Ármin Langer: "Ein Jude in Neukölln"

Streitschrift für Verständigung zwischen Muslimen und Juden

Der Jude Armin Langer im Berliner Bezirk Neukölln, zu Beginn eines Flashmobs gegen antisemitische Hetze.
"Es geht ganz viel um die öffentliche Position von Antisemitismus in Deutschland", sagt Armin Langer über seine Streitschrift "Ein Jude in Neukölln". © picture alliance / dpa / Foto: Wolfgang Kumm
Von Johannes Nichelmann · 23.09.2016
Der Zentralrat der Juden solle sich "zum Zentralrat der rassistischen Juden" umbenennen, schrieb vor einigen Monaten der Rabbinerstudent Ármin Langer. Nun folgt seine Streitschrift "Ein Jude in Neukölln".
Reporter: "Können Sie sich vorstellen, innerhalb von Berlin in einem anderen Bezirk zu wohnen, nicht in Neukölln?"
Ármin Langer: "Natürlich könnte ich es mir vorstellen, in einem anderen Bezirk zu wohnen, aber nicht jetzt. Wenn ich jetzt ein Buch veröffentlicht habe mit dem Titel "Ein Jude in Neukölln", dann kann ich jetzt nicht nach Charlottenburg ziehen. Und die Mehrheit meiner Freunde wohnt in Neukölln, die Mehrheit meiner Mitstreiter wohnt in Neukölln, meine Lieblingsorte sind in Neukölln. Aber ich bin jetzt auch kein Neuköllner Nationalist."
Ármin Langer, 26 Jahre alt, lebt hier seit drei Jahren. Der gebürtige Ungar hat zuvor in Budapest Philosophie studiert. Mit dem Titel seines ersten Buches richtet er sich an diejenigen, die Neukölln zur No-Go-Area erklärt haben; zu einem Ort, der zu gefährlich sei für Juden, Frauen und queere Menschen. Seine Botschaften sollen an Politiker, Religionsvertreter und Medien gehen. Der Studierende weiß, welche Knöpfe er drücken muss, um in politischen Debatten mitreden zu dürfen.

Gegen alle, die Muslime oder Juden über einen Kamm scheren

Im "Tagesspiegel" veröffentlichte er 2014 einen Kommentar mit der Überschrift "Muslime sind die neuen Juden" - forderte Solidarität von Juden mit Muslimen, die hierzulande mehr unterdrückt würden. Ende letzten Jahres warf er dem Präsidenten des Zentralrates der Juden dann offen Rassismus vor. Das kostete ihn seine Ausbildung zum Rabbiner am Potsdamer "Abraham Geiger Kolleg". Er steht zu seiner Haltung.
Ármin Langer: "Aber es war ein Fehler, ihn, beziehungsweise den Zentralrat der Juden an sich als rassistische Vereinigung zu Bezeichnen, nur wegen diesem einen unglücklich formulierten Ausdruck."
Eine Kritikerin der "Jüdischen Allgemeinen" hält Ármin Langer für einen "der von seiner eigenen Bedeutung schwer überzeugt" sei. Für jemanden, dem es an politischem Instinkt fehle. Nennt ihn "spätpubertär".
Ármin Langer: "Ich abonniere die 'Jüdische Allgemeine', das heißt, ich bekomme jede Woche diese Zeitung und ich bekomme auch so ungefähr mit, was für ein Narrativ das jüdische Establishment in Deutschland treibt, und mein Eindruck ist, dass dieses Narrativ nicht der Gegenwart entspricht. Das ist sehr stark von der Vergangenheit geprägt. Und ich glaube, daran sollten wir echt arbeiten."
Ármin Langer will mit seiner 300 Seiten umfassenden Streitschrift klar machen, wie er Debatten und Perspektiven verändern will. Er schießt gegen all diejenigen, die in seinen Augen verallgemeinern und alle Muslime oder Juden über einen Kamm scheren. Er arbeitet sich an Hardlinern wie dem ehemaligen Neuköllner SPD-Bürgermeister Heinz Buschkowsky ab, nennt ihn "Neukölln-Erklärbär".
Er richtet sich auch an den Psychologen und Buchautor Ahmad Mansour, der pauschal allen Muslimen Terrorismuspotenzial unterstelle und gerne von Rechtspopulisten zitiert würde.
Ármin Langer: "Es geht ganz viel um die öffentliche Position von Antisemitismus in Deutschland, es geht um jüdische Identität, die manchmal durch solche negativen Faktoren definiert wird, wie Bewusstsein für Antisemitismus oder eine militante Unterstützung für die israelische Identitätspolitik. Es geht um jüdisch-muslimische Beziehungen. Es geht um antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus, deren Ähnlichkeiten und Unterschiede. Ganz viele Themen, die im Buch besprochen werden. Meistens anhand meiner autobiografischen Erzählungen."
"16 Jahre lang war ich ein Jugendlicher, der nie so richtig dazugehörte und nie so richtig wusste, warum. Bis zu jenem Sommer in Ungarn. Mir war übel, wie immer. Bis heute kann ich den Geruch in einem Auto nicht lange aushalten. Irgendwo drehte sich mein Vater, der hinter dem Lenkrad saß, zu mir um: 'Übrigens, Ármin, du weißt, dass du Jude bist, oder? Also, mindestens väterlicherseits.' Ich erinnerte mich an die zahlreichen Bücher über den Holocaust bei uns zu Hause, trotzdem klang meine Antwort ziemlich unsicher: 'Joa.'"

