Arbeitsmigration

Bulgaren für Bayern

Bayerisch-bulgarische Baubesprechung. Vier Auszubildende aus Burgas lernen bei der Baufirma (Streicher) in Niederbayern
Bayerisch-bulgarische Baubesprechung. Vier Auszubildende aus Burgas lernen bei der Baufirma (Streicher) in Niederbayern © Ernst-Ludwig von Aster
Von Ernst-Ludwig von Aster · 09.02.2014
"Ist der Landrat verrückt geworden?" Diese Frage beschäftigte vor zwei Jahren in Niederbayern etliche CSU-Gefolgsleute. Damals begann der Landkreis Deggendorf, Auszubildende aus Bulgarien zu holen. Heute gilt der Landrat nicht mehr als verrückt, sondern als Trendsetter. 30 Azubis aus Bulgarien lernen inzwischen im Landkreis und die örtlichen Unternehmer lassen sich auf eine Warteliste setzen, um bei der nächsten Werbetour nach Burgas am Schwarzen Meer dabei zu sein.
Martin legt das Messer beiseite. Wäscht sich die Hände, trocknet sie an der Schürze ab. Er trägt sie hoch über der Hüfte geschnürt, damit sie ihm nicht unter die Füße gerät.
Der 19-Jährige geht zum Kühlraum, wuchtet eine Jungbullen-Lende auf die Schulter. Klein, kompakt, fast kugelrund – Martin sieht aus wie ein Koch aus dem Bilderbuch.
"Was wir hier in der Küche machen, gibt es bei uns nicht, das war schon interessant am Anfang. Was war das, probieren wir das."
Er packt die Rinderlende auf den Tisch, zieht die Folie ab. Martin kommt aus Burgas, der Hafenstadt am Schwarzen Meer. Vor eineinhalb Jahren zieht er von Bulgarien nach Bayern, lernt seitdem Koch im Landgasthaus Kräh. In der 30.000 Einwohnerstadt Deggendorf. Dem Tor zum bayerischen Wald, wie die Tourismuswerber locken. Der junge Lehrling greift zum Messer beginnt die Lende zu parieren…
"Wenn ich hier gekommen bin, ich konnte nicht Hallo sagen, aber wenn man mit deutsche Leute oft unterhalten dann wird es schnell."
Martin schnippelt, Elena macht Spätzle, Koch Waclaw wirbelt am Herd und witzelt, Martina treibt zur Eile an. Ein bulgarisch-tschechisch-bayrisches Kochteam im Mittagseinsatz. Siggy Zippert, der Chef der bunten Truppe, wirft kurz einen Blick in die Küche, nickt zufrieden, holt sich einen Kaffee, setzt sich nach vorne in die Gaststube. Hinter der Theke kümmert sich seine Frau Roswitha um die Zimmerreservierungen.
Ein Fußballschal grüßt die Gäste: "Südtribüne – was sonst ?". Siggy Zippert ist Borussia-Fan. Und Dortmunder. Dazu steht der drahtige Grauhaarige auch im tiefsten Bayern. Vor acht Jahren ziehen die Zipperts nach Deggendorf und übernehmen den großen Landgasthof.
"Der Laden war abgewirtschaftet, dann haben wir hier erst einmal gesessen, wurden auch noch mit den Vorurteilen unserer bayerischen Gäste konfrontiert, jetzt kommt auch noch ein Preuße und meint, er könnte hier ein bayrisches Wirtshaus führen…"
Im Gasthof ist das Personal knapp
400 Plätze drinnen im historischen Saal, 300 draußen im Biergarten, drei Gaststuben, 43 Pensionsbetten. "Mein Alcatraz" nennt Roswitha Zippert scherzhaft den riesigen Gasthof. Hier trifft sich die Feuerwehr, heiraten die Deggendorfer, zum Mittagstisch kommen Rentnergruppen aus dem Ort, durchreisende Handwerker übernachten, im Sommer stoppen viele Fahrrad- und Motorradtouristen. 25 Mitarbeiter brauchen die Wirtsleute, um den Laden am Laufen zu halten. Aber von Anfang an ist das Personal knapp. Dann liest das Gastwirt-Paar von einer Initiative des Landkreises: Der will junge Bulgaren nach Bayern zur Ausbildung locken.
