Architektur

Ikonen der Moderne, revisited

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Das Meisterhaus von Walter Gropius (1883-1969) in der Meisterhaussiedlung in Dessau-Roßlau. © picture alliance / dpa
Olaf Nicolai im Gespräch mit Britta Bürger · 16.05.2014
Die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Bauhaus-Meisterhäuser in Dessau sind nun fertig rekonstruiert und können besichtigt werden. Der Künstler Olaf Nicolai hat in einige Innenräume ästhetisch eingegriffen und erklärt, was er sich dabei gedacht hat.
Britta Bürger: Auf Rat des Architekten David Chipperfield hat man die legendären Meisterhäuser des Bauhauses in Dessau nicht eins zu eins rekonstruiert, sondern frei mit den Mitteln der zeitgenössischen Architektur, ausgeführt vom Berliner Büro Bruno Fioretti Marquez. Heute Mittag wird Bundespräsident Gauck diese neuen Meisterhäuser einweihen und somit auch ein Auge auf das interessante Innenleben der Häuser werfen, unter anderem gestaltet von dem Konzeptkünstler Olaf Nicolai, den ich sehr herzlich im „Radiofeuilleton" begrüße. Schönen guten Morgen, Herr Nicolai.
Olaf Nicolai: Guten Morgen.
Bürger: Sie waren dort nicht als Innenarchitekt am Werk, der jetzt Möbel restaurieren sollte oder Original-Bodenbeläge wiederbeschaffen sollte, sondern Sie nennen Ihre Innengestaltung der Meisterhäuser eine „künstlerische Intervention". Was genau müssen wir uns darunter vorstellen? Mit welcher Idee haben Sie sich den ehemaligen Wohn- und Arbeitsräumen von Walter Gropius und Moholy-Nagy genährt?
Den Innenraum erleben
Nicolai: Die Konzeption, die ich für diese Innenräume entwickelt habe, schließt etwas an an die von Ihnen beschriebene Nichtrekonstruktion des Originalzustandes. Was es im Innenraum gibt, sind sogenannte Artefakte, die von den Architekten entworfen worden sind. Da handelt es sich erst mal nur um ein Treppenhaus und um Balkone, wo man den Innenraum erleben kann in der Höhe der originalen Geschosse, die aber nicht als Geschosse komplett wieder ausgeführt sind. Sie stehen im ersten Stock, können ins Erdgeschoss schauen und können aber auch nach oben an die Decke schauen.
Ich habe für diese Artefakte die Oberfläche, die Wandoberfläche gestaltet, weil es überhaupt keine anderen Dinge gegeben hat, die man hätte gestalten können, aber auch, weil ich nicht extra Gestaltung in diese Räume einführen wollte wie eine Skulptur oder wie eine Malerei oder wie ein anderes Objekt, eine Installation. Ich ging direkt auf die Wand, die es schon gibt, und habe diese Wand selbst zum Kunstwerk gemacht.
Bürger: Das klingt einerseits architektonisch nach der Reduktion der Reduktion. Der Effekt kommt jetzt aus der Wand. Was haben Sie genau mit der Oberfläche dieser Wand gemacht?
Nicolai: Ich habe natürlich, wo ich mit der Aufgabe konfrontiert worden bin, da etwas zu tun, lange überlegt, was kann man überhaupt machen, was auch einen Bezug zu dem hat, womit man sich beschäftigt, wenn man mit dem Bauhaus zu tun hat. Eine wichtige Geschichte, was immer wieder mit dem Bauhaus verbunden wird, ist ja "form follows function", dass man nicht irgendwelche Dinge hinzuerfindet. Ich lasse es jetzt mal da hingestellt, ob der Satz immer so gestimmt hat und ob das Bauhaus auch dem selbst immer so gefolgt ist.
So habe ich gesagt, gut, eine Wand braucht etwas, damit sie verkleidet ist, sie muss verputzt werden, und ich habe gesagt, ich würde gern mit dem Putz arbeiten, habe also verschiedene Putzformen, verschiedene Putzsorten genutzt und die in verschiedenen abstrakten Flächen auf diese Wand aufgetragen.
Bürger: Das Ganze ist weiß, aber eben nicht monochrom weiß, sondern es sind verschiedene Weiße, wenn man so sagen kann. Sie haben ein Foto mitgebracht, auf dem das nicht so richtig gut herauskommt, weil man vor allem wohl das Licht braucht, das dieses Weiß, diese unterschiedlichen Weiße zum Strahlen bringt.
