Asylpolitik in Finnland

15.000 Flüchtlinge in der Kleinstadt Tornio

Flüchtlinge in Helsinki, Finnland
Dunkel und kalt: Viele Flüchtlinge haben es schwer, sich an das finnische Wetter zu gewöhnen © dpa / picture alliance / Mikko Stig
Von Jenni Roth · 19.01.2016
Tausende Flüchtlinge sind im vergangenen Jahr nach Finnland gekommen. Hier macht ihnen das Wetter zu schaffen, ungewohnt dunkel und kalt ist es. Doch noch etwas anderes müssen sie hinnehmen: Nicht alle Finnen gehen offen auf die Geflohenen zu.
"Hier ist das Zelt mit den Toiletten für die Flüchtlinge... Und da vorn die Grenze, wo sie rüberkommen... Mit dem Bus aus Lulea. Da drüben ist Ikea, das ist dann schon Schweden!"
Hauptkommissar Janne Koskela ist auf dem Weg zur Arbeit. Vor dem Autofenster: Tornio – ein Einkaufcenter, Birken, Kiefern, eine zugeschneite Bucht. Ein paar Straßen, Holzhäuser. Ein Lidl, eine Tankstelle – die man kaum sieht, weil es mittags um zwei schon wieder dunkel wird.
"Warum kommen die Flüchtlinge bis hierher? - Weil sie gehört haben, dass man hier studieren kann, dass der Asylprozess schnell über die Bühne geht..."
Seit September sind mehr als 15.000 Flüchtlinge in Tornio angekommen, die kleine finnische Stadt gilt seitdem als Hotspot. 30.000 Menschen flüchteten 2015 insgesamt nach Finnland – mehr als zehnmal so viel wie noch im Vorjahr.
Der Bau mit dem roten Ziegeldach war bis vor einem Jahr ein Gymnasium. Jetzt sind in der ehemaligen Turnhalle vor den Basketballkörben Sicherheitskontrollen aufgebaut, an den Wänden Aushänge auf Arabisch, Englisch, Farsi, Dari Das Registrierzentrum. Hier müssen die Flüchtlinge als erstes durch.
Abdullah kann schon etwas Finnisch
Koskela verbringt seit September viel Zeit hier: Die Polizei arbeitet eng mit den Migrationsbehörden zusammen. Nur ist es fast leer in den Gängen der ehemaligen Schule: Die Flüchtlinge werden gut von Journalisten abgeschirmt. Und bleiben meist auch nur ein, zwei Tage in Tornio, bevor sie in Finnland verteilt werden. Auch an der Grenze ist es gerade relativ ruhig.
Immerhin: Ein paar Flüchtlinge sind im Kirppis, dem Finnland-typischen Indoor-Flohmarkt. Ein Mann mit Winterstiefeln steht an der Kasse. Seine beiden Kinder sind in dicke Schneeanzüge gepackt.
"Er ist aus dem Irak – Schnee ist er nicht gewöhnt – und braucht jetzt die passenden Schuhe."
Hyvät kengät – gute Schuhe! Abdullah kann schon etwas Finnisch. Der Computerspezialist hat als palästinensischer Flüchtling länger im Irak gelebt. Ende August war er einer der ersten, die in Tornio ankamen. Vor Ort ist er mittlerweile bestens integriert. Abdullah trinkt sogar schon finnischen Filterkaffee.
"Er ist wie mein Onkel! Ich nenne ihn Onkel!"
"Wir mochten uns sofort! Abdullah ist ein Supertyp."
Sein "Onkel", das ist Matti, der Inhaber des Flohmarkts. Jeden Morgen tritt Abdullah bei ihm hier zum "Dienst" an: Hilft für ein bisschen Taschengeld als Verkäufer, Aufräumer, Dolmetscher.
Die Wahre-Finnen-Partei machte Stimmung gegen Einwanderer
Matti schätzt ihn sehr, doch längst nicht alle sind so aufgeschlossen wie der Mittsechziger. Als im Herbst die vielen Flüchtlinge kamen, wurden sie in Tornio auch beschimpft, beleidigt, angegriffen. Die rechtspopulistische Wahre-Finnen-Partei machte und macht Stimmung gegen Einwanderer.
"Man ist das hier oben nicht gewöhnt, wir waren immer unter uns. Die Menschen neigen deshalb dazu, dem Fremden zu misstrauen und alles Schlechte in die Flüchtlinge zu projizieren."
Auch Abdullah hat Anfeindungen erlebt, wurde angepöbelt, und Türsteher ließen ihn nicht in einen Club, weil sein Pass noch bei der Polizei liegt. Er hat auch die Proteste im Herbst miterlebt, als Demonstranten aus ganz Finnland gegen Flüchtlinge wetterten. Macht alles nichts, sagt er. Kein Ton der Klage. Nicht über die Dunkelheit, nicht über die Kälte, die wortkargen Finnen, die Einsamkeit, das Essen, darüber, dass er seit vier Monaten auf seinen Asylbescheid wartet.
"Ich bin einfach nur dankbar hier zu sein: Wenn ich im Irak aus dem Haus gegangen bin, habe ich immer meine Kinder geküsst, in dem Bewusstsein, dass es das letzte Mal sein könnte... Als ich hier das erste Mal vor einem Polizisten stand, bekam ich Panik. So kenne ich das aus dem Irak nicht. Aber dann redete er nur nett! Und die Schulen hier! Es gibt eine Küche, und einen Pausenhof zum Spielen. Und der Unterrichtsstil: Bei uns werden die Kinder eingeschüchtert, wenn sie etwas nicht verstehen. Hier setzt sich Lehrer mit ihm zusammen."
Abgeschreckt vom langwierigen Asylprozedere
Abdullah hofft, dass er seine Familie bald nachholen kann, seine vier Töchter in genau so eine Schule gehen können.
Dabei fühlen sich offensichtlich nicht alle Flüchtlinge im Land wohl: Mehr als 2000 Iraker sind mittlerweile in ihre Heimat zurückgekehrt. Offenbar abgeschreckt von Einsamkeit und Kälte. Vom langwierigen Asylprozedere. Und denjenigen, die gegen die Flüchtlinge Stimmung machen.
Wie Arto, der später bei Matti im Flohmarkt steht und sehr deutlich sagt: Ihr seid hier nicht willkommen.
"Man sollte denen eine Briefmarke auf den Hintern drücken und postwendend zurückschicken! Gibt doch genug Länder auf dem Weg, wo sie bleiben können! Die können sich einfach nicht benehmen: Wir hatten so viele Vergewaltigungen, hier, in Kempele, Porvoo, ... Die achten ihre Frauen nicht!"
Abdullah hat das nicht gehört. Für ihn ist klar: Er will in Finnland bleiben, in Tornio, bei Matti, seinem "Onkel". Dafür fehlt ihm noch das Okay aus Helsinki. Die Behörden interessiert wenig, dass er aus dem Flohmarkt kaum mehr wegzudenken ist.
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