Asyl

"Wir müssen bereit sein, mehr zu tun"

Boris Pistorius im Gespräch mit Julius Stucke · 21.11.2013
Angesichts der Not vor Ort sollten Deutschland und die anderen EU-Länder bereit sein, mehr syrische Flüchtlinge aufzunehmen, findet Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius. So sollten die Bundesländer die Hürden für Verwandtennachzug niedriger setzen.
Julius Stucke: 5000 Syrer will Deutschland aufnehmen, Deutschland hat sich bereit erklärt, 5000 Menschen, die besonders schutzbedürftig sind, aufzunehmen. 1300 davon sind hier, sie kommen zuerst in ein Durchgangslager, Friedland in Niedersachsen. Bundespräsident Joachim Gauck besucht heute Friedland und informiert sich über die Situation der Flüchtlinge, und vielleicht stellt auch er sich dann die Frage: Müssen wir nicht mehr tun? Darüber spreche ich mit dem SPD-Politiker Boris Pistorius, Innenminister in Niedersachsen. Guten Morgen!
Boris Pistorius: Ja, schönen guten Morgen!
Stucke: Herr Pistorius, wie sehen Sie es? 5000 – ist das viel, viel zu wenig?
Pistorius: Ja, 5000 wären viel zu wenig, aber es sind ja nicht nur 5000. Die 5000 sind diejenigen, die wir als UNHCR-Flüchtlingskontingent aufnehmen, verabredet zwischen den Länderinnenministern und dem Bundesinnenminister. Aber darüber hinaus kommen ja viel, viel mehr zu uns. Trotzdem ist völlig richtig: Die Europäische Union insgesamt als Solidarsystem, als das sie sich ja auch versteht in einem gemeinsamen europäischen Asylsystem, muss mehr tun, und demzufolge auch Deutschland.
Stucke: Sie haben es angesprochen – es sind natürlich auch Menschen, die auf normalem Wege hierher kommen, aber das sind eben nicht die, die wir gesondert zu uns holen, denen wir bewusst sagen: Wir wollen euch hier herholen. Noch mal die Frage: Was können wir da tun?
Pistorius: Aber natürlich können wir mehr tun und ich habe ja schon vor drei Monaten gesagt, dass wir mehr als 5000 aufnehmen können und auch aufnehmen sollten. Das ist für Deutschland kein Problem, und wer sich das Elend, die Not und die Todesangst vor Ort vor Augen führt, dem muss klar sein, dass die Europäische Union, dass jeder einzelne Mitgliedsstaat der EU und damit auch Deutschland mehr tun muss und Menschen – und vor allen Dingen Bedürftige, Kinder, Familien – vor der Not vor Ort retten muss und auch einen Solidarbeitrag übrigens leisten muss gegenüber den benachbarten Ländern von Syrien, die ja, wie eben im Bericht auch gehört, schon Gewaltiges leisten.
Stucke: Warum, wenn das so klar ist, geschieht das nicht?
Pistorius: Das ist eine gute Frage. Das ist immer eine Frage von politischen Kompromissen, es ist eine Frage von Bereitschaft, das ist eine Frage auch dessen, wie richtet sich der Blick auf die anderen europäischen Mitgliedsstaaten? Wie gesagt, Deutschland nimmt faktisch ja viel mehr auf als die 5000, das darf man nicht vergessen, auch wenn es nicht die gezielte Aufnahme ist, aber es kommen die Menschen nach Deutschland und bleiben auch hier, kriegen auch einen Status. Aber das ist eben ein schwieriger Prozess, sich darauf zu verständigen. Ich finde allerdings nach wie vor, dass 5000 deutlich zu wenig sind angesichts der Notlage vor Ort.
Stucke: Sehen Sie da das Bundesinnenministerium und Ihren Kollegen Hans-Peter Friedrich in der Pflicht?
Pistorius: Das betrifft alle. Das betrifft den Bundesinnenminister, das Bundesinnenministerium, die Bundesregierung, aber auch alle Länderinnenministerien. Wir müssen bereit sein, mehr zu tun, und dann müssen wir es auch schnell umsetzen.
Stucke: Ist es denn eine Möglichkeit – wenn ich da richtig informiert bin, tut Niedersachsen das –, über Verwandtennachzug diese Zahl noch zu erhöhen, mehr als 5000 aufzunehmen?
