Arbeitsmigration

In die Pflege geknechtet

Von Peter Kreysler · 29.07.2014
Spanische Pflegekräfte kommen nach Deutschland, weil sie in ihrem Heimatland keine Anstellung finden. In Deutschland bekommen sie Jobs angeboten - doch oft nur zu skandalösen Konditionen.
"Hallo Chavin, schön, dass du mich abholst. Ich bin wirklich müde. Die Familie, bei der ich gearbeitet habe, war richtig schwierig."
Zwei junge Spanier treffen sich am Ostbahnhof in Berlin. Die eine kommt gerade an, der andere fährt heute noch weg.
"Ich hatte einen schwer kranken Jungen zu pflegen, der hatte hohes Fieber und die Mutter hat mir vorgeschrieben, was ich zu machen habe. Kannst du dir das vorstellen?"
Nerea und Chavin sind seit acht Monaten in Deutschland, um schwer kranke Menschen zu pflegen, immer sieben Tage am Stück, dann ist Pause. Zwischen Ankommen und Abfahren erzählt Nerea ihrem Freund aufgeregt, wie es ihr die letzten Tage ergangen ist.
"Die Mutter wollte den armen Jungen anders behandeln, als der Doktor es verschrieben hat. Aber ich habe doch die Verantwortung für den Jungen. Was soll ich denn da machen?"
Die Spanier sprechen nur wenig Deutsch. Sie mussten anfangs einen Sprachkurs machen, der bezahlt wird. Das Geld lässt sich die private Pflegefirma aber zurückerstatten, wenn die Mitarbeiter vorzeitig kündigen.
Pflegekräfte wie Leiharbeiter behandeln
"Jetzt kann ich gerade meine Sachen waschen und dann muss ich morgen zum nächsten Job. Komm lass uns nach Hause gehen und zu meinen Freunden hallo sagen und dann gehen wir was essen."
Bei Nereas Pflegefirma arbeiten circa 200 junge Spanier, die angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit zuhause versuchen, irgendwo anders ihr Glück zu finden. Was sie nicht ahnen: Es ist hierzulande völlig legal, Pflegekräfte wie Leiharbeiter zu behandeln. Denn der Pflegesektor wurde in den 1990er Jahren für private Anbieter geöffnet.
"Ich verbringe zwölf Stunden ohne Pause mit den Patienten. Dann werde ich für zwölf Stunden von einem Kollegen abgelöst. Sieben Tage lang wechseln wir uns ab. Manche Patienten liegen im Koma, andere sind an Atmungsgeräte angeschlossen. Es ist oft so stressig, dass ich in meiner Zwölf-Stunden-Schicht nicht einmal zum Essen komme."
In dem tristen Plattenbau nahe dem Ostbahnhof sind die modernen Wanderarbeiterinnen untergebracht. 900 Euro müssen die beiden jungen Frauen, die sich die Wohnung teilen, zahlen, da bleibt zum Leben nicht viel. Zufällig ist die Mitbewohnerin Anna gerade zu Hause. Auch sie arbeitet in der ambulanten Intensivpflege und wird heute noch verschickt, um jemanden zu pflegen. Sie weiß nicht, wer der Patient ist und an welcher Krankheit er leidet.
"Alles okay. Ich habe einen langen Schichteinsatz von acht Tagen vor mir und komme erst in neun Tagen zurück und ich weiss nicht einmal, wo es hingeht."
Anna, Chavin und Nerea haben sich ihr Leben in Berlin anders vorgestellt: Arbeiten - ja, auch im Schichtdienst, aber zu ordentlichen Bedingungen.
"Eigentlich war ich sehr froh, als ich endlich herkommen konnte, dann stellte ich fest, wie schlecht die Arbeitsbedingungen hier sind."
"Würde hat ihren Wert, Arbeit ihren Preis“
Die drei haben sich an die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gewandt. Deren Zentrale ist nur ein Steinwurf vom Ostbahnhof entfernt. Auf der Glasfassade des modernen Zweckbaus steht das Verdi-Motto in großen weißen Lettern: "Würde hat ihren Wert, Arbeit ihren Preis“. Darunter wartet der Gewerkschafter Kalle Kunkel auf die spanischen Pflegekräfte. Er hat sich die Verträge der 3 genau angeschaut und ist entsetzt.
"Es fängt schon mal mit der Bezahlung an: Die bekommen 9,50 Euro. Das ist, wenn man das mit dem Lohn einer Krankenschwester im öffentlichen Dienst vergleicht, 20 bis 40 Prozent weniger, dann sparen diese Unternehmen 7- bis 8000 Euro. Die Monatssätze für einen Patienten in der Beatmungs- und Intensivpflege liegen zwischen 18 und 45 Tausend Euro, also da ist schon ordentlich Geld zu machen und das zahlt die Krankenkasse."
Neu ist dieser Missbrauch nicht, auch mit Pflegekräften aus Polen oder der Ukraine werden immer wieder Geschäfte gemacht. Aber der Fall der Spanierinnen ist extrem, sie haben einen Knebelvertrag unterschrieben.
"Wenn sie das Unternehmen früher verlassen, das führt eben dazu, dass die Beschäftigten bis zu 6.600 Euro zurückzahlen müssen. Man kann das - in der historischen Analogie - als eine Schuldknechtschaft bezeichnen. Das ist im Grunde genommen eine modernisierte Form davon, die in bestimmten Grenzen tatsächlich auch legal ist, und das ist ein Skandal."
Nerea will das nicht mehr hinnehmen. Sie hat Konsequenzen gezogen.
"Ich habe gekündigt. Ich weiss nicht, wo mir der Kopf steht. Ich habe Angst, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Wie soll ich die Strafgebühr bezahlen?"