"Dann haben wir uns überlegt, Mensch, wenn junge Leute aus Bulgarien diesen Schritt machen und sagen, wir gehen nach Deutschland, wir wissen, dass das nicht einfach ist, die Sprachbarriere ist hoch, dann haben wir überlegt, wir probieren das einfach mal, mal schauen, was dabei rauskommt."
Zuerst kommen Martin und Mattei. Roswitha Zippert gluckst immer noch vor Vergnügen, wenn sie an das erste Treffen mit ihren Koch-Lehrlingen zurückdenkt.
"Als die dann gekommen sind, naja, der Mattei, das ist ein ganz langer Dünner, wirklich fruchtbar dünn und fruchtbar lang, und der Martin ist ja nun das Gegenteil, da kommen die hier rein, da schaue ich meinen Mann an. Und sage: Siggy, ich glaube, das wird nix, was haben die uns denn da geschickt. Das war so lustig. Dann waren vier Monate um und dann hat sich das ja wirklich gut entwickelt."
Mittlerweile machen vier junge Bulgaren ihre Ausbildung. Zwei als Köche, zwei als Restaurantfachkraft.
Einige Kilometer weiter steuert Ralf Gewiese seinen Dienstwagen über die
Straßen von Deggendorf, der 30.000-Einwohner-Kreisstadt, deren bulgarische Azubis weit über Bayern hinaus Schlagzeilen machen.
Ralf Gewiese ist für den "Streicher" unterwegs, wie sie hier sagen. Ein Familienunternehmen, das seit mehr als einhundert Jahren im Baugeschäft ist.
"Ich bin ja Leiter vom Baustofflabor, das ist meine richtige Arbeit und ich bilde die Straßenbauer aus aber auch die Baustoffprüfer."
Büffeln für die Prüfung: Um den Berufsschulstoff zu bewältigen, gibt es deutsch-bulgarische Extra-Stunden.
Büffeln für die Prüfung: Um den Berufsschulstoff zu bewältigen, gibt es deutsch-bulgarische Extra-Stunden.© Ernst-Ludwig von Aster
Straßenbau, Rohr- und Anlagenbau, Hoch-&Tiefbau – mehr als 3000 Mitarbeiter beschäftigt die Firma in der ganzen Welt. Tendenz steigend. Doch Auszubildende sind in vielen Bereichen kaum zu kriegen – für den Straßenbau zum Beispiel. Seit mehr als zwei Jahren gibt es bulgarische Bewerber
"Da bin ich gleich zum Bulgaren-Beauftragten ernannt worden, der erste Bulgare war ein Straßenbauer, also fällt er in meinen Zuständigkeitsbereich, kann man nichts machen."
Gewiese muss lachen, wenn er daran zurückdenkt. Stanimir heißt sein erster Azubi vom Schwarzen Meer.
"Ich bin im Finanzamt mit dem Stanimir gewesen, ich war Telefonkarten kaufen, ich habe ihm die Stadt kurz einmal gezeigt, das habe ich schon am Anfang mal getan, weil er schon ein bisschen hilflos war, natürlich."
Zweieinhalb Jahre ist das her. Er organisiert erst einmal eine Grillfeier mit Kollegen zum Kennenlernen. Wenn es Probleme gibt, ruft Stanimir ihn an. Eines Tages kommt eine SMS von der Baustelle: "Habe mir die Finger am Fuß verletzt." Gewiese grinst. Die Zehen sind schon lange wieder in Ordnung. Mittlerweile lernen drei Straßen- und ein Anlagenbauer in der Firma.
