Argentinien und der Dollar

Nur Bares ist Wahres

Eine Frau läuft am 24.1.2014 in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires an einer Anzeigetafel mit Währungskursen vorüber.
Der Dollar steht ganz oben: Eine Anzeigetafel mit Währungskursen in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. © picture alliance / dpa / David Fernández
Von Francisco Olaso · 02.05.2016
In keinem Land der Welt außerhalb der USA werden so viele Dollars gehortet wie in Argentinien. Auch die kleinen Sparer nutzen die US-Währung als vermeintlich sicheren Hafen. Die Flucht in den Dollar ist aber eigentlich ein Verlustgeschäft.
Touristen betrachten die Auslagen in den Schaufenstern in der Fußgängerzone Florida in Buenos Aires. Lederjacken und Handtaschen sind in Argentinien besonders günstig. Die Preise sind in Pesos ausgezeichnet. Auf der Straßenmitte stehen im Abstand von zehn Metern junge Männer und rufen: "Cambio" - Wechsel.
Für einen Dollar bieten sie heute rund 14 Pesos. Das ist günstiger als der offizielle Kurs der Banken. "Für Hundert Dollar kann ich 1410 Pesos geben", sagt der junge Mann, dessen schwarze Haare eine hochgeschobene Sonnenbrille zurückhält. Der Kunde, ein langer glatzköpfiger Deutscher, der ein wenig Spanisch spricht, ist einverstanden.

Die Inflationsrate macht erfinderisch

Schwarz tauschen mag verboten sein, aber niemand ist je dafür belangt worden. Trotzdem wird das Geschäft nicht auf der Straße abgewickelt und es sollen keine Namen genannt werden. Der Kunde folgt dem jungen Mann in eine Ladenpassage zum Aufzug. Im zweiten Stock betreten sie einen schmucklosen Raum, das Wartezimmer. Auf einem Plasmabildschirm läuft eine Fußballpartie ohne Ton. Ein weiterer Schlepper führt einen älteren Herrn mit Schnauzbart heraus. Viele Argentinier versuchen, durch den Kauf von Dollars, ihre Rente in Sicherheit zu bringen. In diesem Jahr wird mit einer Inflationsrate von 35 Prozent gerechnet. Im fensterlosen Nebenraum verteilt ein Ventilator die stickige Luft. Der Kunde nimmt vor einem Schreibtisch Platz, hinter dem ein wortkarger Mann die Summe in einen Taschenrechner eintippt, Geldscheine abzählt und aus einem von einem Gummiband zusammengehaltenen Bündel zieht.
Der junge Mann begleitet den Kunden wieder auf die Straße. Er ist 28 Jahre alt, verrät er, und finanziert mit diesem Job sein Studium:
"Ich habe ein bisschen Spielraum. Wenn du nur ein paar Dollars tauschen willst, biete ich dir erstmal 14 Pesos und erhöhe dann auf 14,10, damit du nicht zu einem anderen gehst. Wenn du 5000 Dollar tauschst, bekommst du natürlich einen besseren Kurs."
Seitdem im Jahr 2001 die Spareinlagen eingefroren und abgewertet wurden, haben die Argentinier das Vertrauen zu den Banken völlig verloren. Nur wenige Schritte von der Fußgängerzone entfernt, auf der Plaza de Mayo, kampieren Demonstranten in Zelten. Sie verlangen die Freilassung einer linken Aktivistin, gegen die die neue konservative Regierung Vorwürfe wegen der Veruntreuung staatlicher Gelder erhebt.
María Laura Laico hat Mittagspause. Sie arbeitet im Wirtschaftsministerium, einem massiven Gebäude mit vier glatten Säulen im Portal an der Stirnseite der Plaza de Mayo:
"Hier schlägt das politische Herz Argentiniens: Staatsregierung, Ministerien, Nationalbank, Zentralbank, die Kathedrale und das ist auch ein sehr symbolischer Ort. Hier wird demonstriert. 2001 haben die Leute hier wütend demonstriert, als die Spareinlagen konfisziert wurden."
Unter den Gästen des Restaurants in Anzug und Kostüm wirkt die 30-Jährige Betriebswirtschaftlerin mit schwarzer weiter Hose und weißer Bluse fast schon leger. Maria Laura schaut in die Speisekarte. Sie ist neugierig auf die Preise. Vor zwei Wochen kostete der Teller Spaghetti 80 Pesos und heute sind es schon 100. Die seit Dezember amtierende neue Regierung unter dem konservativen Präsidenten Mauricio Macri hat beschlossen, den Peso abzuwerten, und will so die Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Wirtschaft erhöhen. Seitdem hat die argentinische Währung 50 Prozent an Wert verloren.

