Archäologe: Maya-Kalender endet nicht mit Weltuntergang

Nikolai Grube im Gespräch mit Katrin Heise · 17.12.2012
Im Dresdner Buchmuseum wollen in diesen Tagen viele Menschen den sogenannten Codex Dresdensis bewundern - vor dem angeblichen Weltuntergang am Freitag. Der Untergang ist "eine große Flut", sagt dagegen der Archäologe Nikolai Grube - "eine Flut, die die Maya verbanden mit tropischen Stürmen".
Katrin Heise: In diesen Tagen wird das Buchmuseum in Dresden von einem Besucheransturm überrannt, rechtzeitig vor dem angeblichen Weltuntergang am kommenden Freitag stehen Menschen Schlange, um den sogenannten Codex Dresdensis zu bewundern. Das ist nämlich eine 800-jährige Maya-Handschrift, und die umfasst 39 Seiten Hierroglyphen, Zahlen, Zeichen, Bilder. Und die konnten Ende des 19. Jahrhunderts als ein Kalender entziffert werden. Auf der letzten Seite dieser Schrift ist ein Drache zu sehen.

Und aus dessen Rachen kommen sintflutartige Wassermassen, sie schießen hervor. Errechnet wurde, dass dieses Kalenderende auf den kommenden Freitag fällt und dann eben auch das Weltende bedeutet. Ich begrüße nun den Archäologen und Maya-Kenner Nikolai Grube, der über den Codex Dresdensis gearbeitet hat und noch gerade im November in Mexiko forschte. Schönen guten Morgen, Herr Grube!

Nikolai Grube: Guten Morgen, Frau Heise!

Heise: Diese letzte Seite des Maya-Kalenders mit diesem wasserspeienden Drachen bedeutet also nicht den Weltuntergang Ihrer Meinung nach?

Grube: Nein, sie bedeutet nicht den Weltuntergang, zumindest nicht unseren Weltuntergang. Also nicht den viel zitierten vom 21. Dezember 2012, der uns ja in einigen Tagen angeblich bevorsteht – nein, das ist eine große Flut, das stimmt schon, aber eine Flut, die die Maya verbanden mit tropischen Stürmen, mit Hurrikans, die ihren Lebensraum ja immer wieder zyklisch heimsuchen.

Heise: Das heißt also, die Assoziation zur christlichen Sintflut, die dann alles überspülen, ist nicht so fern?

Grube: Natürlich gibt es da gewisse, wie soll ich mal sagen, gemeinsame Vorstellungen, die sicherlich auch begründet sind einfach in der Tatsache, dass die Maya in einer tropischen Welt leben und dort ja ständig großen Fluten ausgesetzt waren, und das Wasserproblem eben auch für alle antiken Kulturen letztlich ein großes Problem gewesen war. Entweder hatten sie zu viel oder zu wenig.

Heise: Jetzt lassen Sie uns mal auf diesen Codex Dresdensis, über den wir gerade sprechen, ein bisschen genauer blicken: Das ist eine von drei erhaltenen Handschriften der Maya. Beschreiben Sie uns mal, woraus der eigentlich besteht und was drauf zu sehen ist.

Grube: Ja, der Codex Dredensis ist ein Maya-Buch, das besteht aus einem langen Papierstreifen aus Rindenbastpapier, der mit einer Kalkschicht überzogen ist und dann bemalt ist mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Kapiteln, die sich Vorhersagen für Krankheiten widmen, Zeremonien zur Heilung, zur Anrufung der Mondgöttin ... Aber es geht auch um die Vorhersage von Sonnen- und Mondfinsternissen und den Berechnungen von Planetenläufen.

Heise: Das heißt, diese Rechenkünste, die sich da vor allem eben auch niederschlagen, die sind für heute noch oder für unsere heutigen Tage noch gültig, diese Ergebnisse, die da verzeichnet sind?

Grube: Vielleicht kann man das so nicht sagen, dass sie für heute noch gültig sind. Sicherlich kann, wenn man die Finsternistafeln, die Sonnen- und Mondfinsternisse vorhersagen, wenn man denen ein anderes Startdatum zugrunde legt, dann könnten wir sie auch auf die Gegenwart übertragen.

