Asylrechtsexperte fordert schnelles Handeln bei Bleiberechtsregelung

Ralph Göbel-Zimmermann im Gespräch mit André Hatting · 21.10.2013
Nach Meinung von Ralph Göbel-Zimmermann, Richter am Verwaltungsgericht Wiesbaden, muss die neue Bundesregierung schnellstmöglich eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für Asylbewerber einführen.
André Hatting: Sie haben ihr Leben riskiert und einen kleinen Sieg errungen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den knapp 30 Asylbewerbern vor der Brandenburger Tor in Berlin versprochen, dass ihre Anträge jetzt im Schnellverfahren geprüft würden. Dafür setzen die Flüchtlinge ihren Hungerstreik aus und räumen das Protestcamp. Aber es bleibt etwas zurück. Einerseits ganz konkret ein weiteres Protestcamp, nur wenige Kilometer weiter, in Kreuzberg, und andererseits die Frage, muss man in Deutschland erst in den Hungerstreik treten, damit ein Asylantrag schnell geprüft wird.

Dieses Problem berührt das deutsche Asylrecht, und deswegen ist Ralph Göbel-Zimmermann hier der Richtige. Der vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht Wiesbaden ist Experte auf diesem Gebiet, sein Buch "Ausländer- und Asylrecht" Standardwerk in der Rechtswissenschaft. Ich wollte zunächst wissen, warum das eigentlich so lange dauert, bis ein Asylantrag geklärt ist.

Ralph Göbel-Zimmermann: Na ja, das hat mehrere Ursachen, Herr Hatting. Es liegt einmal daran, dass das Bundesamt angibt, dass sie zurzeit heillos überfordert sind mit Asylanträgen, weil die Asylanträge wieder sehr stark zugenommen haben, also in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr um 74 Prozent.

Allerdings war diese Situation schon ab dem Jahr 2010 voraussehbar. Das Bundesamt hat stark Personal abgebaut und umgeschichtet in den Bereich der Integration. Das ist einer der Gründe für das schleppende Verfahren und überlange Verfahrensdauern.

Hatting: Wir hatten ja 1995 viel, viel mehr Asylbewerber, nämlich 128.000, das ist immer noch mehr als wir jetzt haben, mehr als doppelt so viel. Das Argument scheint mir etwas seltsam zu sein.

"Die Situation war voraussehbar"
Göbel-Zimmermann: Ja, das kommt mir auch seltsam vor. Wir können das auch als Gerichte überwiegend nicht akzeptieren, denn die Situation war voraussehbar, das Bundesamt hat stark Stellen abgebaut und hätte also entsprechend frühzeitig auf die Situation reagieren können. Das Argument, dass jetzt sogenannte Priorisierungen erfolgen wegen einem erhöhten Zuwachs aus den Balkanstaaten und einer vordringlichen Bearbeitung von offensichtlich unbegründeten Asylanträgen kann und wird auch von den Gerichten teilweise nicht akzeptiert, weil es schließlich darum geht, besonders schutzbedürftigen Personen auch schnell Sicherheit über ihren Aufenthaltsstatus zu gewähren.

Dazu gehören insbesondere Kinder. Es ist ein untragbarer Zustand, bei unbegleiteten Flüchtlingskindern, dass sie über ein Jahr auf ihre Anhörung beim Bundesamt warten müssen.

Hatting: Das Bundesinnenministerium hat jetzt im Fall der Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor gesagt, es gebe keine Extrawurst. Fälle würden im Asylverfahren geklärt und nicht auf Straßen und Plätzen. Trotzdem hat das Bundesamt jetzt nachgegeben und Vertreter in das Camp geschickt. Macht sich der Staat damit erpressbar?

Göbel-Zimmermann: Ach, ich denke, er macht sich nicht unbedingt erpressbar dadurch, denn es ist ja auch so, dass die Flüchtlinge ja ganz unterschiedliche Schicksale haben, und das muss eben im Einzelfall beurteilt werden, da kann man keine generelle Aussage treffen. Also es kommt immer drauf an, auf den Einzelfall.

Und ich denke, es ist auch legitim, dafür zu kämpfen und auch zu demonstrieren. Ob man dann so weit geht bis zu einem Hungerstreik, das ist eine andere Frage, aber ich denke, es ist schon legitim, auch dafür einzutreten, dass hier bei uns die Asylverfahren etwas zügiger und auch humaner durchgeführt werden und auch eine sehr intensive Einzelfallprüfung jedes einzelnen Schicksals stattfindet.

Hatting: Was aber wiederum Zeit kosten würde.

Göbel-Zimmermann: Natürlich kostet das Zeit, aber ein gutes Asylverfahren ist nicht umsonst zu gewinnen. Und wir würden uns auch als Richter oftmals wünschen, dass das Bundesamt sich in dem einen oder anderen Fall mehr Zeit nimmt und eine etwas sorgfältigere Sachaufklärung durchführt.

Hatting: Die Flüchtlinge vom Brandenburger Tor kommen jetzt erst mal in eine kirchliche Unterkunft. Welchen rechtlichen Status haben sie eigentlich damit?

Göbel-Zimmermann: Damit haben sie also eigentlich noch keinen Status.