Pistorius: Ja, das tun wir, wie fast alle anderen Bundesländer auch. Wir haben in Niedersachsen dabei sehr geringe Anforderungen gestellt. Es reicht also, wenn ein Einkommen der hier lebenden Familienangehörigen nachgewiesen wird, was in etwa der Pfändungsfreigrenze entspricht, also sehr niedrig, es muss auch kein kompletter Nachweis für Krankenversicherung und so weiter erbracht werden. Da sind die Hürden sehr, sehr niedrig. Es gibt einige Bundesländer, da sind sie höher. Da war leider keine einheitliche Regelung zu erzielen. Wir haben ein Interesse daran, weil es auch nicht einsichtig wäre, es nicht zu tun, den Familien, die Angehörige dort unten haben in der Notlage, es wirklich zu erleichtern, sich um die Sicherheit ihrer Angehörigen auch kümmern zu können und sie hierher zu holen. Ich finde, das ist das Mindeste, was dann eben getan werden muss.
Stucke: Herr Pistorius, es gibt einerseits diese 5000, von denen ja erst 1300 hier sind, dann gibt es die rund 20.000, die auf normalem Weg hierher kommen. Das sind die Fragen, wie viel wir tun. Es ist aber auch die Frage: Was tun wir, welche Perspektive bieten wir diesen Menschen? Denn für die 5000 und für die über 20.000 gilt: Asyl ist für diese Menschen nicht vorgesehen, denn in unserem Asylrecht ist Bürgerkrieg kein Aufnahmegrund. Ist das nicht ein Moment, wo wir über dieses Asylrecht nachdenken sollten, um diesen Menschen eine Perspektive zu bieten?
Pistorius: Ich glaube, dass den Menschen, die Zuflucht suchen in Europa oder in Deutschland, egal ist, ob sie aufgrund von Asylrecht oder eines anderen Status sich in Sicherheit bringen. Es ist keine Frage, ob das über das Asylrecht geregelt wird. Solange sie als Kriegsflüchtlinge anerkannt werden und einen entsprechenden aufenthaltsrechtlichen Status bekommen, können sie arbeiten, Integrationskurse machen und sich hier ein neues Leben aufbauen.
Stucke: Aber, Herr Pistorius: Sie machen Integrationskurse und sind aber auf zwei Jahre beschränkt, diese 5000 zum Beispiel, die man aufnehmen will.
Pistorius: An dem Punkt stimme ich Ihnen zu, das habe ich von Anfang an kritisiert, ich habe gesagt: Zwei Jahre ist eine viel zu kurze Zeit. Zwei Jahre ist erstens kein Zeitraum, in dem irgendjemand ernsthaft davon ausgeht, dass der Bürgerkrieg oder seine Folgen beendet sein werden, und zum Zweiten erwarten wir von denjenigen, die auf Dauer sich hier einrichten müssen, weil der Krieg so lange dauert oder weil sie sich nach ein paar Jahren hier wirklich auch zu Hause fühlen und sich integriert haben, dass sie integriert sind. Und dazu gehört natürlich auch, die Perspektive zu haben, auf Dauer bleiben zu können.
Bei zwei Jahren ist das schwierig, das stimmt einerseits, andererseits wird niemand ernsthaft nach zwei Jahren in die Gefahr geraten, wieder nach Syrien zurückgeschickt zu werden. Trotzdem würde ich mir wünschen, hier eine großzügige Regelung zu haben, weil es Ansporn ist, sich zu integrieren und insbesondere auch die Zukunft der eigenen Kinder, um die es ja oft geht, frühzeitig in die richtige Richtung zu bringen.
Stucke: Herr Pistorius, abschließend: Ist das jetzt der richtige Zeitpunkt, weil gerade über eine große Koalition verhandelt wird, auch dieses Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik da auf die To-Do-Liste zu setzen?
Pistorius: Das Thema ist auf der To-Do-Liste. Es ist Gegenstand einer eigenen Unterarbeitsgruppe, der Arbeitsgruppe Inneres und Recht. Und da gibt es viel Konsens, es gibt allerdings auch noch Dissens, keine Frage. Ich glaube, dass wir aber mit der großen Koalition, wenn die zustande kommt, gute Voraussetzungen haben, hier noch mehr zu tun, aber am Ende geht es nicht ohne auch die Bundesländer.
Stucke: Sagt Boris Pistorius von der SPD, Innenminister in Niedersachsen. Herr Pistorius, danke Ihnen und einen schönen Tag!
Pistorius: Danke, gleichfalls! Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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