Das Doppelte des bulgarischen Durchschnittslohns
Am Ortsrand liegt die Großbaustelle. Hier entstehen neue Hallen für die Streicher-Gruppe. Ein Bagger hebt Erdreich für Rohrleitungen aus, mehrstöckig grau ragt ein Rohbau in die Höhe. Radoslaw, Ibrahim und Stanimir kommen zum Wagen: dicke Wollmütze unter weißen Helmen mit dem Streicher-Logo, leuchtend orangene Arbeitsjacken, schwere Arbeitsschuhe.
"Mein Vater hat mir gesagt, du musst nicht diese Möglichkeit vermissen, du musst Attacke. Die Mutter hat ein bisschen geweint und hat auch ja gesagt, du musst probieren, es ist besser in Ausland."
Seit Monaten protestieren Studenten in Bulgarien, besetzen Universitäten, blockieren das Parlament. Die Regierung ist in der Dauerkrise: Vetternwirtschaft und Korruption sind an der Tagesordnung. Es gilt das Recht des Stärkeren – in fast allen Lebensbereichen.
"Beispiel ich arbeite jetzt in Bulgarien. Und wenn ich habe ein Problem mit meinen Kollegen, wenn ich rede mit meinem Chef, er sagt vielleicht, das ist mir egal, oder so, aber hier ist ganz andere. Menschen hat ein Problem und wir können mit unseren Chef sprechen und alles geht okay."
Mehr als tausend Euro verdienen sie hier im zweiten Lehrjahr, das ist das Doppelte des bulgarischen Durchschnittslohns. Sie vermissen Bulgarien, sagen die drei, zurück aber will erst einmal keiner
"Ich habe Bruder, er ist 12 Jahre alt, er ist in Schule aber will auch in Deutschland kommen, mit mir und jetzt er lernt deutsch."
"Der Professor Birg hat uns ja beraten, bei unserem Demografie-Projekt."
Im Landratsamt Deggendorf wühlt Christian Bernreiter, der Urheber der Bulgarieninitiative, hinter seinem großen Schreibtisch in einem hüfthohen Papierstapel: Zeitungen, Pressemitteilungen, Broschüren und Bücher liegen übereinander.
"Da: 'Die ausgefallene Generation', da ist es: 'Was die Demografie über unsere Zukunft sagt'. Durch den Pillenknick und danach ist ja eine ganze Generation ausgefallen."
Das schreibt der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg 2005. Er analysiert den Geburtenrückgang, prognostiziert Arbeitskräftemangel. Für Fachleute ist das nichts Neues. Neu aber ist, dass ein bayerischer CSU-Landrat nachrechnet, was dies für seinen Kreis bedeutet:
"Es war damals so, dass in den nächsten 15 Jahre 4000 oder 4500 Leute mehr aus dem Erwerbsleben ausscheiden als Jüngere nachwachsen. Und das spürt man ja überall jetzt schon, wir sind mittendrin in dieser Entwicklung."
Bernreiter legt das Buch auf den großen Besprechungstisch, setzt sich. Ein bulliger kräftiger Mann, CSU-Mitglied, gelernter Stahlbauingenieur, der jahrelang den elterlichen Betrieb leitet, bevor er Landrat wird. 2009 fährt Bernreiter das erste Mal ans Schwarze Meer, um eine Schulpartnerschaft zu feiern. Seit mehr als 20 Jahren kooperieren die Berufsschule Deggendorf und zwei berufsbildende Gymnasien in Burgas.
"Ich war überrascht, dass dort die jungen Leute wirklich gut Deutsch sprechen. Dann war bei mir Hinterkopf, wenn das mit der Demografie ein Problem ist, dann könnten wir aus dem was machen."