Hatting: Also kein Kirchenasyl, das ist noch kein Kirchenasyl?

"Das Kirchenasyl war eigentlich das erste Asyl"
Göbel-Zimmermann: Kirchenasyl, denke ich, Herr Hatting, ist eh kein rechtlicher Status, sondern eher ein außerrechtlicher Status, der so alt ist wie das Christentum überhaupt. Also das Kirchenasyl war eigentlich das erste Asyl, was es überhaupt gegeben hat. Aber das ist noch kein rechtlicher Status.

Also rechtlichen Status haben Asylbewerber in einem Asylverfahren, solange ihr Asylverfahren läuft, haben sie eine Aufenthaltsgestattung. Ansonsten sind sie nur geduldet bei uns in der Bundesrepublik. Da schwebt immer noch das Damoklesschwert der jederzeitigen Ausweisung über ihren Köpfen.

Hatting: Eine Ablehnung eines Asylantrages bedeutet ja noch nicht automatische eine Ausweisung, eine Abschiebung. Es gibt ja dann auch mal die Möglichkeit, dass eine Härtefallkommission der jeweiligen Bundesländer eingeschaltet wird. Können sich eigentlich die Asyl suchenden an so eine Härtefallkommission wenden?

Göbel-Zimmermann: Es gibt ja unterschiedliche Möglichkeiten auch außerhalb des Asyls, einen sogenannten subsidiären Bleibestatus zu erhalten. Am Ende aller Tage werden dann Härten etwas weichgespült durch Härtefallkommissionen. Ich denke, man muss erst mal alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, ihnen einen sicheren Bleibestatus zu gewähren. Das Handwerkszeug ist im Aufenthalts- und Asylrecht vorhanden bei uns.

Wenn es dann zur Härtefallkommission kommen sollte, haben die Betroffenen selbst kein Antragsrecht und auch kein Recht auf Durchführung eines Härtefallkommissionsverfahrens. Das kann nur ein Mitglied der Härtefallkommission selber vor die Härtefallkommission bringen. Also, es muss sich immer jemand finden, der dann das Anliegen des Flüchtlings dort zur Sprache bringt und auch verteidigt.

Hatting: Herr Göbel Zimmermann, täuscht der Eindruck, oder haben diese Kommissionen in den letzten Jahren tatsächlich immer mehr zu tun bekommen?

"Nachdenken über eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung"
Göbel-Zimmermann: Sie haben immer mehr zu tun bekommen, aber das liegt auch teilweise daran, dass sich Politik und auch die Ministerien etwas sehr hartleibig stellen. Also ich denke, wenn mehr Wert darauf gelegt werden würden, einen sicheren Bleibestatus gerade für diejenigen, die seit Langem hier in Deutschland leben, die über zehn Jahre teilweise mit Kettenduldungen hier leben müssen ohne eine Aufenthaltsperspektive, dann muss man schon drüber nachdenken über eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für diese Flüchtlinge, um ihnen hier ein Aufenthaltsperspektive in der Bundesrepublik zu ermöglichen. Wenn das nicht der Fall ist, haben natürlich selbstverständlich dann irgendwann Härtefallkommissionen das auszubaden, was die Politik versäumt hat.

Hatting: Sie sprechen von Versäumnissen der Politik. Möglicherweise ist es also auch Zeit, dass die Flüchtlingspolitik ein Thema der neuen Bundesregierung wird. Gehört die in den Koalitionsvertrag?

Göbel-Zimmermann: Das auf jeden Fall. Also, alle Organisationen, auch die Flüchtlingsorganisationen hier bei uns in der Bundesrepublik haben vor der Wahl entsprechende Forderungen an die Politik erhoben, die müssen einfach nur in Angriff genommen werden und umgesetzt werden. Aber nicht nur hier bei uns in Deutschland, Herr Hatting, sondern es ist natürlich auch ein Thema auf europäischer Ebene.

Hatting: Was müsste – bleiben wir noch mal ganz kurz in Deutschland –, was müsste eine neue Bundesregierung Ihrer Ansicht nach sofort ändern?

Göbel-Zimmermann: Sofort ändern muss sie auf jeden Fall, dass in das Gesetz eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für Flüchtlinge aufgenommen wird. Das, denke ich, das ist mal vordringlich, um diesen Flüchtlingen zunächst mal einen Schutz und eine Perspektive hier in der Bundesrepublik zu gewähren.

Hatting: Was heißt das ganz konkret?

Göbel-Zimmermann: Das heißt ganz konkret, dass also Flüchtlinge, die hier integriert sind, die auf Dauer schon hier in der Bundesrepublik leben, dass man diesen Flüchtlingen einen Aufenthaltsstatus gibt. Wenn Sie so wollen, ist das so eine Altfallregelung oder Bleiberechtsregelung. Die gibt es schon für Jugendliche, die hier nachhaltig integriert sind in unser Schulsystem, eine solche Regelung haben wir schon, aber diese Regelung muss ganz generell auch für Erwachsene gelten.

Hatting: Ralph Göbel-Zimmermann, vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Wiesbaden und Experte für Ausländer- und Asylrecht. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Göbel-Zimmermann: Ja, gerne, Herr Hatting!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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