Aber ansonsten handelt es sich natürlich um eine Form von Maya-Astrologie, das heißt also den Versuch, in den Gestirnen, in der Astronomie einen Spiegel dessen zu erkennen, was auf der Erde sich ereignet. Und das funktioniert natürlich nur, wenn man daran glaubt und wenn man in die Kultur der Maya selber eingebunden ist.

Heise: Würden Sie sagen, dass diese Rechenkunst, diese präzise Rechenkunst, obwohl er eben so stark auf mit dem Glauben verbunden war, quasi ein Ausweis der Hochkultur der Maya war?

Grube: Ja, das Wort Hochkultur ist natürlich ein sehr schwieriger Begriff. Sicher sind die Rechenkünste einfach ein Zeugnis dafür, wie intensiv sich die Maya mit ihrer Umwelt und der Natur auseinandergesetzt haben und wie sie versucht haben, die Zyklizität der Natur festzuhalten und zu ordnen durch den Kalender.

Heise: Wir lassen uns die 800 Jahre alte Handschrift der Maya, die in der Dresdner Universitätsbibliothek liegt, erklären von dem Archäologen Nikolai Grube. Herr Grube, ich hab ja schon gesagt, dass dieser Codex Dresdensis eine von nur drei erhaltenen Handschriften der Maya ist. Also man sieht in Dresden dann auch das Original. Warum sind eigentlich nicht mehr Zeugnisse erhalten?

Grube: Das hängt damit zusammen, dass die Maya-Bücher ganz einfach in dem tropischen Klima sich nicht erhalten konnten. In der feucht-heißen Witterung Yucatans und Mittelamerikas zerfällt organisches Material und Papier.

Und die Bücher, die nicht durch diesen natürlichen Zerfall zerstört worden sind, die wurden von den Spaniern im 16. Jahrhundert eingesammelt und verbrannt. Und deswegen haben nur ganz wenige Exemplare den Weg nach Europa gemacht, darunter eben der Dresdner Kodex, aber auch zwei andere, die sich heute in Paris und in Madrid befinden.

Heise: Verbrannt, weil man glaubte, das sind Dinge des Teufels?

Grube: So ist es. Die Spanier glaubten, dass sie ihr Missionswerk nicht durchführen könnten, wenn diese Bücher noch existierten, die ja von den Göttern und von religiösen - also, die die Kalenderrechnung und die Astronomie einbetten in einen großen religiösen Zusammenhang.

Dort ist von der Mythologie die Rede, von den alten Göttern, und damit waren diese Bücher automatisch suspekt. Und auch die gesamte Schrift der Maya, die die Spanier nicht verstanden, wurde als ein Werk des Teufels angesehen.

Heise: Und dann kommen wahrscheinlich eben auch solche Prophezeiungen wie die, über die wir am Anfang gesprochen haben, überhaupt zustande, oder, dass man den Maya da was in den Mund legt, was da überhaupt nicht hingehört.

Grube: Ja, so ist es. Das ist allerdings nicht durch die Spanier gekommen, sondern diese Prophezeiungen stützen sich, diese Überlegungen stützen sich auf das 19. und 20. Jahrhundert, als das wissenschaftliche Interesse an dem Dresdner Kodex begann und man dieses letzte Bild sah und dann tatsächlich eben diese Parallelen zog zu den verschiedenen Sintflut-Geschichten, die wir in verschiedenen alten Kulturen haben.

Heise: Wie ist diese Handschrift eigentlich nach Dresden gelangt? Wenn man von den spanischen Inquisitoren ausgeht, dann ist ja Dresden nicht der direkte Weg?

Grube: Ja, das ist eine spannende Geschichte, die wir gerade versucht haben zu erhellen in einem Kongress in Dresden über den Kodex. Vermutlich ist der Kodex im frühen 16. Jahrhundert von Franziskanermönchen von der Halbinsel Yucatan nach Europa gebracht worden und hat dort einen langen Weg genommen nach Österreich.