Das Interesse in Bulgarien ist groß
Zu dieser Zeit schwört CSU-Chef Horst Seehofer in München seine Partei mal wieder lautstark auf die Formel "Deutschland ist kein Einwanderungsland" ein. In Deggendorf arbeitet derweil Christian Bernreiter an seiner bulgarischen Azubi-Beschaffungs-Maßnahme. Nicht auf Fachleute warten, die eh nicht kommen, sondern selber welche ausbilden, das ist die Idee.
"Ich habe alle zusammengetrommelt, Handwerkskammer, die IHK war mit dabei, Schulleitung, Arbeitsamt und dann haben wir uns auf die Reise gemacht und haben unsere Idee vorgestellt."
Das Interesse in Bulgarien ist groß. Aber viele Eltern stellen besorgte Fragen. Christian Bernreiter gibt ihnen sein Wort, dass ihre Kinder in seinem Landkreis anständig behandelt werden. Doch nicht bei allen Deggendorfern kommt die Werbeaktion gut an. Noch in Burgas klingelt bei Bernreiter das Telefon.
"Ist der Landrat verrückt geworden, wir haben doch selber genug, die keine Arbeit haben."
Kein Service in Sicht: Händerringend suchen bayrische Wirtshäuser nach Lehrlingen im Restaurantfach.
Kein Service in Sicht: Händerringend suchen bayrische Wirtshäuser nach Lehrlingen im Restaurantfach.© Ernst-Ludwig von Aster
"Bring mir einen Azubi, der Bäcker, Straßenbauer oder Hotelfachmann werden will, und ich besorg ihm eine Stelle." Das ist seine Standardantwort. Niemand meldet sich. Stattdessen kommen die ersten Bulgaren. Der Landkreis organisiert Fahrräder, Kühlschränke. Zahlt im ersten Jahr zwei Heimflüge. Und beobachtet genau das Verhalten der Arbeitgeber.Denn manch einer wittert die Chance, an billige Arbeitskräfte zu kommen. Für einen Bäckermeister ist seine bulgarische Erfahrung dann auch schnell vorbei. Er ist seine Azubis los.
"Klar, dass die bulgarischen Auszubildenden nicht 17 Stunden am Tag arbeiten wollen in einer Bäckerei, das war halt relativ schnell klar, da bin ich auch persönlich verärgert gewesen über solche Dinge, weil man mit solchen Methoden ein solches Projekt auch schnell zum Scheitern bringen kann."
Heute machen mehr als 30 bulgarische Azubis ihre Ausbildung im Landkreis. Elf haben ihren Ausflug in die deutsche Arbeitswelt vorzeitig abgebrochen. Die meisten Unternehmer haben ihre Lektion gelernt, sagt Bernreiter. Mittlerweile bewerben sich die Firmen-Chefs beim Landratsamt, um einen Platz für die nächste Werbetour nach Bulgarien.
"Ich werde immer wieder angesprochen, hast du nicht für mich auch einen, kann ich da nicht mitkommen?"
Demnächst fliegt wieder eine Delegation nach Burgas.
"Alles ist neu für mich, ich habe als Kellnerin in Bulgarien gearbeitet. Ich kenne das. Aber hier ist es etwas anderes, es ist nicht Bulgarien, es ist Deutschland. Es ist ein anderes Land, es ist eine andere Sprache, es sind andere Leute."
Stefka trägt Wurst- und Käseplatten vom Frühstücksbuffet in die Küche. 19 Jahre, Hotelfachfrau, ausgebildet am Tourismusgymnasium in Burgas. In Bayern lernt sie seit drei Monaten Restaurantfachfrau. Im Schwarzacher Hof. Einem imposanten alten Gebäude in einem kleinen Ort, 17 Kilometer von Deggendorf entfernt.
"Ich muss sagen, ich kann nicht bayerisch, ich habe fünf Jahre nur hochdeutsch mit meiner Lehrerin in Bulgarien gelernt."
"Mit Stefka meinst du nicht, dass du hier eine Auszubildende hast, mit Stefka meinst du, dass es eine Fachkraft ist, die auch schon fast alles kann. Du musst ihr zwar hier und da was beibringen, aber den Service am Gast macht sie nahezu perfekt."
