriege?

Münkler: Davon wird man ausgehen müssen, denn die Herstellung symmetrischer Kriegführungsfähigkeit ist so teuer und dann bei Führung eines Krieges im Ergebnis für die Beteiligten so verlustreich, dass es, wenn sie einigermaßen bei politischer Rationalität sind, für sie völlig unattraktiv ist, diese Sache mit Gewalt auszutragen. Wir beobachten das ja im Prinzip nach dem Zweiten Weltkrieg, dass sich die Kriege an die Peripherie der Wohlstandszone zurückgezogen hat, wo auch die Verletzlichkeit der politischen Akteure aufgrund ihrer komplexen Infrastruktur, ihrer Industrieausstattung und derlei mehr so nicht gegeben ist. Nein, es werden wohl eher Kriege sein, in Form von Partisanenkriegen und insbesondere des Terrorismus, die im 21. Jahrhundert das Bild des Krieges prägen werden.

König: Nehmen wir diesen asymmetrischen Krieg, den wir gerade miterlebt haben oder noch miterleben, Israels gegen die Hisbollah. Was sehr auffiel, war ja die frühe Forderung an Israel, doch bitte die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren. Von der Hisbollah hat das niemand gefordert, einfach weil man die Hisbollah als Kriegsgegner sozusagen gar nicht wahrgenommen hat. Ist das das Vertrackte dieses asymmetrischen Krieges, dass der Goliath, Sie benutzen dieses Bild auch, natürlich David gegen Goliath als Metapher für diesen asymmetrischen Krieg, dass Goliath immerzu zu hören bekommt, doch bitte sich zu mäßigen und auf die Verhältnismäßigkeit seiner Mittel zu achten, während David ja fast, zumindest in der Wahrnehmung zunächst, ich will nicht sagen ungescholten bleibt, aber doch sehr viel weniger beachtet wird.

Münkler: Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt. Die symmetrische Konfrontation hat gewissermaßen auch den neutralen Beobachter ermöglicht, der über die Einhaltung der für beide Seiten verbindlichen Regeln gewacht hat. Das gilt bei der Asymmetrie nicht. Wir haben gewissermaßen kulturell bedingt von vornherein Sympathien für den Kleinen, den Schwachen. Es wird mir keiner erzählen können, dass er bei der Erzählung der Geschichte David und Goliath in irgendeiner Weise um Goliath getrauert habe und gedacht hat, wie heimtückisch ihn der Kleine zu Fall gebracht hat. Insofern legen wir die Fesseln immer dem Goliath, sprich in diesem Falle, dem staatlich…

König: Auch wenn David eine Terrororganisation ist?

Münkler: Ja nun, ich meine, die tritt natürlich nicht so auf. Sondern sie camoufliert sich entweder als Widerstandskämpfer oder als Freiheitskämpfer. Sie beschaffen sich gewissermaßen eine Ästhetik, in dem sie sich mit politischen Legitimationen umkleiden und haben deswegen hübsche Locken.

König: Das heißt, was macht ein Goliath, oder was muss er machen? Sich kümmern, dass er David möglichst schnell ausschaltet, ehe er im Unrecht dasteht.

Münkler: Das muss er tun, aber dann wird er natürlich auch immer wieder den Vorwurf zu hören bekommen, er habe ja eigentlich einen unschuldigen Zivilisten erschlagen. Denn der David, der durch den Bach kommt, hat ja weder Helm noch Schild noch Schwert, sondern nur eine Schleuder, die als Waffe noch nicht erkennbar ist, und er holt sich einen Kiesel aus dem Bach. Also er wird zwangsläufig mit diesem Vorwurf konfrontiert werden, wenn er allerdings den David erst einmal sich aus dem unschuldigen Zivilisten in einen getarnten Kombattanten verwandeln lässt, dann ist es um ihn geschehen, dann trifft ihn schon der Stein an der Stirn. Und in gewisser Hinsicht hatten die Israelis jetzt im Libanon genau das Problem, sich nicht entscheiden zu können. Sie haben antizipiert, dass, wenn sie ihre Luftangriffe weiter massiv fortsetzen, sie dann in der Weltöffentlichkeit sich in einer Weise ins Unrecht setzen, die ihnen große politische Kosten auferlegt, und deswegen haben sie es gebremst gefahren.

König: Wenn man sich den Nahen Osten nach dem Zweiten Weltkrieg anschaut, dann tritt ja Israel zunächst selber als David auf vor dem Hintergrund dieser unglaublichen Arabischen Macht, wo jeder gesagt hat, die Israelis, werden sie das überhaupt schaffen? Heute hat sich das Bild völlig umgekehrt. Kann man die Geschichte dieser Nahost-Kriege als einen Kampf auch darum lesen, wer ist David, wer ist Goliath?