Muslime und Juden näher zusammenbringen

Schon früh hatte Ármin Langer den Berufswunsch, Gelehrter zu werden. In seinem Zimmer hingen Porträts von Jean-Paul Sartre und Albert Camus. Nach der Begegnung mit einer Rabbinerin war ihm klar, welcher Beruf für ihn der Richtige sei.
In seinem Buch rückt er die von ihm mitbegründete Salaam-Schalom Initiative in den Fokus. Sie soll Muslime und Juden näher zusammenbringen. Deutlich machen, dass es zwischen den Anhängern der beiden Weltreligionen keine natürliche Feindschaft gebe. Die Aktivistinnen und Aktivisten organisieren Veranstaltungen, Demonstrationen und Kampagnen für ihre Sache. Eine wichtige Arbeit. Dafür gab es auch eine Einladung zum Bundespräsidenten.
Das einfach zu lesende und gut geschriebene Buch "Ein Jude in Neukölln" wirkt stellenweise wie eine Abrechnung mit allen, die in der Vergangenheit nicht an Ármin Langer geglaubt haben. Er schreibt klug, ambitioniert und äußerst selbstbewusst - seine ehemalige Ausbildungsstätte nennt das "fehlendes Fingerspitzengefühl". Der Rauswurf aus dem "Abraham Geiger Kolleg" hat ihm zu noch größerer Aufmerksamkeit verholfen. Wie es mit seinem großen Traum, Rabbiner zu werden, aber weitergeht, weiß er momentan nicht. Vielleicht muss er Neukölln, Berlin oder gar Deutschland für seine Ausbildung verlassen.
Bei unserem Spaziergang erzählt Ármin Langer, dass das erste Buch, dass er je gekauft hat, eine Bibel gewesen sei. Wir bleiben vor einer Kirche stehen. Er sagt, dass sein Buch im Übrigen auch viel mit ihr zu tun habe - und zeigt auf ein verlassenes Kirchencafé im Seitenflügel.
Ármin Langer: "Ich hab die Hälfte des Buches da geschrieben. Die andere Hälfte in der S-Bahn zwischen Potsdam und Berlin. Aber es hat jetzt zu. Der Kaffee war nicht so gut, aber ich mochte einfach die Atmosphäre des Cafés."

Ármin Langer: Ein Jude in Neukölln
Aufbau Verlag, 304 Seiten, 19,95 Euro

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