Arbeitskampfkrimi

"Die größte Katastrophe im Nachkriegsgroßbritannien"

Steikende Bergarbeiter am 1.5.1984 in Nottinghamshire in England. Nach fast einem Jahr wurde am 5. März 1985 der bisher längste Arbeitskampf in der britischen Industrie offiziell beendet. Am 12. März 1984 waren aus Protest gegen die geplante Stillegung von fünf unrentablen Zechen.
Steikender Bergarbeiter wird 1984 in Nottinghamshire abgeführt © picture-alliance/ dpa / epa Archive
Moderation: Joachim Scholl · 18.03.2014
1984-85 streikten Tausende britische Bergarbeiter gegen die angekündigten Zechenschließungen. Der Autor David Peace hat darüber einen Roman geschrieben, der sich liest wie ein Krimi, "weil die Geschichte dieses Streiks auch ein Krimi war".
Joachim Scholl: Mit hammerharten Krimis über den Yorkshire-Ripper wurde er in den 1990er-Jahren weltberühmt: David Peace. Dass der 1967 geborene Brite jedoch literarisch weitaus mehr kann, bewies er 2004 mit dem Roman "GB84", der vom erbitterten Kampf der britischen Coal Miner, der Bergarbeiter, gegen die Beschlüsse der Thatcher-Regierung 1984 erzählt. Es ist ein immens politisches Buch, das jetzt endlich auch in deutscher Übersetzung erschienen ist.
David Peace lebt und schreibt in Tokio, kommt selten nach Europa – wir hatten Glück, ihn in Leipzig auf der Buchmesse abzupassen, und ich habe ihn zunächst gefragt, wie das für ihn selber ist, sein Buch in den Händen zu halten, das vor zehn Jahren im Original erschienen ist, über Ereignisse, die genau 30 Jahre zurückliegen – ob das jetzt alles wieder hoch kommt in ihm.
David Peace: Es ist erstmal eine sehr große Freude für mich, hier in Deutschland zu sein, 30 Jahre, nachdem dieser Streik stattgefunden hat, und zehn Jahre, nachdem das Buch in Großbritannien veröffentlicht worden ist. Und wenn ich mich auf Lesereisen begebe durch Großbritannien, dann ist das immer noch eines der Bücher, aus dem ich sehr viel vorlese. Weil viele sind in einer gewissen Art und Weise noch sehr nahe an den Ereignissen von damals. Man hat das noch nicht wirklich verarbeitet.
Die Geschichte ist noch nicht wirklich beendet, die Art und Weise, wie dieser Streik gebrochen wurde, da ist noch nicht alles klar, mit welchen Mitteln man das erreicht hat, und deswegen, weil das noch nicht wirklich etwas ist, was wir aufgearbeitet haben, ist das irgendwo noch sehr aktuell.
Scholl: Sie waren damals, 1984, 17 Jahre alt. Welche Erinnerungen haben Sie noch an diesen Streik, der ja ganz Großbritannien in Atem hielt?
"Eine sehr aufregende Zeit für mich"
Peace: Ja, wie Sie sagen, ich war damals 17 Jahre alt, und ich wuchs auf in Wakefield, das ist eine Stadt richtig im Zentrum von West-Yorkshire, voller Kohlegruben und Arbeitergegend mit sehr vielen Bergarbeitern. Und wir wussten, dass dieser Streik auf uns zukäme. Und am Anfang gab es auch wirklich eine 90-prozentige Unterstützung.
Und es war eigentlich erst mal eine sehr aufregende Zeit für mich. Ich spielte damals in einer Punkband, wir gaben Unterstützungskonzerte für die Streikenden. Ich fuhr nach London, nahm an Demonstrationen teil, besuchte die Streikposten. In der Schule studierte ich damals auch Politik und war auch als Beobachter dann bei den Streikposten dabei.
Aber dann hörte dieser Streik eben einfach nicht auf. Er ging immer weiter, immer weiter, und dann gab es einfach gewisse Ereignisse wie die Schlacht von Orgreave, und nach dem Sommer kam dann eben dieser lange Winter, und es war ganz klar, dass die Regierung nicht nachgeben würde.
Dieses ganze Ausmaß der Polizeiaktionen – es wurde dann sogar Kohle importiert und es war ganz klar, man konnte diesen Streik nicht mehr gewinnen. Und von dem Punkt an ging es wirklich bergab und es machte sich Depression breit.