"Die ersten Wochen waren schwer"
Oswald Valks lehnt zufrieden an der Theke, unterhält sich mit Gästen auf Hochdeutsch. Er kommt aus dem Ruhrgebiet, übernimmt vor einem Jahr mit seiner Frau den alten Gasthof. Und sucht seitdem vergeblich nach Auszubildenden. Dann kommt Stefka: Klein, fröhlich, voll ansteckender Energie. Ein Glückfall für die Valks.
"Stefka bekommt einen tarifliche Ausbildungsvergütung, dann bekommt sie die Förderung vom Landratsamt, dann ist sie hier komplett an den Trinkgeldern beteiligt, wo sie dann auch noch einmal einen kleinen dreistelligen Betrag im Monat hat. Und sie bekommt Urlaubs- und Weihnachtsgeld."
Stefka ist die einzige Bulgarin in dem 2800-Seelen-Ort. Die meisten anderen Azubis arbeiten in Deggendorf. Dorthin fährt nur ein Schulbus.
In der Küche streckt sich Stefka, balanciert auf Zehenspitzen, platziert das letzte Glas vom Frühstücksbuffet im mittleren Regal. Höher kommt sie nur mit einem Stuhl. Stefka ist 1,55 Meter groß. Das passt so gerade, um Gläser über die Theke zu reichen.
"Die ersten Wochen waren schwer, aber mein Chefs sind ganz toll, sie machen alles für mich, sie sind jetzt meine Familie, meine zweite Familie hier, ich wohne hier noch."
Jetzt ist Zeit für die Pause, ihr Zimmer Nummer 209 liegt gleich unterm Dach. Viel Holz, zwei Einzelbetten, rustikaler bayerischer Schick. Auf dem Bett surrt ein tragbarer Computer. Ein Sprung läuft quer über das Display.
"Ich bin allein und mir ist ein bisschen langweilig. Ich brauche mit jemanden sprechen, so bin ich, ich brauche das."
Vor allem nachts, wenn sie nicht schlafen kann. Manchmal liegt sie bis drei wach. Einfach so. Stefka blickt auf den Computerbildschirm. Es warten schon einige Nachrichte.
"Hier, das ist ein Freund aus Bulgarien, das ist die Elena Nikolova, die arbeitet im Haus Kräh, mit ihr wir sprechen zuviel."
Mit Elena ging sie in Burgas zur Schule, auch mit Martin und Mattei. Nach der Arbeit chatten sie jetzt per Internet, von Dorf zu Dorf. Von Bulgare zur Bulgare. In Bayern. Beim Blockunterricht in der Berufsschule sehen sie sich alle paar Wochen wieder.
Am Berufsschulzentrum Deggendorf eilt Zlatka Bensch mit schnellen Schritten durch die große Halle. "Ihre Brücke zum Beruf" wirbt ein kleines Schild am Eingang
"Ich habe auf Schiffen gearbeitet und Häuser geputzt", erzählt sie. Mit 800 Mark und einem Koffer kommt Zlatka Bensch vor 15 Jahren aus Bulgarien nach Deutschland. Einen Abschluss des deutschen Gymnasiums in Plovdiv in der Tasche. Und eine Zusage für das Geografie-Studium in Passau.
Von einem Professor hört sie, ihr Land sei verrottet und miserabel. Und dort würde sie auch hingehören. Heute ist die sportliche 34-Jährige mit dem ansteckenden Lachen Grundschullehrerin im kleinen Örtchen Osterhofen, gleich um die Ecke. Sie unterrichtet als Klassenlehrerin, als einzige mit Migrationshintergrund.
