Arbeitsleben

Zu viel "Change" überfordert die Mitarbeiter

Ein Mann und eine Frau in Business-Look beugen sich gemeinsam über einen Laptop-Computer
"Die meisten Menschen sind Change-Profis", so Reiner Czichos. © imago / McPHOTO
Reiner Czichos im Gespräch mit Dieter Kassel · 14.08.2015
Change Management gilt heute als Schlüsselbegriff im Arbeitsleben. Viele Mitarbeiter seien aber frustriert, weil sie zu viele Veränderungen im Berufsalltag erlebten, sagt der Diplomsoziologe Reiner Czichos.
"Ich erlebe viele Mitarbeiter, die sagen schon wieder eine Veränderung", sagte der Coach und Buchautor Reiner Czichos im Deutschlandradio Kultur. "Sie kennen den schönen Spruch: Schon wieder wird eine neue Sau durchs Dorf gejagt." Die Mitarbeiter erlebten häufig, dass die Manager das Interesse verloren hätten und beim nächsten "Change" den letzten längst vergessen hätten. "Das ist oft Frustration", sagte Czichos über seine Erfahrungen in Workshops und Coachings mit Managern.
Bessere Kommunikationsprozesse nötig
Es gebe einen wichtigen Unterschied zwischen Kommunikation und Information, betonte der Trainer. Häufig seien Beschäftigte mit zu vielen Informationen überfordert. Er empfehle stattdessen einen guten Kommunikationsprozess, der in der richtigen Form auf die unterschiedlichen Zielgruppen ausgerichtet sei.
Erfahrungen aus dem Privatleben stärker nutzen
"Die meisten Menschen sind Change-Profis", sagte Reiner Czichos und verwies auf die Erfahrungen im Privatleben, wo sehr flexibel auf Veränderungen reagiert werde. "Wir wissen, wie das geht." Im Unternehmen fehlten dagegen oft die richtige Vorbereitung und entsprechende Unterstützer. "Man müsste eigentlich nur diese Erfahrungen auf das Arbeitsleben überführen."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Chefs sollen ihre Mitarbeiter wertschätzen, keine Wischi-Waschi-Unternehmenskultur pflegen und ihre Mitarbeiter nicht mit Veränderungen belästigen, die keinen Sinn machen. Das haben wir alles schon gehört hier in mehreren Gesprächen zum Thema Frust und Motivation am Arbeitsplatz. Am Anfang stand da die Sendung "Tacheles", in der der Sozialpsychologe Dieter Frey das zwar mit dem Wertschätzen ausführlich erklärt hat, aber durchaus auch gesagt hat, dass die Rolle von Führungskräften nicht immer einfach ist.
Dieter Frey: "Man macht es oft sehr einfach, wenn man jetzt nur sagen würde, der Chef ist verantwortlich. Natürlich, denke ich, der Fisch fängt am Kopf zu stinken an, dann muss man die Treppe von oben kehren, das ist schon richtig. Aber Führungskräfte sind auch nur Menschen, haben ihre Stärken und ihre Schwächen. Und die Führungskraft ist ja mit so vielen unterschiedlichen Zielgruppen verbunden, sie hat mal zu tun mit einer Heterogenität von Mitarbeitern, von zehn bis hundert Mitarbeitern, die alle unterschiedlich sind, von zehn bis hundert Kunden, von zehn bis hundert Lieferanten, mit dem Betriebsrat, mit den Ansprüchen der Gesellschaft. Und es ist gar nicht einfach, diesen sehr heterogenen Interessen und Sehnsüchte der Zielgruppen, mit denen es eine Führungskraft zu tun hat, zu entsprechen."
Kassel: So weit der Sozialpsychologe Dieter Frey. Gestern hat dann noch ein Organisationsforscher hier in unserem politischen Feuilleton vor unsinnigem Change Management gewarnt, das Veränderungsprozesse begleite, die gar nicht notwendig sind. Über Chefs und über ihre Probleme unter anderem bei Veränderungen wollen wir jetzt mit Reiner Czichos reden. Er ist Diplom-Volkswirt und Diplom-Soziologe, Geschäftsführer der Beratungsfirma CTN in München, und er ist Autor des Buches "Erfolgsfaktor Change Management". Schönen guten Morgen, Herr Czichos!
Reiner Czichos: Schönen guten Morgen, Herr Kassel!
Frustration ist oft das Problem
Kassel: Schließen wir mal an gestern an. Das passiert ja wirklich oft, dass Mitarbeiter sich Reformprozessen verschließen, weil sie finden, dass die keinen Sinn machen. Wie geht man als Führungskraft mit so was um?
Czichos: Zunächst möchte ich in Frage stellen, ob das der Grund ist, dass sie sich den Reformprozessen verweigern, weil es keinen Sinn macht. Ich sehe eher etwas anderes. Ich erlebe viele Mitarbeiter, die sagen: "Schon wieder eine Veränderung!". Sie kennen den schönen Spruch: "Schon wieder wird eine neue Sau durchs Dorf gejagt". Das ist einfach zu viel häufig, und die Mitarbeiter erleben dann auch häufig, dass, wenn die Manager das Interesse verloren haben, schon wieder beim nächsten Change sind, den ersten schon wieder längst vergessen haben. Also es ist oft Frustration und "warten wir mal ab, das überleben wir auch noch". So erlebe ich das, wenn ich in Workshops, in Coachings mit den Mitarbeitern und Managern rede.
Kassel: Aber egal, wie häufig sie sind, oft werden ja Veränderungen als nicht sinnvoll empfunden, weil der ganz oben sich was ausgedacht hat, ohne die Arbeitsabläufe, die es betrifft, wirklich zu kennen.
