Ars Electronica in Linz

Kunst und Selbstoptimierung

Notenblatt mit den Klappen einer Querflöte
Bei der Ars Electronica wurde eine Querflöte prämiert, die auch das virtuose Spielen mit einer Hand möglich macht. © picture-alliance / dpa / Klaus Rose
Von Philip Artelt · 08.09.2014
Schneller, höher, weiter. Die ständige Suche des Menschen nach technischen Verbesserungen zielt zurzeit auf die eigene Optimierung. Beim Festival Ars Electronica in Linz ist dieser Trend ein künstlerisches Leitmotiv.
Was ist Perfektion? Ein perfektes Flötenspiel? Vorgetragen von einem Menschen mit perfekten Körper? Arme, Hände, Finger, virtuos auf dem Instrument?
Niemand ist perfekt. Auch nicht die ungarische Querflötistin Edit van der Burg, hier zu hören auf dem Festival Ars Electronica in Linz. Sie kann eine Körperhälfte nicht mehr bewegen. Und eigentlich nicht mehr Flöte spielen.
Ein Schicksal, gegen das der Philosoph und Musiker Stephen Hetherington ankämpft.
"Im Allgemeinen ist es fast unmöglich, mit einer Behinderung Musik zu machen. Wenn man dasselbe im Sportbereich annehmen würde, da gibt es die Paralympics, da wäre der Aufschrei groß. In der Musikwelt scheint es niemand zu bemerken, dass es keine behinderten Musiker gibt. Also haben wir einen Wettbewerb ausgeschrieben: Baut Musikinstrumente, die mit nur einer Hand spielbar sind."
Wettbewerb für modifizierte Instrumente
Der Wettbewerb ist ein Erfolg. Jährlich verleiht Hetheringtons Stiftung auf dem Festival Ars Electronica Preise, an Menschen, die einhändige Saxofone bauen, Blockflötenmacher oder Entwickler elektronischer Instrumente – in diesem Jahr ist es Maarten Visser: Innerhalb eines Jahres modifizierte der Instrumentenbauer eine Querflöte so, dass die Tasten doppelt belegt sind, so ähnlich wie bei einer Computertastatur. So kann Edit van der Burg mit nur einer Hand drei Oktaven spielen – undenkbar mit einer normalen Querflöte.
Die Defizite unseres Körpers mit Technologie ausgleichen: Im Fall der gelähmten Querflötistin scheint das unstrittig und ehrenhaft. Aber wie weit sollen wir gehen in unserem Streben nach körperlicher Perfektion? Vielleicht sogar nach körperlicher Überlegenheit?
Diese Frage wirft das Kunstwerk von Agi Haines auf. Fünf Puppen, lebensecht nachgeformte Neugeborene, deren Bauch sich beim Atmen hebt und senkt. Schaut man genauer hin, sieht man: Eines der Babies hat ein Loch im Kopf, eines unnatürlich aufgedunsene Backen.
Haines zeigt auf ein Baby mit lamellenartigen Hautfalten an den Schläfen:
"Alle Babies wurden von ihren Eltern verändert. Dem Kind soll das später einmal nützlich sein. Dieses Baby hier ist für den Klimawandel optimiert. Sein Kopf hat eine größere Oberfläche, um Hitze besser abzuleiten. Dieses Kind wird in Zeiten der Klimaerwärmung besser arbeiten können und mehr Geld verdienen. Das Prinzip ist das selbe, wie bei Elefantenohren."
Verstörende Metaphern der Leistungsoptimierung
Optimierung auf wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Der perfekte Körper, in den Puppen von Agi Haines ist er zum Greifen nah:
"Es ist lustig, weil ich immer die Frage stelle: Würdest du es tun? Und ich bekomme die Gegenfrage: Würdest du es tun? Es gibt hier zwei Babies, wo es um Gesundheitsprobleme geht. Und du würdest vielleicht deine Zehe verlieren, wenn es deiner Gesundheit nutzt, aber nicht dein Gesicht entstellen, nur für soziale Mobilität."
So erschreckend die Idee ist: Mit Gentechnologie und Präimplantationsdiagnostik sind wir nicht mehr so weit von Haines' Visionen entfernt.
"Leute, schaut her! Ich bitte um etwas Kleingeld ..."
Auch das Werk des slowenischen Künstlers Saso Sedlacek lässt Menschen Dinge erreichen, die ihnen sonst verwehrt bleiben. Optimierung auf wirtschaftliche Leistungsfähigkeit - allerdings mit mehr Humor als die verstörenden Babypuppen:
Ein Roboter. Zusammengestellt aus alten Computergehäusen, zwei Hände, die sich vorne hin und her bewegen. Freundliches Gesicht, das über einen alten, kleinen Röhrenbildschirm flimmert. Geht man an ihm vorbei, fängt der Roboter an zu betteln.
Saso Sedlacek: "Humor ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit, aber Beggar Robot trägt eine traurige Geschichte über Betteln und Heimatlosigkeit mit sich. Ich installiere ihn nur dort, wo Betteln nicht erlaubt ist. In Shoppingcentern oder bei Events wie der Ars Electronica."
Lustiger Roboter als Helfer
Ein plumper, lustiger Roboter schafft etwas, was einem Menschen in Not verwehrt wird. Damit sammelt die Maschine bis zu zehn Euro pro Stunde ein – und erzeugt manchmal absurde Situationen.
"In Taipeh, Taiwan, werden Bettler grundsätzlich aus dem Stadtzentrum vertrieben. Wir haben den Roboter dort durch die Stadt geschoben und wir haben einen echten Bettler auf der Straße gefunden. Wir stellten den Roboter neben ihm auf. Nach ein paar Minuten kam ein Polizist. Den Bettler hat er sofort vertrieben. Der Roboter durfte bleiben."
Sedlacek verleiht den Roboter an Obdachlose. Die Maschine wird so zum verlängerten Arm eines Menschen, dem der Zutritt zu privaten Räumen oder zu ganzen Städten sonst wird.
Vielleicht müssen nicht alle Menschen die selben Möglichkeiten haben, perfekt funktionieren, um überleben zu können. Aber Technologie kann uns helfen, nicht nur zu überleben, sondern zu leben, meint der Philosoph und Musiker Stephen Hetherington. Das Bedürfnis nach Nahrung beim Bettler und das Bedürfnis nach Musik – für ihn sind diese Dinge gar nicht so verschieden:
"Eine Art emotionales Essen. Etwas, was wir dringend brauchen, wie das Tageslicht, was wir einfach haben wollen. Und die Art, wie wir auf unsere Welt antworten, wie wir das ausdrücken, das ist in allen Kunstformen so. Das sind fundamentale Dinge, die man niemandem verweigern darf. Das ist gerät oft in Vergessenheit."
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