"Und plötzlich holen wir bulgarische Azubis nach Deutschland, ich habe mir gedacht, tolle Sache, aber ich habe gleich geahnt, dass diese Sache mit vielen Schwierigkeiten verbunden sein wird. Ich habe gleich den Schulleiter kontaktiert und ich habe nur angefragt: Brauchen sie Hilfe? Und damals wurde mir gesagt ja."
Probleme in der Berufsschule
Die Berufsschulleitung ahnt früh, dass der Unterricht nicht reibungslos laufen wird. Allerdings gibt niemand Geld für Zusatzunterricht. Erst ein Jahr später erkennen auch die Verantwortlichen in Deggendorf, dass deutscher Berufsschulstoff für bulgarische Azubis schwer verdaulich ist. Seitdem kommt Zlatka Bensch jeden Donnerstag für zwei Stunden an die Berufsschule.
Im zweiten Stock warten schon acht Schüler, die meisten lernen Maurer, einige Heizungsbauer.
"Jungs, zeigt mal her, was muss man wie vorbereiten, was muss man machen, was habt ihr in Sozialkunde gemacht? Adolf Hitler, das Dritte Reich, Folgen für das Grundgesetz, Machtübernahme Hitlers. Oho, heute haben wir Geschichte."
Alle setzen sich an einen großen Tisch breiten die Unterlagen aus. Zlatka Bensch übersetzt vom Deutschen ins Bulgarische. Und zurück. Die Schüler schreiben. Zwei Stunden geht das so. Quer durch den Berufsschulstoff. Manchmal muss auch Zlatka Bensch zum Wörterbuch greifen.
"Als Themen mussten wir heute bearbeiten: Datenübertragungen, dann zweischaliges Mauerwerk, dann müssen wir noch die Reichsgründungen bearbeiten, dann müssen wir Arbeitsverträge, Tarifverträge und Kündigung bearbeiten, ja und jetzt bin ich fix und fertig."
Unter Bayern: Stefka ist die einzige bulgarische Auszubildende im kleinen Örtchen Schwarzach.
Unter Bayern: Stefka ist die einzige bulgarische Auszubildende im kleinen Örtchen Schwarzach.© Ernst-Ludwig von Aster
Und die Schüler erst recht. Im praktischen Teil hat kaum einer Probleme, weiß Zlatka Bensch. Nur bei der Theorie hapert es manchmal, vor allem aus sprachlichen Gründen.
"Da ist jeden Tag mindestens eine E-Mail: Können Sie mir helfen? Ich verstehe das nicht. Oder das Arbeitsblatt abfotografiert, ich verstehe es nicht, können Sie mir helfen? Daran kann man erkennen, dass die Schüler wirklich willig sind, dass sie möchten."
"Manchmal bin ich auch so etwas wie eine Ersatz-Mutter", sagt sie lachend. Vor allem wenn es Kummer gibt. Deutsche Freunde haben bisher die Wenigsten gefunden. Dafür bleibt schlicht keine Zeit, weiß Zlatka Bensch.
"Hier in der Berufsschule sagen sie, ja der verspottet mich und der mobbt mich richtig. Er meint, nur weil ich kein Deutsch spreche, bin ich dumm, das bin ich aber nicht. Ich kann mich nicht ausdrücken, aber ich verstehe, was er sagt, und das bedeutet nicht, dass ich minderwertig bin."
Durchhalten rät sie dann. Mit dem Lehrer sprechen. Oder auf der Arbeit mit dem Chef. Manchmal hilft auch ein Anruf beim Landratsamt.
"Fünf Prozent haben fürchterliche Angst und ich denke, die glauben nicht mehr an sich selbst, aber die restlichen 95 Prozent sind kämpferisch eingestellt, und ich hoffe das bleibt so."
"Nach der Ausbildung bleibe ich hier"
Ein paar Straßen weiter scheppert bulgarische Musik aus dem Computer. Feierabendstimmung in der Azubi-WG. Vier Lehrlinge leben hier, helle Zimmer, unweit vom Deggendorfer Zentrum. Einige Kollegen sind ein Stück weiter untergebracht. Sie teilen sich Zimmer im nahegelegenen Kloster Metten. Dort wohnt zurzeit auch der umstrittene Limburger Bischoff, Franz-Peter Tebartz-van Elst. Auf Anregung des Papstes. Damit er zu sich selbst findet.