In Dollar denken ist verbreitet

Maria Laura wohnt noch zur Miete, möchte aber eine Wohnung kaufen, und ist wie alle Argentinier, die nach Wohlstand streben, gewohnt, in Dollar zu denken. Auch in ihrem Ministerium dreht sich alles um Dollar. Nach der Beilegung des Schuldenstreits Ende Februar will die neue Regierung einen Zwölf-Milliarden-Kredit aufnehmen, um die offenen Schulden mit den US-Hedgefonds zu begleichen in der Hoffnung, Argentinien wieder fit für den Finanzmarkt und attraktiv für ausländische Investoren zu machen.
"Wenn für den Staat der größte Posten die Begleichung der Auslandsschulden in Dollar ist, ist es sehr schwierig, sich beim Erfassen aller Ausgaben, interner und externer, vom Denken in Dollar zu lösen, genauso wie, wenn man als Kleinanleger auf ein Häuschen spart, das man in Dollar zahlen muss."
Es ist zehn Uhr morgens. Wie von Geisterhand gezogen bewegt sich das Metallgitter vor einem Büro nach oben. Das geschieht nicht etwa in einer dunklen Seitengasse, sondern auf der sechsten Etage eines modernen Geschäftsgebäudes im Herzen der drittgrößten Stadt Argentiniens, in Rosario. Pablo Bertolato schließt die Glastür von innen auf und führt den Kunden, der schon draußen gewartet hat, an drei Mitarbeitern, die an Flachbildschirmen das Auf und Ab an den internationalen Aktienmärkten verfolgen, vorbei in sein Büro. Hinter dem Schreibtisch hängt eingerahmt ein Wertpapier in kyrillischen Buchstaben, eine russische Staatsanleihe aus der Zeit vor der Oktoberrevolution.
Zu Pablo Bertolato kommen Kunden, die Geld anlegen wollen. Wenn Wertpapiere in kurzer Zeit hohen Gewinn versprechen, sind sie auch bereit, Pesos dafür auszugeben:
"Aber, wenn man Kunden zuhört, hat man den Eindruck: für sie zählt Gewinn nur, wenn er in Dollar erzielt wird. Alle Gewinne oder Verluste rechnen sie auf die Kursschwankungen des Dollars um für den Zeitraum, in dem sie das Geld angelegt haben. Es ist nun mal so: Alles dreht sich um den Dollar."
Passanten laufen am 1.8.2014 am Gebäude der Börse in der Innenstadt der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires vorbei.
Passanten vor dem Gebäude der Börse in Buenos Aires© picture alliance / dpa / David Fernandez

Geld und Habsucht haben ein enges Verhältnis

Pablo Bertolato ist Anfang 40, modischer Dreitagebart, schwarze Haare und ungewöhnlich blaue Augen, er könnte Filmschauspieler sein. Einmal am Tag stattet er dem Argentinischen Wertpapiermarkt einen Besuch ab, dessen Vizepräsident er ist. Am Eingang müssen Besucher sich eintragen und erhalten eine Chipkarte. Die Tische im Restaurant der Börse im zweiten Stock sind bereits gedeckt. Neben den Tellern stehen kunstvoll gefaltete Servietten. Eine Fensterfront erlaubt den Blick nach unten in die Halle im ersten Stock, dort werden am Nachmittag Getreidepreise ausgehandelt. Die Aktienbörse befindet sich im achten Stock.
"Geld und Habsucht sind eng miteinander verwandt. Wie eng das Verhältnis ist, muss jeder Einzelne für sich klären. Gerade an der Börse kann man erst nach Ablauf einer Frist sagen, ob sich ein Geschäft gelohnt hat. Ein Kunde ruft mich an und sagt: 'Ich habe die Aktie vor einem Monat für zehn Pesos gekauft, und jetzt ist sie zwanzig wert.' Das Kapital in so kurzer Zeit zu verdoppeln, ist natürlich optimal. Aber manch einem reicht das nicht. Jeder muss für sich selbst entscheiden, was er erreichen will."
Es ist vier Uhr nachmittags. Im Café Starbucks in Palermo, einem bei Akademikern beliebten Viertel in Buenos Aires, beugen sich Studenten über ihre Laptops und bereiten Referate vor. Mariana Luzzi ist sonnengebräunt vom Urlaub. Sie ist Professorin für Soziologie und bietet in diesem Semester ein Seminar an zum Thema "Soziologie des Geldes". In ihrer Habilitationsschrift hat sie die Rolle des Dollars in der Wertschöpfungskette des Sojaexports untersucht, einer Branche, in der vom Kauf des Saatguts, der Düngemittel und Herbizide bis hin zur Miete für landwirtschaftliche Maschinen und zur Pacht für das Ackerland alles in Dollar abgewickelt wird.
"Wenn man mit Produzenten, die in diesen Märkten aktiv sind, spricht, merkt man deutlich, welche Bedeutung dem Umgehen staatlicher Kontrolle beigemessen wird. Der Gebrauch des Dollars in Rechnungen und bei Transaktionen dient dazu, sich der staatlichen Regulierung zu entziehen."

