Archivar Heinrich Glasmeier

Nazi-Karrierist, Hochstapler und Führers Liebling

Von Paul Stänner · 06.05.2015
1945: Bedingungslose Kapitulation, die "Stunde Null" in Deutschland. Das Regime war verschwunden – und mit ihm, oft spurlos, auch viele seiner Stützen. Nationalsozialisten gab es plötzlich nur noch sehr wenige. Auch der Archivar Heinrich Glasmeier war so ein Fall - plötzlich war er einfach weg.
Am 5.Mai 1945 bestieg er mit seinem Fahrer einen Wehrmachts-Kübelwagen, angeblich mit Maschinenpistole und Panzerfäusten ausgerüstet, und verschwand in Richtung Ostfront. In Kremsmünster und Graz will man ihn noch gesehen haben, dann geriet er außer Sicht. Heinrich Glasmeier war Archivar, seine größte Leistung war der Aufbau der Vereinigten Adelsarchive in Westfalen.
Reimann: "Das Jahr 1918 stellt für den Adel ja eine ganz einschneidende Zäsur dar, denn mit der Weimarer Reichsverfassung, die also 1919 in Kraft trat, verlor der Adel seine Vorrechte als Stand."
Norbert Reimann war Leiter der Vereinigten Westfälischen Adelsarchive in Münster und ist Kenner der Biografie von Heinrich Glasmeier.
"Dann hatten sich natürlich in den adeligen Familien in den Jahrhunderten zum Teil sehr große und sehr wertvolle Archive angesammelt, die dann ab 1918 eigentlich reine Privatarchive waren."
Angeblich hatte er das Fach "Archivwesen“ studiert
An diesem Punkt kommt Heinrich Glasmeier ins Spiel, eine Person mit einem ausgesprochen farbigen Lebenslauf. Der junge Heinrich Glasmeier, aus einer konservativen katholischen Familie in Dorsten stammend, hatte in Münster und München studiert – angeblich auch das Fach "Archivwesen“, obwohl es weder hier noch dort angeboten wurde.
"Rechtlich hatten diese Archive keine Bedeutung mehrund dementsprechend fristeten sie zum großen Teil ein kümmerliches Dasein in irgendwelchen Remisen oder Kellergewölben der Schlösser und nur wenige wussten um den bedeutsamen kulturellen und historischen Wert."
1913 schaffte es Heinrich Glasmeier, als Archivar beim Grafen von Merveldt angestellt zu werden. Offenbar wurde nach akademischen Weihen nicht groß gefragt. Dann brach der 1. Weltkrieg aus, Glasmeier ging zur Kavallerie und überstand den Krieg unversehrt. Eine Zeitlang trieb er sich bei verschiedenen rechtsradikalen Freikorps herum.
"Da kam 1923 der Gedanke auf, sich doch dieser Archive anzunehmen und sie sozusagen vor dem Untergang zu retten, in eine Form zu bringen, dass sie auch die Zukunft überdauern und auch benutzbar wurden."
Der clevere Glasmeier wollte auf diese Idee gekommen sein, während er als Soldat vor Reims in Frankreich Wache stand. Es wurde also ein "Verein westfälischer Adeliger" gegründet, der es sich zur Aufgabe machte, das in den Familien-Archiven gelagerte Erbe zu sichten und zu erhalten. Für den Adel waren funktionierende Archive wichtig, weil man davon ausging, dass man mit der jungen Republik lange Rechtsstreitigkeiten um Besitztümer vor sich hatte. Auf den Schlössern und Burgen wurden die Unterlagen gesichtet.
"Einmal schreibt er, dass er ein Archiv gefunden hätte, bei dem es ein so inniges Neben- und Miteinander zwischen Archivgut, Hühner und anderem Vieh gegeben hätte, dass es schwer festzustellen gewesen sei, wer eigentlich die älteren Rechte in diesem Raum gehabt hätte."