Scholl: Helfen Sie uns Deutschen, Mr. Peace, ein wenig. Was hat Margaret Thatcher und ihre Regierung eigentlich damals getan, dass diese Streikwelle ausbrach?
Thatcher wollte die Macht der Gewerkschaften brechen
Peace: Dieser Streik wurde wirklich von der Regierung damals provoziert. Margaret Thatcher war gerade wiedergewählt worden, sie hatte den Falklandkrieg gewonnen. Sie fühlte sich unglaublich stark, und sie und auch ihre Regierung – sie war es nicht alleine – wollte sich vor allen Dingen die mächtigen Gewerkschaften vornehmen, die ihr zu stark erschienen, und vor allen Dingen die ganz starke Bergarbeitergewerkschaft mit 200.000 Mitgliedern, die NUM.
Sie hatte allerdings auch vor, sich gegen Lehrer- und Krankenschwestergewerkschaften zu wenden, aber dann, 1984, wurde eben von den staatlichen Kohleförderern beschlossen, 20 Gruben zu schließen mit 20.000 Arbeitsplätzen, und das war gar keine wirtschaftliche Entscheidung, sondern eine rein politische Entscheidung.
Scholl: In Ihrem Buch beschreiben Sie nicht nur die harte Reaktion auf der Straße, also die Polizei jagte die Streikenden förmlich wie Freiwild, sondern dann auch wirklich direkte kriminelle Aktivitäten durch Sonderbeauftragte, die die Streikfront, die Gewerkschaften unterwanderten, bestachen, bis hin zu Morden – in Ihrem Buch – war das tatsächlich so?
Peace: Ja, das hat wirklich so stattgefunden. Ich beschreibe ja in dem Buch wie in einem Krimi die gesamten Ausmaße dieses Streiks in 52 Kapiteln, die stehen für 52 Wochen, mit der ganzen Komplexität dieses Streiks, der wirklich Millionen von Menschen damals betraf. Und vor allen Dingen eben auch die Gewalt, die dabei herrschte, eine Gewalt, die ganz stark von der Regierungsseite ausging und sich in Polizeigewalt äußerte. Es gab aber auch wirklich bezahlte Agenten, Provokateure, sehr zwielichtige Gestalten, die dann bei den Streikposten für Unfrieden sorgten, die infiltriert wurden, die korrupt waren. Und das ist in großem Maße auch zugegeben worden in der Folge.
Scholl: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem britischen Schriftsteller David Peace über seinen Roman "GB84", über den britischen Bergarbeiterstreik von 1984.
Eigentlich sind es sogar zwei Bücher, die Sie geschrieben haben, Mr. Peace. Man liest sozusagen zwei Texte: Auf den rechten Buchseiten die Handlung, wie sie der Erzähler sie inszeniert, auf den linken Seiten, in ganz kleiner Schrift gesetzt, quasi innere Monologe von streikenden Bergarbeitern, die Ereignisse dann aus ihrer Perspektive berichten. Was wollten Sie damit erreichen, zeigen?
Peace: Ich wollte mit dem Buch das ganze Ausmaß des Streiks beschreiben, die ganz Komplexität, die Leute, die rechts waren, die Leute, die links waren, und in der Mitte dann eben die Betroffenen selber, die Streikenden, die Bergarbeiter. Und ich habe dafür eben auch ein Jahr lang recherchiert und habe mit sechs, sieben betroffenen Arbeitern geredet, sie interviewt, ihre Tagebücher streckenweise gelesen, die Notizen, die sie damals genommen haben, und habe dieses Material dann zusammengefasst in zwei Stimmen, die von Peter und die von Martin.
Und auf der rechten Seite, wenn Sie so wollen, in dem Buch, da kann man die fiktionale, die Krimigeschichte nachlesen, und auf der linken Seite – und in der englischen Ausgabe ist das auf zwei Spalten, so wie in der Bibel. Das sollte die Gospel in der Bibel so ein bisschen imitieren. Das sollte so ein bisschen die Wahrheit darstellen.
Also, wem der Krimi auf der rechten Seite nicht so recht zusagt, der kann ja auf der linken Seite mehr das Dokumentarische nachlesen und macht auch noch ein gutes Geschäft, weil er bekommt zwei Bücher für den Preis von einem.
