Asylanträge

Schweden bereitet sich auf Flüchtlingswelle vor

Hände von afrikanischen Asylsuchenden am Zaun des Internierungslagers Holot
Deutschland und Schweden gehören zu den europäischen Ländern, die die meisten Flüchtlinge aufnehmen. © JACK GUEZ / AFP
Von Christine Westerhaus · 19.01.2015
Dieses Jahr erwartet Schweden mehr als 100.000 Asylsuchende, 2012 waren es noch weniger als die Hälfte. Die Behörden zeigen sich vom Ansturm überfordert - und in der Bevölkerung gedeihen die Ressentiments.
Das Asylheim "Dalagärde", etwa zehn Kilometer nördlich von Göteborgs Zentrum gelegen - eine ehemalige Jugendherberge mit Vollverpflegung. Die 180 Asylbewerber wohnen hier zu dritt oder zu viert in schmucklosen Räumen. Zehn Männer sitzen im Erdgeschoß an weißen Tischen mit Stiften in der Hand. Aufmerksam schauen sie an die Tafel, auf die eine Lehrerin schwedische Vokabeln schreibt.
Die Männer stammen aus Somalia oder Eritrea. Mohammed Aruqi hat sie in die gleiche Sprachkurs-Gruppe eingeteilt, weil sie Englisch sprechen können. Er sitzt im Raum nebenan für das Rote Kreuz und das Projekt "Welcome to Sweden", eine Art Integrations-Schnellkurs für Asylbewerber.
"Mit dem 'Welcome to Sweden'-Projekt versuchen wir die Lücke zu füllen, die die schwedische Einwanderungsbehörde offen lässt. Wir bringen den Asylbewerbern ein bisschen Schwedisch bei, damit sie im Supermarkt einkaufen können. Außerdem lernen sie etwas über die schwedische Kultur, die Geografie und das Bildungssystem. Das alles bereitet sie besser auf die Integration vor."
Schwedische Behörden sind völlig überfordert
Mohammed Aruqi ist selbst vor zwei Jahren aus Palästina nach Schweden geflohen und kennt viele hier persönlich. Sie begrüßen ihn per Handschlag. Eigentlich wäre es Aufgabe des schwedischen Staats, sich um die Asylbewerber zu kümmern, findet der Exil-Palästinenser. Doch er stellt fest, dass die Einwanderungsbehörden mit der Situation völlig überfordert sind. 2014 sind 80.000 Flüchtlinge nach Schweden gekommen.
"Die Zahl der Einwanderer ist in den letzten eineinhalb bis zwei Jahren signifikant angestiegen. Doch die Einwanderungsbehörden haben die Anzahl der Mitarbeiter nicht erhöht. Deswegen dauern die Asylverfahren wesentlich länger. Ein Jahr manchmal sogar eineinhalb Jahre."
Auch Gassam aus Syrien wartet schon eine gefühlte Ewigkeit darauf, dass die schwedischen Behörden seinen Asylantrag genehmigen. Er steht am Tresen des provisorischen Beratungsbüros im Flüchtlingsheim Dalagärde und will sich abmelden. Gassam hat sich auf eigene Faust ein Zimmer in der Stadt besorgt und macht einen privaten Sprachkurs, den er selbst bezahlt. Vor gut einem halben Jahr ist er nach Schweden geflohen, 8000 Euro hat er an seine Schleuser bezahlt um bis hierher zu kommen.
"Als ich nach Schweden kam waren alle sehr nett zu mir. Alle haben versucht, uns zu helfen. Aber die Situation ist momentan sehr schwierig. Während des Asylverfahrens können wir nicht an den staatlich organisierten Schwedischkursen teilnehmen und sitzen hier einfach untätig herum. In meinen Augen ist das Zeit- und Geldverschwendung. Wir kommen schließlich her, um die Sprache zu lernen und arbeiten zu gehen."
In der Beratungsstelle sortiert Baskim an einem großen Tisch Dokumente. Der gebürtige Kosovare arbeitet bei der schwedischen Einwanderungsbehörde und kümmert sich zwei Tage pro Woche um den Papierkram der 180 Asylbewerber in Dalagärde. Auf einem Stadtplan erklärt er ihnen den Weg zu wichtigen Behörden, verteilt die Post und Bustickets an diejenigen, die einen Anhörungstermin vor Gericht haben. Ein Dolmetscher hilft ihm dabei.
"Die meisten hier kommen aus Syrien, viele aus Eritrea oder Somalia, aber auch aus Palästina. Vor neun Jahren bin ich selbst aus dem Kosovo hierher gekommen. Ich erkenne das alles hier wieder, aber es hat sich auch viel verändert. Zum Beispiel haben wir damals in eigenen Wohnungen gelebt. Ich freue mich, jetzt anderen helfen zu können und finde es gut, dass Schweden so viele Flüchtlinge aufnimmt. Das ist menschlich!"
Ressentiments in der Bevölkerung gegen Flüchtlinge
Doch so denken längst nicht alle Schweden. Bei der letzten Wahl stimmten 13 Prozent der Bevölkerung für die rechtspopulistischen Schwedendemokraten, die die Einwanderung radikal begrenzen wollen. Eine kritische Entwicklung, findet Mohammed Aruqi vom Roten Kreuz.
"Die letzte Wahl hat gezeigt, dass es viele gegen Zuwanderung sind. Leider! Aber die meisten Schweden sind sehr humanitär und es war immer schon Teil ihrer Kultur, unterdrückten und benachteiligten Menschen zu helfen."
2015 will Schweden mehr als 100.000 Flüchtlinge aufnehmen. Ob die sozialdemokratische Minderheitsregierung diese Zahl gegen den Widerstand der Schwedendemokraten durchsetzen kann, ist alles andere als sicher.
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