Bis heute ist die Archivwelt Glasmeier für seine damalige Arbeit dankbar. Norbert Reimann betont:
"Da ist im Grunde die Basis dafür gelegt worden, dass wir noch heute in diesem Bereich noch erfolgreich weiterarbeiten können."
Gesellschaftlicher Aufstieg mit der NSDAP
Nach dieser sehr verdienstvollen Phase in der Kultur des Rettens beginnt die dynamische Periode in Glasmeiers Leben. Er strebte nach Höherem, die Welt des Adels hatte ihn inspiriert. Da er von Hause aus nationalkonservativ orientiert war, erkannte er in der Hitlerpartei seinen Weg zum gesellschaftlichen Aufstieg. Glasmeier kannte Goebbels und Hitler, weil er sie auf Wahlkampfreisen in die Kreise des westfälischen Adels eingeführt hatte. Auf Anraten Hitlers revanchierte sich Goebbels 1933und machte den Archivar umstandslos zum Intendanten des Westdeutschen Rundfunks in Köln. Glasmeier dankte ergebenst mit den Worten:
Glasmeier (Aufnahmedatum: 24.4.1933) – "Herr Reichsminister, Parteigenossen, Deutsche Männer und Frauen. Herzlichen Dank statte ich Ihnen, Herr Reichsminister, auch von dieser Stelle aus ab, für das große Vertrauen, das Sie mir durch die Berufung auf diesen verantwortungsreichen Posten des Intendanten des Westdeutschen Rundfunk erwiesen haben. Zu ganz besonderem Danke bin ich Ihnen dafür verpflichtet, dass Sie selbst in eigener Person mich hier in dieser feierlichen Stunde heute eingeführt haben mit richtunggebenden und zielweisenden Worten."
Glasmeier fiel in seiner Amtsführung durch ein paar Eigenheiten auf: gutsherrliches Auftreten, undurchsichtige Spesenabrechnungen, bemerkenswerte Ahnungslosigkeit bei der ihm übertragenen Profession als Mann des Rundfunks. Aber Hitler mochte ihn, denn er kannte den SS-Mann als verdienten Mitläufer: Der Führer sorgte dafür, dass Glasmeier sogar Reichsrundfunkintendant in Berlin wurde.
Für tot erklärt - ohne Leiche
Damit nicht genug: Ab 1942 übernahm Glasmeier das Kloster St. Florian in Oberösterreich, das die Gestapo beschlagnahmt hatte. Hier hatte der Komponist Anton Bruckner gearbeitet, hier war auch sein Grab, hier sollte nach dem Willen des Brucknerverehrers Adolf Hitler eine gigantische Gedenkstätte mit einem eigenen Orchester und Chor eingerichtet werden. Der Führer wollte alles vom Feinsten – Glasmeier, der braune Abt, konnte mit Millionen um sich werfen wie schon lange kein Adliger mehr.
Aber dieser Traum ging zu Ende, als sich das Kriegsglück seines großen Förderers neigte. Im Frühjahr 1945 muss Glasmeier klar geworden sein, dass er sich als SS-Mann und Nazi-Karrierist Sorgen um seine Zukunft machen musste. So verschwand er im Mai 1945 in Österreich auf dem Weg zur Front, angeblich, um die Rote Armee aufzuhalten.
Von seinem Berliner Adjutanten, Oskar Haaf, verabschiedete er sich mit den Worten:
"Wir werden uns nicht wiedersehen. Einen Zusammenbruch, den von 1918, habe ich überlebt. Einen zweiten werde und will ich nicht überleben, zumal ich als Angehöriger der SS nichts Gutes zu erwarten habe."
Vielleicht hat er den Tod gefunden – oder er hat kurz hinter Graz die SS-Uniform gegen einen unauffälligen zivilen Anzug getauscht und ist abgetaucht. Man weiß es nicht. Im Winter 1945/46 wurde er für tot erklärt, ohne dass seine Leiche gefunden wurde.
Für einen ehemaligen Archivar verschwand Heinrich Glasmeier erstaunlich spurlos.
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