Czichos: Ja, das ist ein Teil dieser großen Veränderungen. Aber es werden ja auch täglich Veränderungen gemacht, auf Teamebene, auf Abteilungsleiterebene und, und, und. Und da ist es schon, dass Menschen, Manager – Manager sind ja auch Menschen - dass sie sich Dinge ausdenken wie "Wir müssen hier Dinge verändern!". Es ist ein Zieldruck da, es ist der Druck vom Wettbewerb, man muss Dinge verändern, und häufig ist gar keine Zeit da und man redet zu wenig miteinander. Und dann kommt natürlich die Frage "Warum das?" Das ist klar. Und da kann man jetzt so locker sagen, man muss jetzt den Sinn vermitteln den Mitarbeitern. Ja, Informationen geben, das reicht dann nicht. Kommunizieren, das ist wichtig.
Richtige Information zur richtigen Zeit
Kassel: In dem Zusammenhang sagen Sie auch in Ihrem Buch, so habe ich es verstanden, wenn ich das hier einfach zusammenfassen darf, dass Mitarbeiter im Verlauf von Veränderungsprozessen immer schlechtere Laune bekommen, je mehr Informationen sie kriegen. Das würde ja, wenn man das falsch versteht, bedeuten, nicht sagen, einfach anordnen.
Czichos: Ja, deswegen habe ich vorhin den Unterschied zwischen Information und Kommunikation angedeutet. Ich erzähle es mal an einem Beispiel. Ich habe mal eine Managerin, Top-Managerin erlebt, die hat eben allen ihren Mitarbeitern, 150 waren dort versammelt, innerhalb von 60 Minuten 50 Charts gezeigt mit allen Details dieser Veränderung, die man vorhatte, vollkommen offen. Ich habe nachher einige Mitarbeiter gefragt. Die waren total verwirrt. Die wussten nichts, weil es einfach zu viel war.
Was stattdessen? Wir haben nachher einen Kommunikationsprozess aufgebaut: die richtige Information zur richtigen Zeit an die richtigen Leute in der richtigen Form. Das war ein großer Aufwand, aber wir haben die Leute speziell und zielgruppenspezifisch damit angesprochen. Das war die richtige Vorgehensweise.
Kassel: Aber ist es nicht doch oft so – übrigens, ich finde, nicht nur im Arbeitsleben, aber über das Arbeitsleben sprechen wir ja jetzt –, dass Menschen, selbst wenn sie vorher selber der Meinung sind, so, wie es jetzt ist, kann es eigentlich nicht weiterlaufen, dass sie trotzdem Veränderungsprozesse ablehnen, weil man irgendwie als Mensch ganz schnell glaubt, eine Veränderung ist immer ein Veränderung zum Schlechteren?
Czichos: Nun ja, sicherlich, aus Erfahrung, die Mitarbeiter haben inzwischen viele Change-Erfahrungen. Ich behaupte, die meisten Menschen, wir alle, wir sind Change-Profis. Gucken Sie aufs Privatleben, wie viele Veränderungen wir im Laufe unseres Lebens machen. Wir wissen, wie das geht. Bloß im Unternehmen wird es zu häufig nicht angewendet. Man wird nicht vorbereitet, es gibt keine Unterstützer, es sind keine Freunde da. Im Privatleben gibt es Zeremonien, da gibt es Verankerungen. Also wir sind eigentlich Profis, man müsste eigentlich diese Erfahrungen nur auf das Arbeitsleben überführen. Aber wer erzählt den Managern das? Das kommt ja kaum auf den Business-Schools vor, in der Ingenieursausbildung kommt es nicht vor, und in den meisten Führungsseminaren, die ich miterlebt habe, kommt das auch nicht vor.
Ehrlichkeit lohnt sich
Kassel: Ich komme bei diesen Gesprächen zum Thema immer früher oder später auf das Thema Ehrlichkeit, deshalb tue ich es jetzt am Ende unseres Gesprächs auch bei Ihnen. Ist nicht auch bei diesen Veränderungsprozessen Ehrlichkeit wichtig? Dass man zum Beispiel auch zugibt, wenn es am Ende um Einsparmaßnahmen geht, zu sagen, darum geht es auch in der Tat, zumindest unter anderem, und nicht zu sagen, das sind revolutionäre Veränderungen, und da wird alles besser?
Czichos: Auf jeden Fall. ich erinnere mich an einige Workshops, wo Manager das tatsächlich gesagt haben: Karten auf den Tisch, das sind unsere Probleme, das sind unsere Schmerzen. Und das Interessante ist, wenn man wirklich offen mit den Menschen darüber redet, dann fangen die an, das zu verstehen und haben sogar Ideen, wie man dazu beitragen kann, was man dazu tun kann. Ich denke schon, dass der normale Mensch normalerweise, wenn er nicht gerade voll unter Stress ist, tatsächlich sich auf solche Gespräche einlässt und auch erwartet von den Managern, ehrlich zu sein. Und ich kenne viele Beispiele dafür.
Ich würde nicht sagen, die meisten Manager, die ich kenne, sind irgendwie schlecht und verstehen gar nichts und sind böswillig, im Gegenteil. Die Absichten sind hervorragend in diese Richtung, und Ehrlichkeit ist genau ein zentraler Punkt, Offenheit.
Kassel: Herzlichen Dank, Reiner Czichos war das, Diplom-Soziologe und Diplom-Volkswirt und außerdem auch noch Autor des Buches "Erfolgsfaktor Change Management". Über die Schwierigkeiten, die Mitarbeiter, aber auch Chefs dabei, bei Veränderungen, oft haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Reiner Czichos, Erfolgsfaktor Change Management, Haufe Lexware Verlag, 39,35 Euro

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