Wenig Vertrauen in Regierungen und Banken

Das trifft ja im Grunde auch auf den Kleinanleger zu, sagt Mariana Luzzi und nippt an einem Cappuccino mit Eis. Das mangelnde Vertrauen in Regierungen und Banken hat seine Gründe und seine Konsequenzen. Wer in Dollar spart, tut es auch, um sich keinen Regeln unterwerfen zu müssen.
"Das hat viele Vorteile. Man ist immer liquide, kann das Geld abstoßen, ohne warten zu müssen, das Finanzamt erfährt nichts, niemand weiß, wie viel man hat und wo. In der Krise von 2001 wurden die Spareinlagen konfisziert, das ist noch sehr gut im Gedächtnis. Und dann ist der Dollar natürlich auch das ideale Werkzeug in einer Volkswirtschaft mit einem hohen Grad an Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung.
Andrés Asiain schließt sein Fahrrad vor dem Gebäude des Fernsehsenders C5N ab. Der junge Mann mit den zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen braunen Haaren leitet ein Wirtschaftsforschungsinstitut und ist heute Abend Gast bei einer Diskussionsrunde. Anlass ist die Erhöhung der Strompreise um 500 Prozent unter der neuen Regierung. Ein Redakteur erwartet Andrés Asian am Empfang und geleitet ihn durch ein Großraumbüro, dessen Schreibtische um diese Uhrzeit verwaist sind, zum durch eine Glaswand vom Kontrollraum getrennten Sendestudio, an dessen Wand das in Rot und Weiß gehaltene Logo des Senders prangt. Während eine Maskenbildnerin hastig sein Gesicht pudert und ein Techniker ihm ein Mikrofon ansteckt, lässt Andres Asiain noch mal seine Argumente Revue passieren:
"Eine Menge struktureller Probleme der argentinischen Wirtschaft manifestieren sich im Umgang mit dem Dollar. Warum? Die Wirtschaft wächst, aber der Mangel an Dollars schnürt alles ein. Die Krisen kommen immer von dem Austausch mit dem Ausland, durch die unausgeglichene Handelsbilanz oder die Unfähigkeit, Auslandsschulden zu begleichen. Und das steht immer in Zusammenhang mit den Themen Wechselkurs, Abwertung gegenüber dem Dollar, Einfrieren von Sparguthaben, Preisanstieg. Das alles sorgt für eine Kultur, die, wie ich denke, schwer zu durchbrechen ist."

Enormer Druck der Dollarnachfrage

Argentinien exportiert vor allem Rohstoffe und muss die damit eingelösten Dollar für den Schuldendienst und den Kauf von Energie aufwenden. Die im Land aktiven multinationalen Konzerne wollen ihre Gewinne in Dollar ins Ausland transferieren, der Immobilienmarkt muss mit Dollar versorgt werden und dann brauchen die argentinischen Kleinanleger und Sparer auch noch Dollar. Der Druck, der aus der Nachfrage nach Dollar resultiert, ist enorm. Andrés Asiain glaubt aber, dass die Freigabe des Wechselkurses, für den sich die neue Regierung entschieden hat, die Probleme verschärfen wird:
"Das zementiert die Abhängigkeit vom Dollar noch weiter. Anstatt Anreize zu schaffen, das Geld in der nationalen Währung zu sparen, und so die Abhängigkeit vom Dollar zu verringern, wird eine Politik betrieben, die vordergründig den Zugang zum Dollar liberalisiert, aber das Gut verknappt: das typische Hoffen auf die Marktregulierungsmechanismen. Du hast Zugang zum Dollar, aber er wird teurer."
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