"Armutsmigration"

Folgen eines Phantom-Phänomens

Auffahrt auf die deutsche Autobahn hinter dem Zollamt Weil am Rhein-Autobahn.
Sehnsuchtsziel Deutschland? Es gibt keine Schwemme gieriger Rumänen und Bulgaren. © picture alliance/dpa/Winfried Rothermel
Von Stefan Maas · 27.08.2014
Der Bund will sein Vorgehen gegen die sogenannte Armutszuwanderung aus EU-Ländern verschärfen – beschäftigt sich also mit einem Phänomen, das es gar nicht gibt. Aber es gibt auch Positives über das Maßnahmen-Paket der Bundesregierung zu sagen.
Da ist er also, der Abschlussbericht des Staatssekretärsausschusses zum Thema Sozialmissbrauch durch Einwanderer aus EU-Staaten. Ob es wirklich notwendig war, ihn zu erstellen, darüber lässt sich trefflich streiten. Denn eigentlich beschäftigt er sich mit einem Phänomen, das es gar nicht gibt. Zumindest nicht in einem Umfang, wie die aufgekratzte Debatte vermuten ließ, die vor allem die CSU mit ihrem Slogan "Wer betrügt, der fliegt" auf den Gipfel des Populismus getrieben hat. Experten haben bereits früh in der Debatte - und immer wieder - auf die Zahlen hingewiesen, die belegen: Es gibt keine Schwemme gieriger - vor allem - Rumänen und Bulgaren, die nur auf den 1. Januar 2014 gewartet haben, um wie Heuschrecken über die deutschen Sozialsysteme herzufallen.
Zwar sind im ersten Halbjahr nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit rund 60.000 Rumänen und Bulgaren eingewandert, aber nach wie vor gilt: Schaut man auf diese Gruppe ist der Anteil derjenigen, die Hartz IV beziehen, geringer als in der Gesamtgruppe der in Deutschland lebenden Ausländer. Und die im Juli arbeitslos gemeldeten Rumänen und Bulgaren machen gerade einmal 0,7 Prozent aller Arbeitslosen aus.
Es gibt ihn also wohl nicht, den massenhaften Sozialmissbrauch. Das deutet auch der Bericht an, der wenig Konkretes zu Fällen sagt. Daher dürften die Einreisesperren für Betrüger, die der Gesetzentwurf vorsieht, den das Innen- und das Arbeits- und Sozialministerium heute dem Kabinett vorgelegt haben, wohl eher dazu dienen, zu zeigen, dass die Bundesregierung nicht mit sich spaßen lässt, als dass sie massenhaft Anwendung in der Praxis finden.
Restluft aus populistischen Forderungen
Es gibt aber auch Positives zu sagen über den Bericht. Er schafft es, die Restluft aus einigen populistischen Forderungen zu lassen, die noch im Raum standen. So forderte die CSU zu prüfen, ob es möglich sei, jemandem, der gerade nach Deutschland gekommen ist, in den ersten Monaten das Kindergeld zu verweigern. Das geht wohl nicht.
Schwierig auch ein weiterer Prüfauftrag aus Bayern: Ob man Kindern, die nicht in Deutschland lebten, weniger zahlen könne. Entsprechend den Bedürfnissen in ihrem Heimatland. Dagegen machen die Staatssekretäre praktikable Vorschläge: Missbrauch und Doppelzahlungen sollen vermieden werden, indem die Steueridentifikationsnummer des Kindes beim Antrag mit angegeben werden muss.
Das Wichtigste aber, was die Bundesregierung jetzt in Angriff nehmen will, nach Vorlage des Abschlussberichts, ist, dass sie besonders betroffene Kommunen weiter entlasten will. Und dafür ist es höchste Zeit. Kommunen, die tatsächlich eine hohe Zahl arbeitsloser EU-Ausländer zu schultern haben - wie Duisburg und Gelsenkirchen - bekommen noch in diesem Jahr weitere finanzielle Hilfen. 25 Millionen Euro zusätzlich. Eine Bundesbeteiligung an Unterkunft und Heizung. Außerdem sollen die Kommunen noch um weitere zehn Millionen Euro jährlich entlastet werden. Dafür sollen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für Impfen für Kinder und Jugendliche aus EU-Staaten übernehmen.
Wenn es den Bericht nur dafür gebraucht haben sollte, dann hat sich die Arbeit wohl doch gelohnt.
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