Frisch geduscht lümmelt Stanimir auf einem durchgesessenen Sofa, sein Kollege Ibrahim lehnt an der Heizung. Radoslaw beugt sich über den Rechner. Es riecht nach Fertigpizza. Stanimir nimmt einen Schluck Bier aus der Flasche. An der Wand lehnt Ibrahims Mountainbike.
"Für meine Gesellenprüfung weiß ich nicht, schaue ich, wenn ich das Ergebnis bekomme, alles schwierig."
Er macht im Frühjahr seine Gesellenprüfung. Als einer der Ersten, die aus Bulgarien kamen.
"Jeden Tag kommen ganz neue Wörter, du musst das lernen. Ab und zu weißt du nicht, was das ist, musst du selber suchen, was soll das sein, musst du das kombinieren."
Auf dem Tisch brennen fünf Teelichter. Bei der Zwischenprüfung ist er knapp durchgefallen erzählt er. Es kann also eng werden. Zurzeit liegt ein Antrag bei der Industrie- und Handelskammer, ob Zlatka Bensch bei sprachlichen Unklarheiten in der Prüfung Übersetzungshilfe geben darf. Das wäre ein Novum in Bayern. Und eine große Hilfe für Stanimir und seine Freunde.
"Schauen wir mal. Wenn alles gut ist, bleibe ich da, das habe ich auch auf der Baustelle gesagt."
Stanimir steht auf, beugt sich mit Radoslaw über den Rechner. Auf dem Bildschirm baut sich langsam die Homepage von Burgas auf.
"Das ist unser Meeresgarten. Das ist unser Hafen und das ist unser Strand, von hier bis da ungefähr."
Meeresgarten, Strand, Palmen in Burgas. Dazu die romantische Seebrücke. Die drei Azubis machen noch ein Bier auf. Stanimir zieht eine CD aus der Tasche: "Isar-Brücke" steht darauf.
Baustellen-Bilder. Ein Geschenk von einem Anwohner. Der Kreisverkehr mal von links, mal von rechts, ein Bilderreigen unter grauem Himmel rund um die Straßenbaustelle. Jedes Mal, wenn er im Bild ist, lacht Stanimir zufrieden.
Im Landgasthaus Kräh üben spätabends die Jagdhornbläser. Martin, der kleine Koch, kommt aus der der Küche, die Kochschürze über der Schulter. Feierabend. Der 19-Jährige holt sich noch ein Glas Leitungswasser, geht die alten Holzstufen nach oben, in den zweiten Stock.
Zwei Einzelbetten. Er schläft vorne, Daniau, ein anderer Azubi, hinten. Auf den Schränken liegen ihre Rollkoffer. Von der Wand grüßt barbusig eine Blondine vom Pin-Up-Kalender. Ein Geschenk der Chefin, sagt Martin grinsend. Auf dem Tisch warten zwei Wörterbücher. Ein bulgarisches Rezeptbuch, steht zwischen einem Glas bulgarischen Honig und einer Flasche Schnaps, selbstgebrannt von den Eltern in Burgas.
"Die sind schon traurig, dass ich hier bin. Aber sie haben gesagt, für deine Zukunft ist es schon besser, wenn du hier bist. Sie vermissen mich schon, aber es hilft nichts."
Martin zieht sich um, er will gleich noch ein Feierabend-Bier trinken. Der 19-Jährige greift zu Zigarettenpackung, Jacke und Schlüssel.
"Ich fühle nicht, dass ich 1700 Kilometer von Zuhause weg bin. Ich denke, wenn ich mit der Ausbildung fertig bin, dann bleibe ich hier."
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