Archäologie

Krieg muss es nicht geben!

Ein Soldat der Syrischen Arabischen Armee in Damaskus
Eigentlich überflüssig: Ein Soldat der Syrischen Arabischen Armee in Damaskus © dpa / picture-alliance / Iliya Pitalev
Harald Meller im Gespräch mit Dieter Kassel · 10.03.2016
Wir, die Menschen, sind eigentlich kooperative, friedliebende Wesen, und Kriege können auch wieder abgeschafft werden. Eine eher überraschende These – aber der Archäologe Harald Meller kann sie gut begründen.
"Der Frieden ist eigentlich der Naturzustand." In Zeiten, in denen Millionen Menschen vor Krieg und Vertreibung nach Europa flüchten, ist diese These ungewöhnlich. Der Direktor des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Harald Meller, begründet sie historisch. Krieg gebe es erst seit etwa 10.000 vor Christus, sagte er im Deutschlandradio Kultur. Er kommt mit der Ausbildung des Ackerbauerntums und der ersten Bevölkerungsexplosion auf.
Bei den ersten Kriegen ging es höchstwahrscheinlich um die Eroberung von fremden Besitz und Land. Auch junge Frauen wurden gern geraubt – "man wollte die eigene Gruppe vergrößern und die andere schädigen", sagt Meller. Seiner Ansicht nach ist Krieg eine "kulturelle Erfindung" und könne auch wieder verschwinden. Dafür müssten dann allerdings die Gründe für Krieg beseitigt werden – und davon ist die Menschheit auch Meller zufolge Lichtjahre entfernt. Gute Chancen auf immerwährenden Frieden hätten wir nur, wenn wir den Besitz gerecht verteilen und den weltweiten Bevölkerungszuwachs stoppen. Wenn jemand weiß, wie man das schafft: Bitte melden.

Das Gespräch im Wortlaut:

Dieter Kassel: So schwierig er in diesen Zeiten auch zu träumen ist – viele halten fest an dem Traum, dass moderne Gesellschaften den Krieg irgendwann überwinden könnten. Andere nun wiederum sagen, das sei unrealistisch, denn der Krieg gehöre zur Menschheit einfach dazu, das zeige ja schon die Geschichte. Und genau die wollen wir uns jetzt angucken, die Geschichte des Krieges. Allerdings nicht mit einem Historiker, sondern einem Archäologen: Harald Meller ist der Direktor des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Schönen guten Morgen, Herr Meller!
Harald Meller: Guten Morgen!
Kassel: Wann gab es denn den ersten archäologisch nachweisbaren Krieg der Menschheitsgeschichte?
Meller: Der erste archäologisch nachweisbare Krieg existiert sozusagen mit den allerersten Bauern um etwa 10.000 vor Christus, das heißt sehr, sehr spät in der Menschheitsgeschichte. Denn Menschen gibt es seit Millionen von Jahren.
Aber während der Zeit, als sie Jäger und Sammler sind und nur ganz dünn die Erde besiedeln mit wenigen Menschen, gibt es keinen Krieg. Krieg existiert und beginnt mit dem Ackerbauerntum, mit der ersten Bevölkerungsexplosion, mit einer gewissen Enge, damit beginnt Krieg.
Kassel: Was hat man denn gefunden, was kann man nachweisen, das Sie da so sicher macht?

Skelette, in denen Pfeilspitzen stecken

Meller: Ja, die ersten Kriege, die wir nachweisen können, sind nachgewiesen durch zahlreiche Skelette, in denen Pfeilspitzen etwa stecken, durch Befestigungsmauern, durch Waffen, durch die Reste von Schlachtfeldern und Ähnlichem. Mord und Totschlag zwischen Einzelnen gibt es lange vorher, aber systematischer Krieg entsteht mit den ersten Bauern, also relativ spät in der Menschheitsgeschichte.
Kassel: Kann man auch sagen, worum es ging bei diesen Kriegen?
Meller: Bei den ersten Kriegen ging es sehr wahrscheinlich um Frauen, um Land, um festen Besitz, um Viehherden und Ähnliches. Dinge, die eigentlich vorher, als die Menschen Jäger und Sammler waren und als die Menschen sich ohne Landbesitz in weiten Räumen bewegten, keine Rolle spielten, die erst wichtig werden, wenn die Menschen sesshaft werden und um fruchtbares Land und mobilen Besitz kämpfen.
Kassel: Das heißt, wenn ich die Frage stelle, hat der Krieg eher die Entwicklung der Gesellschaft beeinflusst oder die Entwicklung der Gesellschaft den Krieg, dann sagen Sie wahrscheinlich zwar prinzipiell beides, aber eher doch Letzteres?
Meller: Krieg kommt, wenn Sie so wollen, mit einer gewissen Form der Zivilisation, mit dem Ackerbauerntum und dem Besitz. Also, Krieg gehört nicht von Haus aus zum Wesen des Menschen.
Kassel: Wie hat sich das denn weiterentwickelt? Ab wann sind denn archäologisch ganze Armeen und ganze Heere nachweisbar?