Mit Licht spielen
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Das Meisterhaus von László Moholy-Nagy (1895-1946) in der Meisterhaussiedlung in Dessau.© picture alliance / dpa
Nicolai: Ja man müsste vielleicht noch kurz sagen, die beiden Häuser, die da rekonstruiert werden, hatten Bewohner. Das eine ist der Herr Gropius, das andere ist Moholy-Nagy. Ich habe mich auch sehr viel mit Moholy-Nagy beschäftigt und Moholy-Nagy ist ein Theoretiker des Lichts, kann man sagen, also jemand, der sehr viel damit experimentiert hat, welche Dinge möglich sind, wenn man mit Licht spielt, wenn man Filme macht, die abstrakt sind, wo nur das Licht sich verändert, oder Fotos wie Fotogramme, und sich natürlich auch damit beschäftigt hat, wie so was in baulichen Gestaltungen irgendwie sinnfällig verwendet werden kann.
Wenn Sie vor dieser Wand stehen, die ich ganz kurz nur beschrieben habe, die mit großen abstrakten Mustern aus verschiedenen Putzformen gestaltet worden ist, dann ändert sich der Eindruck, den Sie sehen, durch den Lichteinfall. Das heißt, der Putz hat ja eine Oberfläche. Wenn er glatt ist oder wenn er gekörnt ist, reflektiert er das Licht anders. Durch diese unterschiedlichen Reflektionen entstehen unterschiedliche Flächen, die Sie sehen können, die sich voneinander abheben, und es entsteht der Eindruck, dass die verschieden farbig sind, sprich verschieden weiß: einmal ein bisschen gelblich, einmal ein bisschen bläulicher. Das sind aber Eindrücke, die erst durch das Licht und dadurch entstehen, dass das Licht auf den Putz trifft. Aber, was auch interessant ist: Wenn Sie sich durch diese Räume bewegen, verändern sich diese Flächen auch ununterbrochen, weil Sie ja Ihren Blickwinkel auf diese Dinge verändern. Und wenn man in der Physik gut aufgepasst hat, dann hat man da seine optischen Gesetze, die man da auch studieren kann.
Bürger: Das Bauhaus steht ja für die weiße Moderne. Sie folgen jetzt auch diesem Weiß in verschiedenen Abstufungen. Dabei waren doch aber manche Häuser innen vor allem auch bunt, oder? – Farbig ...
Nicolai: Dass es nur für eine weiße Moderne steht, hat eher, glaube ich, mit dem Außencharakter der Häuser zu tun. Es gibt ja auch die schönen Grundfarben von Blau, Rot und Gelb, die immer wieder bei Gestaltungen gern verwendet werden und so Bauhausanklänge evozieren. Die Farbe hat eine ganz wichtige Rolle im Bauhaus gespielt, wenn man zum Beispiel nur an die Werkstätten denkt für Textil, ganz farbprächtige Werke. Dass ich mich dort direkt wieder zurückgenommen habe und auf diese Wand bezogen habe, hat tatsächlich mit der Fokussierung auf die Frage zu tun, wie kann man mit einem Material und wie kann man mit dem, was einfach vor Ort schon da ist, eine Gestaltung herstellen, die wahrnehmbar wird, aber trotzdem nicht zu stark in den Vordergrund tritt. Denn die Häuser selbst sind aufgrund der Art, wie sie rekonstruiert worden sind, selber auch schon sehr skulptural.
Bürger: 2009 gab es im Berliner Martin Gropius Bau eine große Bauhaus-Ausstellung, und damals haben Sie sich in einem Vortrag intensiv mit der Ästhetik des Bauhauses auseinandergesetzt und sie nicht als einen Randbereich, sondern als ein gesondertes Terrain bezeichnet. Die Ästhetik sei etwas Grundlegendes, es gehe um die Art und Weise, in der unser Erleben sinnlich organisiert werde, und damit ja im Grunde um etwas, das Künstler per se immer bewegt. Ist das die Ebene, auf der auch Sie, der Künstler Olaf Nicolai, sich mit den Bauhäuslern verbunden fühlt?
Bauhaus ist ja keine homogene Erscheinung
Nicolai: Das ist ganz sicher die Ebene, auf der ich mich mit denen verbunden fühle. Oder anders gesagt: Wenn man sich mit der Geschichte des Bauhauses beschäftigt – das habe ich in diesem Vortrag, den Sie erwähnt haben, getan -, kommt man ganz zwangsläufig in diese Gemengelage, die jeden Künstler, der sich mit der Frage, wie das, was er tut, sich zur Gesellschaft verhält, man kommt ganz zwangsläufig zu diesen Themen. Und das Bauhaus ist ja keine homogene Erscheinung. Da gibt es ganz unterschiedliche Architekturen mit unterschiedlichen Zielsetzungen, wo es auch sehr darum ging, wie sozial engagiert eine Kunst sein kann, wie sozial verantwortlich sie sein kann und was für eine Rolle darin eigentlich Ästhetik spielt. Mit diesen Fragen beschäftigt sich, glaube ich, jeder, der heute künstlerisch tätig ist, also auch ich, und das ist nicht nur bauhausspezifisch. Das Bauhaus hat sehr spezifische Antworten dafür gefunden, mit denen sich mehr oder weniger heute auch noch jeder herumschlägt.