Der britische Autor David Peace liest am 15.03.2014 in Köln im Rahmen des internationalen Literaturfestival lit.cologne
Der britische Autor David Peace auf der lit.cologne 2014.© Horst Galuschka/dpa
Scholl: Sie sind international berühmt geworden durch die sogenannten Red-Riding-Romane über den Yorkshire-Ripper. Harte Bücher voller Gewalt. "GB84" trägt auch diese Handschrift. Man würde das Buch jedoch kaum als Kriminalroman bezeichnen. Stört es Sie eigentlich, dass immer nur vom Krimi-Autor David Peace gesprochen wird?
"Es ist ja in gewisser Weise eben auch ein Krimi"
Peace: Nein, überhaupt nicht. Ach, Sie können mich nennen, was Sie wollen, das ist mir eigentlich relativ egal. Es ist ja so, wenn man ein Buch geschrieben hat, dass man dann an den Verlag schickt, und es eben jetzt, zehn Jahre später, auch noch in Deutschland erscheint, dann bin ich einfach nur dankbar für die vielen neuen Leser.
Und es ist ja in gewisser Weise eben auch ein Krimi, weil die Geschichte dieses Streiks auch ein Krimi war. Und ich bin eben auch der Meinung, dass in diesem Krimi-Genre ein unglaubliches Potenzial liegt, weil man kann dort einfach Fragen stellen, die in anderen literarischen Genres so nicht gestellt werden. Ich bin sogar ganz stolz darauf, wenn Sie mich einen Krimi-Autor nennen.
Scholl: In Deutschland wird man Ihren Roman vermutlich in der Hauptsache als historischen Roman lesen. Wie war das eigentlich vor zehn Jahren in Großbritannien? Wie hat hier die Öffentlichkeit, das Publikum drauf reagiert? Sie bekamen prompt einen bedeutenden Literaturpreis für "GB84".
Peace: Das Buch wurde damals sehr gut aufgenommen, erhielt auch sehr gute Kritiken, und der Streik ist eben doch noch sehr lebendig in einer gewissen Form, und egal, ob man rechts oder politisch links steht, irgendwie will keiner mehr darüber diskutieren. Es ist eben so, dass diese Geschichte damals unglaublich wichtig war. Und heutige 15-, 16-Jährige wissen gar nichts mehr darüber, aber meiner Meinung nach war das die größte Katastrophe und wichtigste Ereignis im Nachkriegsgroßbritannien. Keiner möchte mehr wirklich darüber reden.
Insofern war es natürlich für mich eine Genugtuung, dass das Buch nicht nur gut aufgenommen wurde, sondern dass es auch unglaublich wichtig ist, dass das nicht vergessen wird. Dieses Leiden und auch die Opfer, die die Streikenden, die die Bergarbeiter damals ein Jahr lang durchgemacht haben.
Scholl: Das heißt, das Buch zeigt auch den politischen Menschen David Peace mit einem harschen Kommentar zu den Jahren der Regierung von Maggie Thatcher?
"Ein persönlicher Triumph für Margaret Thatcher"
Peace: Ja, auf jeden Fall. Sie haben mich gefragt, mit welchen Gefühlen ich zurückdenke, und wie gesagt, ich war 17 Jahre alt, ich war ein Unterstützer, ich hab eben diese Konzerte damals gegeben. Aber wenn Sie mich nach meinen Gefühlen fragen, was ich empfunden habe, als ich mich an das Schreiben dieses Buches machte, ist es so, da war einmal Wut da, aber es war auch ein Schuldgefühl, dass ich vielleicht nicht genug getan hatte, um die Streikenden damals zu unterstützen, weil die Ausmaße dieses Streiks sind doch enorm.
Die Niederschlagung des Streiks bedeutete das Ende der britischen Gewerkschaften. Es war ein persönlicher Triumph für Margaret Thatcher, und es war ein Triumph für den Thatcherismus. Sie glaubte sowieso nicht an die Kraft innerhalb einer Gesellschaft. Und von daher ist das wirklich ein sehr politisches Buch geworden.
Scholl: Vielen Dank, David Peace, thank you for being with us!
Peace: Thank you!
Scholl: And all the best for this great novel!
Peace: Thank you very much!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

David Peace: GB84
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2014
544 Seiten, 24,80 Euro