Architektur

Häuslebau made in DDR macht Schule

Stadtplaner und Künstler Ton Matton aus Rotterdam zeigt Einzelteile eines DDR-Einfamilien-Typenhauses EW 58.
Der niederländische Stadtplaner und Künstler Ton Matton aus Rotterdam vor ausgebauten und sortierten Einzelteilen eines DDR-Einfamilien-Typenhauses EW 58. © dpa/picture alliance/Jens Büttner
Von Jürgen Stratmann · 08.06.2015
Der Niederländer Tom Matton versteht sich als experimenteller Stadtplaner. Er hat ein DDR-Eigenheim vom Typ EW-58 in Mecklenburg ab und in Almere wieder aufgebaut - und damit sogar den Architekturwettbewerb "Das einfache Haus" in seiner Heimat gewonnen. Der Entwurf des Hauses stammt von Wilfried Stallknecht, einem der einflussreichsten Architekten der DDR.
Wie unterschiedlich die Kriterien für Wunschhäuser in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs waren, wird schon deutlich, wenn man zwei populäre Schlager aus den 60er-Jahren miteinander vergleicht: der Niederländer Heintje Simon versprach damals generös etwas ausgesprochen Repräsentatives - eben das "Schloss wie im Märchen" - die ostdeutsche Chanteuse Christel Schulze dagegen forderte für sich eher:
"Bau mir ein Haus mit Treppen zum Mond - bau mir ein Haus mit einem Dach aus Sternen ..."
Ein ausgesprochen poetisches Konzept, wobei das "Dach aus Sternen" auch ganz pragmatisch als Vorschlag zur Entspannung des chronisch angespannten DDR-Baustoffmarktes hätte gedacht sein können. Dass man dort trotzdem überhaupt an sowas wie ein Eigenheim hätte denken können, verdanke sich allerdings maßgeblich Wilfried Stallknechts Entwurf für das EW 58.
Monique Ruhe: "Vom EW 58 wurde schätzungsweise eine halbe Million gebaut."
So Monique Ruhe von der niederländischen Botschaft. Wobei der Häuslebau in der DDR nicht nur ein halbkrimineller Akt gewesen sei.
Modernisierte DDR-Einfamilien-Typenhäuser EW 58 sind am 27.03.2014 in Leezen (Mecklenburg-Vorpommern) in einer Eigenheimsiedlung zu sehen. Stadtplaner und Künstler Ton Matton aus Rotterdam (Niederlande) baut das Typen-Einfamilienhaus der DDR in Almere (Niederlande) im Rahmen eines Wettbewerbes mit Originalteilen wieder auf.
Modernisierte DDR-Einfamilien-Typenhäuser EW 58 in Leezen (Mecklenburg-Vorpommern). © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Nestbau als soziale Unternehmung
Ton Matton: "Wo es irgendwas zu bekommen gab – einpacken! Mit dem Klaufix unterwegs – Klaufix ist ostdeutsch für Anhänger."
... sondern auch und vor allem: eine soziale Unternehmung!
Ton Matton: "Wenn du eine Trabi-Tür hast, man könnt die tauschen mit dem Fleischer, für ein halbes Schwein, und mit das halbe Schwein, dann wüßtest du, da kommst du wieder an den Tischler ran, der dann die Fenster baut!"
Bis 1989 seien die Häuser gebaut worden - und Martin Böttger, der Moderator des Abends, weiß:
"Heute stehen immer noch viele davon herum!"
Ton Matton hat in der Mecklenburgischen Provinz ein komplettes Haus abbauen - und im niederländischen Almere mit seiner Cousine wieder aufstellen lassen, die dort übrigens fürs Publikum ihre Oberarme präsentieren musste:
Ton Matton: "Kannst du einmal aufstehen – und einmal so machen? Dann sieht man: sie baut zwei Jahre jetzt an ihr Haus – jetzt kannst du dich wieder setzen – sie baut zwei Jahre und hat Arme wie eine Ossi-Frau!"
Es geht ihm um Nachhaltigkeit - und um die alte ostdeutsche Eigeninitiative - mit politischer Dimension – es geht um ...
"Das Bewusstsein: Wenn unsere Regierung uns nicht mehr hilft, dann müssen wir uns selbst helfen!"
Der ideale Wohnhaustyp
Das EW 58 sei der ideale Wohnhaustyp zum Improvisieren und Selbermachen – allerdings, so Archtitekt Stallknecht:
"Ich habe eine ganz konkrete Aufgabe gehabt, wir haben gearbeitet im Auftrage des Ministeriums für Bauwesen – und da haben wir uns eigentlich noch keine Gedanken gemacht, darüber, was die Leute aus ihren Häuschen dann tatsächlich realisieren."
Das Selbstversorgertum - bürgerliches Selbstbewusstsein voraussetzt -, erklärte auch der Stadtplaner Maurice Hermans, der die Entwicklung der Stadt Heerlen untersucht hat: eine Stadt, die nach dem abrupten Ende der Kohleförderung in den 70ern unter katastrophalem Bevölkerungsschwund leide, doch man müsse den Niedergang, so wie Ton Matton den Häuser-Leerstand in Mecklenburg-Vorpommern als Ressource nutzt, auch als Chance begreifen, nur:
Maurice Hermanns: "Die Kirche und die Zeche haben immer bestimmt – und haben die Leute auch immer versorgt – von Wohnen, Hobbys, alles wurde organisiert – und das heißt, dass es da noch viel geben muss, dass die Leute in die Selbstversorgung kommen. Die Kultur gibt's noch nicht!"
Selbstversorger-Selbstermächtigung
Ob das Internet nicht ein wichtiger Faktor bei der Verbreitung dieser Selbstversorger-Selbstermächtigung sein könnte, wollte Diskussionsleiter Matthias Böttger wissen, weil sich jeder durch soziale Medien über die dazugehörigen Techniken, Fertigkeiten, Baupläne informieren könne?
Ton Matton: "Ich finde, in dieser ganzen Technologie – die Überlegung: dass man ein Haus baut und weiß, da kommen im Winter jeden Tag Leute, die müssen da im Ofen ein Eimer mit Kohle darein, und deswegen ist es vernünftig, eine Treppe zu bauen, vom Keller, das man´s rrrrtsch – so in diesen Ofen schmeißen kann – und dann über diesen Ofen alle Zimmer heizen kann. Für mich ist es gefühlsmäßig anders, wenn ich höre, ich könnte jetzt im Auto nach Hause fahren und dann mein Kühlaschrank beauftragen, Milch zu kaufen, im Supermarkt, dass, wenn ich komm, die Milch da ist – finde ich eine andere Größenordnung!"
Wobei der betagte – und leicht gehbehinderte Wilfried Stallknecht zum Thema Treppe nachschob:
"Ich distanziere mich von diesen Häusern – heute ist mein Grundsatz: keine Wohnung mehr ohne Aufzug!"
Soviel zum Thema ..
Mehr zum Thema