Ari Shavits "Mein gelobtes Land"

Das aufregendste Buch über Israel

Ein Mann mit Hut vor der israelischen Flagge, bestehend aus Lichterketten an der Wand der alten Stadt Jerusalem
Ari Shavits hat in Archiven, Tagebüchern und Dokumenten gestöbert, um israelische Geschichte zu erzählen. © imago/UPI Photo
Von Carsten Hueck · 12.06.2015
Welches Buch sollte man lesen, wenn man sich über die Geschichte Israels informieren will? Dieses hier! Der Journalist Ari Shavit erzählt in "Mein gelobtes Land" differenziert, engagiert und eindringlich - ohne sich als Richter aufzuschwingen.
In diesem Jahr sind etliche Bücher erschienen, deren Autoren sich mit Israel befassen. Das kleine Land im Nahen Osten steht anhaltend im Focus einer interessierten Öffentlichkeit, in Deutschland besonders, hat die Bundeskanzlerin doch Israels Sicherheit zur Staatsräson deutscher Politik erklärt.
Sicherheit darüber, was dieses Israel ist und wie man seine Konflikte lösen, äußere und innere Bedrohungen das Staates verringern kann, bringt auch das Buch des langjährigen "Ha’aretz"-Journalisten Ari Shavit nicht. Doch ist es mit Abstand das informativste, differenzierteste, engagierteste und am aufregendsten geschriebene Buch zu Israel.
Auf knapp 600 Seiten führt Shavit den Leser – einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren im Blick – durch die Geschichte seines Landes.
Chronologisch – die Kapiteleinteilung orientiert sich an markanten Jahreszahlen – erzählt Shavit vom Traum europäischer Zionisten Ende des 19. Jahrhunderts, einen jüdischen Staat zu errichten. Er schildert deren Situation am Beispiel seines Urgroßvaters, eines englischen Gentleman, der sich 1897, ausgestattet mit hellem Anzug und Tropenhelm, aufmacht, jenen Landstrich zu erkunden, der damals noch Teil des Osmanischen Reiches war, von Juden wenig besiedelt und sichtbar bewohnt von Muslimen.
"Ich bin kein Richter. Ich bin ein Beobachter"
Es ist eine persönliche Geschichte Israels, die Ari Shavit erzählt. Immer wieder bringt sich der Autor selbst ein. Wir erfahren etwas über seine Biografie und wie sie zusammenhängt mit politischen Fragestellungen. Der Autor stellt seine Zweifel ebenso aus wie seine Überzeugungen, ohne auf deren Gültigkeit zu beharren. Man kann verfolgen, wie er Argumente abwägt, wie er zu Positionen findet, beispielsweise zum Friedensprozess mit den Palästinensern oder zur Bedrohung durch den Iran.
Shavits Stimme ist eine im Chor der Menschen, die er vorstellt. Er interviewt sie, porträtiert sie, und versucht, sofern es historische Figuren sind, die Motive ihres Handels nachzuvollziehen. "Ich bin kein Richter. Ich bin ein Beobachter.", heißt es an einer Stelle. Ein Beobachter freilich, der in Archiven gestöbert hat und auch aus Tagebüchern und Dokumenten zitieren kann. Die Atmosphäre in den Kibbuzim der 1920er-Jahre, den Alltag eines Orangenfarmers, die Eroberung der arabischen Stadt Lydda während des israelischen "Befreiungskrieges", aber auch das Nachtleben von Tel Aviv oder den Alltag israelischer Palästinenser macht Shavit so plastisch, dass man meint, immer mit dabei zu sein. Das Historische, Politische, Kulturelle ist bei ihm immer mit Persönlichem aufgeladen.
Das macht diese Geschichte des "Gelobten Landes" so mitreißend: hier wird polyphon und multiperspektivisch erzählt, mit narrativer Kreativität und großer Ehrlichkeit.
Die Dilemmata des Landes werden klar benannt, aber auch die historisch einzigartige Lebensqualität, die Juden in Israel geschaffen haben. Dort, wo außenstehende Israelkritiker und -verehrer zu wissen glauben, was zu tun ist, um "alles besser" zu machen wird dieses Buch verstören. Denn es erbringt klug und eindringlich den Beleg dafür, dass komplizierte Dinge nie einfach sind.
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