Arthur Cravan: "König der verkrachten Existenzen"

Ein Leben in schnellen Schlägen

Zwei rote Box-Handschuhe
Der Faustkampf war eine Leidenschaft von Arthur Cravan - und es gab noch etliche mehr. © picture alliance / dpa / Jens Wolf
Von Maike Albath · 28.10.2015
Der Amateurboxer, Schriftsteller, Anarchist, Orangenpflücker, Chauffeur und Kabarettist Arthur Cravan war der Prototyp eines Bohemiens. Der Band "König der verkrachten Existenzen" bietet alle Texte des Briten, der 1918 spurlos verschwand, und offenbart ein rastloses Leben mit etlichen Stationen.
Arthur Cravan einen Abenteurer zu nennen, wäre eine glatte Untertreibung. Der Zwei-Meter-Mann mit dem akkuraten Seitenscheitel, "dem kürzesten Haarschnitt der Welt" und dem ausdrucksstarken Gesicht war Boxer, Dandy, Zeitschriftenherausgeber, Dichter und vor allem ein begnadeter Wichtigtuer.
Er beherrschte die Kunst der Selbstinszenierung wie kaum ein anderer, bespielte zwischen 1909 und 1915 Pariser Kabarettbühnen, bestritt Boxkämpfe, dichtete, sang und beschimpfte sein Publikum, legte sich mit Malern und Intellektuellen an, kurzum, er war Dada, bevor es Dada überhaupt gab. Kein Wunder, dass jemand wie André Breton hingerissen war. Cravan provozierte, machte sich lustig, verletzte Tabus, war genussvoll misogyn und log, was das Zeug hielt.
In Japan lernte er Jiu-Jitsu
Er wusste bestens, mit welchen Geschichten er Reporter beeindrucken konnte. Eigentlich hieß er Fabian Avenarius Lloyd, geboren am 22. Mai 1887 als Sohn englischer Eltern in Lausanne, die sich kurz nach seiner Geburt trennten. In der Schweiz und in England ging er auch zur Schule, bis er als 17-Jähriger für kurze Zeit nach Berlin kam und von dort nach New York reiste. Vielleicht hat die restriktive Internatserziehung sein wildes Temperament überhaupt erst entfacht.
In Berlin schlug er sich angeblich als Chauffeur durch, wurde aber binnen einer Woche wieder entlassen, weil sich sein Wagen überschlug; in den USA verdingte er sich einer Tageszeitung zufolge als Orangenpflücker, gelangte als Heizer nach Japan und lernte dort Jiu-Jitsu. Die Schwester seines Vaters war die Ehefrau von Oscar Wilde gewesen, was er als junger Mann gebührend auszuschlachten wusste: In seiner militant spontanistischen Zeitschrift Maintenant, die einzig und allein von ihm selbst bestritten wurde – unter verschiedenen Pseudonymen, versteht sich –, gibt es Erzählungen über den wiederauferstandenen Onkel, der sich bei seinem Neffen einfindet und mit ihm gemeinsam Flasche um Flasche köpft.
Propagandist der Plötzlichkeit
Im Nautilus-Verlag liegt jetzt unter dem vielsagenden Titel "Der König der verkrachten Existenzen" ein äußerst unterhaltsamer Band mit sämtlichen Texten Cravans vor, außerdem Briefen an seine Eltern, seinen Bruder, seine mehrjährige Begleiterin Renée Bouchet und schließlich seine Frau Mina Loy, Szenegirl und Avantgarde-Dichterin, ergänzt durch vielsagende Fotos des Boxer-Poeten und Plakate seiner Veranstaltungen. Aufschlussreich ist vor allem das ausführliche Nachwort von Bastiaan van der Velden, denn die Wirkung der Texte lässt sich nur im Zusammenspiel mit dem Werdegang dieses Aufschneiders nachvollziehen. Cravan ist ein Propagandist der Plötzlichkeit. Ähnlich wie später Bertolt Brecht erkannte er die Bedeutung des Sports: Er betrieb Körperkult und agierte auch schriftstellerisch nach den Gesetzen des Faustkampfes, griff an, täuschte vor, wehrte ab, ging zu Boden und stand wieder auf.
Dass er 1915 über Portugal nach Spanien desertierte und sich von dort in die USA einschiffte, hing mit seiner anarchistischen Grundeinstellung zusammen: Mit dem Krieg wollte er nichts zu tun haben. Er verschwand schließlich nach Kanada und von dort nach Mexiko, wo sich 1918 seine Spur verlor. Cravan blieb verschollen, wo und wann er starb, ist ungewiss. Wer wissen will, wie man als Bohemien besteht, sollte Arthur Cravan lesen.

Arthur Cravan: König der verkrachten Existenzen
Aus dem Französischen von Pierre Gallissaires und Hanna Mittelstädt
Nautilus, Hamburg 2015
191 Seiten, 22 Euro

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