Münkler: Ja genau. Also normalerweise gucken wir ja nur auf die Gefechtsfeldsituation, aber das politische Framing, wenn man so sagen darf, also die Herstellung von Rahmenbedingungen drehte sich eigentlich um die Frage, wer bekommt die attraktive David-Position und wer muss mit der Rolle des Goliath vorlieb nehmen. Und solange es die arabischen Staaten mit ihrer materiellen Überlegenheit waren, hatte Israel den großen Vorteil, die David-Rolle besetzen zu können. Und es war sozusagen ein Mediencoup von Jassir Arafat, dass er mit Schleudern bewaffnete Jugendliche gegen israelische Soldaten mit Schutzwesten und Sturmgewehren und gepanzerten Fahrzeugen hat antreten lassen für die Weltöffentlichkeit, nicht weil er damit irgendetwas operativ erreichen wollte, sondern er wollte die Wahrnehmung des Konflikts verändern, und das ist ihm gelungen. Und seitdem hat Israel ein Problem.

König: Haben die USA das gleiche Problem als Goliath der Weltpolitik?

Münkler: Natürlich haben die USA dieses Problem. Also es sind fast immer die USA, denen der Vorwurf des Unverhältnismäßigen, des Überreagierens und derlei mehr gemacht wird, und ich will damit jetzt, wenn ich das so beschreibe, auch gar nicht in Abrede stellen, dass dieser Vorwurf gelegentlich berechtigt ist, aber er ist gewissermaßen generalisiert und wird nicht differenziert, und was unsichtbar bleibt, sind die kleinen Provokationen, die dazu führen, dass dann der große Apparat einmal zuschlägt.

König: Sie haben es vorhin schon angesprochen, Professor Münkler, dass die sicherheitspolitischen Grundlagen, auch die völkerrechtlichen Grundlagen, noch stammen aus einer Zeit symmetrischer Kriege. Eigentlich müssten doch die vier Genfer Konventionen, die es gibt, umgeschrieben werden.

Münkler: Na ja, gut. Eigentlich müsste das der Fall sein. Nun wissen wir aber, wie schwierig es nach '45 gewesen ist, hier effektive Weiterentwicklungen zu machen. Also beispielsweise gab es früher ja noch die Möglichkeit Depressionen gegenüber Akteuren, die als Partisanen auftreten, Geiselnahme, sogar die Androhung von Geiselerschießungen und so weiter. Das hat man alles aus humanitären Gründen fallen lassen. Das heißt, man hat Goliath weiter gefesselt und David weiter aufgerüstet in normativer Hinsicht. Man hat also, wie das nun einmal für postheroische Gesellschaften der Fall ist, im Prinzip darauf gesetzt, dass der Krieg als Krieg generell verschwinden wird, wenn man sich ihn nur als Duell der Goliaths vorgestellt hat, und man hat den David nicht im Auge gehabt. Und in dieser Form sind permanent Prämien auf solche, als Zivilisten getarnte, Kriegsakteure gezahlt worden, und die kommen jetzt zum Niederschlag.

König: Die Duelle der Goliaths endeten in der Regel mit einer Schlacht, aus der dann jemand als Sieger hervorgeht. Wie kommt man aus einem asymmetrischen Krieg wieder heraus? Was steht an dessen Ende, ein Gemetzel?

Münkler: Am Ende vielleicht nicht unbedingt, aber im Verlauf asymmetrischer Kriege kommt es immer wieder zu Massakern von beiden Seiten. Das können die Angriffe auf das World Trade Center sein, das können aber auch etwa der US-Luftangriff auf den "Highway of Death" sein. Also Massaker ist eine Begleiterscheinung asymmetrischer Kriege und sie können nicht beendet werden durch einen Friedensvertrag. Symmetrische Kriege wurden eröffnet mit der Kriegserklärung und beendet mit dem Friedensvertrag. Was wir stattdessen erfunden haben, ist der Begriff "Friedensprozess", also ein langer Vorgang der psychischen Umgestaltung dieser Akteure, der Gewinnung von Vertrauen und so weiter, Vorgänge, die sich meistens über ein Jahrzehnt hinziehen, in denen der Krieg dann auf niedriger Flamme weiterköchelt und man nicht sicher ist, ob er wieder ausbricht. Der Blick in solche Konflikte zeigt eigentlich, dass er immer wieder dann hochkocht und es sind wenige Konflikte, bei denen es dann gelungen ist, sie dauerhaft zu beenden.

König: Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler im Gespräch. Sein neues Buch "Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie " ist erschienen im Verlag Velbrück Wissenschaft, 397 Seiten hat das Buch, kostet 16 Euro. Herr Münkler, vielen Dank!

Münkler: Bitte schön!
Mehr zum Thema