Bürger: Ging es den Bauhäuslern denn tatsächlich um die Einheit von Kunst und Leben, oder hatte sich die Kunst der klaren Gestaltung unterzuordnen? Im Gründungsmanifest des Bauhauses, da hieß es ja, das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau.
Nicolai: Ich persönlich glaube, dass es eine sehr romantische Idee ist, die da aufscheint, nämlich die Einheit des Lebens in einer gelungenen Gestaltung. Und was nun eine gelungene Gestaltung ist? Sobald Ihnen das vorgegeben wird, dann haben Sie natürlich auch ein leicht terroristisches Moment im Spiel.
Bürger: Ikonen der Moderne – die frei rekonstruierten Meisterhäuser im Bauhaus Dessau, die werden heute Nachmittag der Öffentlichkeit übergeben und sind dann fortan öffentlich zugänglich. Nicht nur das: Man kann dort sogar auch eine Übernachtung buchen und dann noch intensiver erleben, was vom einstigen Labor der Moderne auch in unserer Zeit Bestand hat. Eine Frage, die sich auch Olaf Nicolai gestellt hat. Heute ist er unser Gast hier im Deutschlandradio Kultur und hat gerade beschrieben, wie er zwei der Meisterhäuser im Inneren verändert hat. – Was ist, Herr Nicolai, vom Geist der Moderne geblieben? Wie erleben Sie jetzt diese Räume heute?
Nicolai: Die wirken sehr skulptural auf mich. Die haben eigentlich ganz klar die Spuren einer Erfahrung, die nur heute möglich ist. Das heißt, wenn Sie die sehen, werden Sie sich sehr schnell an Fotos von zeitgenössischen Künstlern erinnert fühlen, Thomas Demand zum Beispiel.
Bürger: Ist aber nicht aus Pappe ...
Reflektion ist Bestandteil der Moderne
Nicolai: Das sieht im ersten Moment manchmal so aus. Wenn Sie sich den Häusern nähern, ging es mir so, dass man erst dachte, das ist ein Modell. Aber nein, das ist ein reales Haus. – Ich glaube, dass in dieser Art der Rekonstruktion ein sehr reflektiertes Verhältnis zu dem existiert, was Moderne ist, und ich glaube, dass Reflektion eigentlich auch immer ein Bestandteil der Moderne gewesen ist. Ich sehe nicht so einen Bruch, dass wir uns nach der Moderne befinden. Ich glaube, wir differenzieren viele Dinge aus, und es gibt immer mehr Probleme, die uns bewusst werden, die in so einfachen Formulierungen wie „Einheit von Gestaltung" versteckt waren.
Wenn wir uns heute beschreiben wollen, was wir meinen, wenn wir sinnliches Erfahren sagen, dann werden wir viel über Technik reden, dann werden wir viel über Medien reden und wir werden trotzdem immer wieder über uns und unsere Körper reden. Und wie das sich zueinander verhält und verändert in der Zeit, das ist im Grunde genommen das moderne Projekt.
Bürger: Und doch ist ja vieles, was damals radikal war, heute Mainstream. Bekommt man von dem damaligen revolutionären Potenzial in den neuen Meisterhäusern noch eine Ahnung?
Nicolai: Ich glaube, dass man diese Sache, dass das Radikale Mainstream geworden ist, immer nur auf der Oberfläche so betrachten kann. Denn wenn man wieder zurückgeht, ist es ja nicht die Geste, die das Radikale war, sondern das, was die Geste bewirken sollte. Und wenn man sich fragt, was da noch offen ist, dann ist ja noch vieles unabgegolten. Da geht es natürlich um Dinge, die ein lebenswertes Leben ausmachen, nicht nur im Sinne der ganzen elementaren Grundbedürfnisse – das haben wir ja schon mitgekriegt, dass wir nicht nur essen, weil wir Hunger haben; wir essen auch, weil wir bestimmte Dinge mit diesem Essen verbinden, weil wir genießen. Und ich glaube, dieses Grundbedürfnis des Genießens im Zusammenhang mit den sozialen Fragen zu sehen, das ist vollkommen virulent und da ist die Radikalität nach wie vor ganz klar da.
Bürger: Olaf Nicolai hat zwei der neuen Meisterhäuser im Bauhaus Dessau innen gestaltet mit einer, wie er es nennt, künstlerischen Intervention. Heute Mittag wird Bundespräsident Gauck die Häuser im Rahmen eines Festakts der Öffentlichkeit übergeben. Darauf folgt dann ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm zum Eröffnungswochenende mit Konzerten, Theatervorstellungen, Diskussionen und einem avantgardistischen Kulturfest. Olaf Nicolai wird natürlich mit dabei sein. Viel Spaß und danke fürs Gespräch.
Nicolai: Ich danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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