Armeen kommen erst mit der Staatenbildung auf

Meller: Anfangs sind die Gruppen, die Krieg führen, relativ klein. Einzelne Dörfer, einzelne größere Gruppen. Ganze Armeen und geordnete Kriege, systematische Bewaffnungen von Armeen, die gibt es sozusagen mit dem Beginn von Staaten, die gibt es ab der Bronzezeit, nach einigen Jahrtausenden Menschheits- und Kriegsgeschichte gibt es auch diese Entwicklung, aber es ist eine relativ späte Entwicklung. Und dann bleibt diese Entwicklung lange Zeit stabil, die letztlich geht bis ins hohe Mittelalter, bis in die frühe Neuzeit, wo Kriege sich durch technische Erfindungen nochmals ganz wesentlich dynamisieren.
Kassel: Was kann man denn über die Opfer sagen? Waren das am Anfang direkte Kriegsteilnehmer in erster Linie oder gab es von Anfang an auch viele Opfer unter denen, was wir heute als Zivilbevölkerung bezeichnen?
Meller: Von Anfang an sind zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung. Einer der ersten Kriege, die wir in Mitteleuropa kennen, ist der Krieg um ein neolithisches Dorf bei Aspern in Österreich und hier haben wir praktisch eine ganze Dorfbevölkerung, die niedergemetzelt wurde. Typisch ist bei solchen frühen Kriegen, dass Frauen, junge Frauen als wertvolles Gut geraubt und in die eigene Gruppe eingegliedert wurden.
Kassel: Wenn wir über Frauen reden: Ging es da nur darum, sie einzugliedern, um sie wirklich zu haben, Fruchtbarkeit, oder ging es auch wie heute oft in Kriegen darum, den Gegner damit zu demütigen?
Meller: Demütigung ist sicherlich ein Gesichtspunkt. Der wesentlichste Gesichtspunkt dürfte aber gewesen sein, dass man die eigene Gruppe vergrößert und die andere Gruppe schädigt.
Kassel: Wenn Sie sagen – und so verstehe ich Sie, Herr Meller –, dass das quasi nicht angeboren ist, dass das nicht ein fester Bestandteil der Menschheit ist, der Krieg, sondern dass er sich eben entwickelt hat aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung …
Meller: Absolut richtig.
Kassel: … kann man daraus etwas für die Gegenwart schließen, kann man sozusagen sich eine Entwicklung vorstellen, durch die Krieg dann auch wieder verschwindet?

Krieg als "kulturelle Erfindung"

Meller: Ja, selbstverständlich. Aggression gehört zum Menschen, Krieg ist eine kulturelle Entwicklung, es ist eine kulturelle Erfindung. Und eine kulturelle Erfindung kann auch wieder verschwinden. Wenn die Umstände gegeben sind, die Kriege nicht mehr nötig machen, müssten Kriege eigentlich verschwinden. Und wir hoffen, dass wir es irgendwann hinkriegen, dass wir eigentlich keine Kriege mehr brauchen.
Kassel: Aber es hieße natürlich, wenn ich auf das zurückblicke, was Sie gesagt haben, es hieße natürlich, wir müssten irgendwie eine andere Beziehung zu Besitz kriegen, oder? Weil, es ging ja darum, dem anderen was wegzunehmen, wenn ich Sie richtig verstehe.
Meller: Selbstverständlich, wir müssten die Bevölkerungsexplosion in den Griff kriegen, wir müssten eine Verteilung, einigermaßen gerechte Verteilung von Besitz hinkriegen und so weiter. Lauter Dinge, von denen wir Lichtjahre entfernt sind, weil unsere Bevölkerung weltweit gesehen natürlich schneller wächst, als wir uns das wünschen, und die Ressourcenverteilung extrem ungerecht ist, selbst in zivilisierten Staaten.
Kassel: Sie haben glaube ich in einem anderen Zusammenhang mit diesem Thema, die Geschichte des Krieges, auch gesagt: Zum Krieg gehörte und gehört aber auch immer Frieden. Aber war das historisch gesehen wirklich mehr, der Frieden wirklich mehr als die Pause zwischen den Kriegen?

Der Frieden ist der Naturzustand

Meller: Der Frieden ist eigentlich der Naturzustand. Die Menschen sind von Haus aus im Grunde friedlich angelegte Wesen. Die Menschen gehen Jahrhunderttausende den Konflikten eher aus dem Weg, die sind viel zu teuer und zu aufwändig, solche Konflikte, Menschenleben viel zu kostbar. Wir glauben immer, Krieg würde es seit immer geben. Krieg gibt es nur in den letzten wenigen Prozent der Menschheitsgeschichte, seit einigen Tausend Jahren.
Nichtsdestotrotz ist es aufgrund der Überbevölkerung, des Bevölkerungsdrucks, der ungleichen Ressourcenverteilung und von Ideologien inzwischen schwer, ihn wieder aus der Welt zu schaffen. Einmal in eine Welt gesetzt, ist der Krieg schwer zu besiegen. Wir müssen aber wissen, dass wir von Haus aus, von unserer Natur her, keine Krieger sind, die automatisch immer Krieg vom Zaun brechen, sondern eigentlich kooperative, eher friedliebende Wesen sind, die schweren Konflikten vernünftigerweise, normalerweise aus dem Weg gehen.
Kassel: Harald Meller war das, Direktor des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt über die Geschichte des Krieges. Und noch bis zum 22. Mai ist dazu übrigens auch eine Ausstellung zu sehen im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale. Herr Meller, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Meller: Danke schön, Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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