Und in Wien ist er 1739 aufgetaucht, das kann man nun richtig verfolgen. Dort ist er dann aufgekauft worden von einem Dresdner Bibliothekar, der für den sächsischen König Bücher kaufen sollte, orientalische Handschriften, und da drunter wurde ihm dann auch eine mexikanische Handschrift mitgegeben. Und seit dieser Zeit befindet sich der Kodex eben in Dresden.

Heise: Bedeutet den Nachfahren der Maya diese Schrift eigentlich etwas? Wissen sie davon, wo die liegt und interessieren sich dafür?

Grube: Ja, die modernen Maya interessieren sich sehr für den Dresdner Kodex. So sehr, dass sie auch eine Reproduktion des Kodex in Guatemala angefertigt haben und es auch verschiedene Untersuchungen und Studien über den Dresdner Kodex gibt, die von Maya geschrieben worden sind und in Guatemala und in Mexiko verkauft werden.

Heise: Ausgangspunkt unseres Gesprächs war ja diese Untergangsprophezeiung. Tatsächlich ist die Kultur der Maya ja tatsächlich untergegangen. Woran lag das denn eigentlich? Was ist da passiert vor 600 Jahren?

Grube: Damit sprechen Sie eine der großen Forschungsfragen an, die wir bis jetzt noch nicht geklärt haben in der Archäologie. Und das ist ein Prozess, der sehr kontrovers diskutiert wird in der Forschung. Es gibt eigentlich zwei große Ideen: Auf der einen Seite, dass Klimaveränderungen und damit einhergehende Dürrekatastrophen das Ende der Maya-Kultur eingeläutet hätten.

Und die andere Idee ist, dass es interne Konflikte gegeben hat, die einen Zerfall des Königtums mit sich brachten, sodass man die großen Städte, die das Maya-Tiefland ausgemacht hatten während der Blütezeit im siebten und achten und neunten Jahrhundert nach Christus insgesamt verlassen worden sind.

Heise: Aber das mit den Klimakatastrophen müsste man doch eigentlich nachweisen können, oder?

Grube: Ja, diese Klimakatastrophen kann man auch nachweisen. Tatsächlich hat es diese Dürreperioden gegeben. Die Frage ist nur, ob diese Dürreperioden auch wirklich der Auslöser für das Verlassen der Städte gewesen sind oder nur ein Faktor, der das Verlassen der Städte beschleunigt hat. Ob nicht zuvor bereits die Maya-Städte und die Maya-Kultur insgesamt so instabil gewesen ist, so vulnerabel, dass diese Klimaveränderungen dann diese enormen Folgen haben konnten.

Heise: Was die Klimaveränderungen schon im Denken da bewegt haben bei den Maya, das haben Sie ja ganz am Anfang auch schon gesagt. Also auch gerade diese sintflutartigen Regenfälle waren ja immer ein Thema. Wenn jetzt also am 21.12.2012 einfach nur ein Zyklus eines Kalenders zu Ende geht, dann kommt danach ein neuer - darauf können wir uns verlassen?

Grube: Darauf können wir uns verlassen, ja. Es gibt neue Inschriften, also Inschriften, die gerade gefunden worden sind, die den Kalender weiter zählen über viele hundert Jahre in die Zukunft. Also ich denke, wir können noch zumindest über die nächsten paar hundert oder paar tausend Jahre ganz gewiss sein, dass der Maya-Kalender uns da kein Bein stellen wird.

Heise: Also Beruhigung von Nikolai Grube, Altamerikanist und Archäologe zur Weltuntergangsprophezeiung, die in den Maya-Kalender hineininterpretiert wurde. Schönen Dank, Herr Grube!

Grube: Vielen Dank ebenfalls!

Heise: Die Lust am Untergang interessiert uns im Radiofeuilleton auch weiterhin. Morgen an dieser Stelle gehen wir der Frage nach, welche Funktion ein Weltende für Gemeinschaften eigentlich tatsächlich hat.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Programmhinweis:
Apokalypse Now - Der Maya-Kalender und die Lust am Untergang
Reihe im Radiofeuilleton

Passend zum erwarteten Weltuntergang senden wir am 21.12.12 ein Konzert zum Ende der Zeit, ab 22.30 Uhr.
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