Armin Greder: "Die Insel"

Ein Bilderbuch, das Angst machen kann

Ein Flüchtling schaut am 01.10.2015 nach einer Überfahrt aus der Türkei in einem Schlauchboot, am Strand der griechischen Insel Lesbos, auf das Ägäische Meer hinaus.
Ein Flüchtling auf der Insel Lesbos schaut aufs Meer hinaus. © dpa / Gregor Fischer
Von Sylvia Schwab · 17.11.2015
Flucht und Flüchtlingsschicksale beherrschen die Nachrichten, und inzwischen sind auch viele Kinder- und Jugendbücher zu diesen Themen erschienen - auch ein Bilderbuch, das sich sehr intensiv mit der Situation von Vertriebenen beschäftigt.
Es ist eine – wie der Untertitel sagt – "tägliche Geschichte", die Armin Greder in seinem höchst eindrucksvollen Bilderbuch "Die Insel" erzählt. Eine Geschichte, die von konkreten Krisengebieten und aktuellen Ereignissen völlig abstrahiert und dadurch allgemeingültig ist.
"Am Morgen fanden die Inselbewohner einen Mann am Strand, da wo Meeresströmung und Schicksal sein Floß hingeführt hatten. Er stand auf, als er sie kommen sah. Er war nicht wie sie."
Mit diesen knappen Sätzen beginnt die Leidensgeschichte eines Mannes, dessen Schicksal niemanden interessiert. Die Menschen auf der Insel wollen den Mann wieder aufs Meer hinausschicken, doch der Fischer legt ein gutes Wort für ihn ein, so dass er bleiben kann. Nackt, hungrig, in einem Ziegenstall eingeschlossen. Ein Anderer, ein Fremder.
Doch das latent schlechte Gewissen der Inselbewohner kehrt sich schnell um in Aggression. Sie fühlen sich bedroht durch das Anderssein des Mannes, sind aber nicht bereit, ihn aufzunehmen, ihm Arbeit anzubieten, ihm Kleidung und einen Namen zu geben. Auch der Pfarrer nicht. Angst und Wut werden geschürt - Fremdenhass breitet sich aus wie ein Geschwür. Und irgendwann zieht der Mob mit Spießen los und treibt den Fremden ins Meer zurück. Dann wird das Boot des Fischers – des Fürsprechers– verbrannt und eine riesige Mauer um die Insel gebaut, "mit Türmen, von denen sie Tag und Nacht das Meer überwachen konnten. Und sie schossen vorbeiziehende Möwen und Kormorane ab, damit niemand dort draußen von ihrer Insel erfahren sollte."
Karge Sätze, steinig wie eine Insel
Ein schreckliches - und doch auch ein großartiges Buch! Die tragische Geschichte des namenlosen Fremden ist so beeindruckend, weil sie sich überall und jederzeit abspielen kann, weil sie so einfach und zutiefst menschlich ist. Dazu kommt eine ebenso einfache Sprache. Armin Greders Sätze sind karg und kurz, steinig wie die Insel, und lassen viel Raum für Interpretationen. Nur das Wichtigste wird gesagt, alles Weitere entsteht in der Phantasie des Lesers.
Und dann die Bilder! Dramatisch-drängend kommt der Mob mit Spießen und Mistgabeln daher, fratzenhaft verzerrt sind die Gesichter derer, die zur bösen Tat anstiften. Die expressiven Kreide- oder Wachsmalbilder sind zum Teil grotesk und erinnern an Zeichnungen von Otto Dix oder George Grosz. Mimik, Gestik und Körperausdruck der Figuren spielen auf Gemälde von Munch an. Wo der Text sich zurückhält, sind die Bilder umso wuchtiger. Sie können Angst machen!
Dies ist kein Bilderbuch für kleine Kinder, sondern ein großartiges Gesamtkunstwerk für Jugendliche und Erwachsene. Es gehört zur Gattung eines neuen, modernen Bilderbuchs, das alle Themen- und Altersgrenzen sprengt, das Terror und Krieg, Holocaust und Diktatur thematisiert und die gewohnten Gestaltungs- und Genregrenzen überschreitet. Eine spannende Herausforderung auch für die Leser und Betrachter!

Armin Greder: Die Insel
Mit einem Nachwort von Heribert Prantl
Fischer/Sauerländer Verlag, Frankfurt am Main 2015
40 Seiten, 16,99 Euro, ab 8 Jahren

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