Arbeitsbedingungen an Theatern

Schauspieler am Limit

Blick in einen leeren Theatersaal mit geschlossenem Vorhang.
Die berühmten "Bretter, die die Welt bedeuten" - doch jenseits der großen Kunst herrschen oft prekäre Arbeitsverhältnisse. Die Initiative "Ensemble Netzwerk" kämpft für bessere Arbeitsbedingungen von Theaterschaffenden. © dpa/picture alliance/Stefan Sauer
Lisa Jopt im Gespräch mit Ute Welty · 28.05.2016
"Es ist Zeit für eine Theaterreform", fordert Lisa Jopt, Schauspielerin und Mitbegründerin des "Ensemble Netzwerk". Die Initiative will bessere Arbeitsbedingungen und eine gerechtere Bezahlung für Schauspieler und Theatermacher durchsetzen.
Die vor einem Jahr gegründete Initiative "Ensemble Netzwerk" habe mittlerweile viel Zuspruch erhalten, sagt Lisa Jopt - auch von Intendantenseite. Sie verwies auf die prekären Arbeitsverhältnisse an Theatern, die im Widerspruch zur guten Ausbildung stünden:
"Die meisten von uns haben ein Hochschulstudium absolviert. Kollegen, die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes haben wie Technik und Verwaltung, unterliegen der Entgelttabelle. Da wird man mit einem Hochschulstudium bei 2500 Euro eingestuft. Wir werden aber mit 1765 Euro brutto eingestuft."

Das Recht auf einen freien Tag

Die Arbeit von "Ensemble Netzwerk" ziele auch darauf, die Probleme der künstlerischen Mitarbeiter an Theatern deutlich zu machen und Lösungen zu suchen, meint Jopt:
"Wir Schauspieler gehen zum Beispiel zwei Mal am Tag zur Arbeit, morgens und abends. Und dann auch noch am Samstag. Und am Sonntag hat man dann Vorstellung. So hat man dann locker einmal drei Wochen lang keinen einzigen freien Tag. Wir haben zum Beispiel erreicht, dass wir formuliert haben: 'Wir möchten gerne samstags – so weit es geht – auf Proben verzichten.' Und das war unheimlich einfach, das hinzubekommen."

Kritisches Verhältnis zwischen Künstlern und Gewerkschaft

Die Initiative "Ensemble Netzwerk" veranstaltet an diesem Wochenende in Bonn ihr erstes bundesweites Treffen. Man wolle dabei auch auf das kritische Verhältnis zwischen Gewerkschaft und Künstlern eingehen, sagt Jopt:
"Die Gewerkschaft ist auch ein bisschen verstaubt und verkrustet. Es sind nicht viele Schauspieler in der Gewerkschaft, weil sie sich dort nicht richtig repräsentiert fühlen. Deshalb engagieren sie sich auch nicht richtig in der Gewerkschaft. So hat man einen Teufelskreis. Und den wollen wir hier in Bonn einmal durchbrechen."

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Die Theaterbühne als "die Bretter, die die Welt bedeuten" – Friedrich Schiller war es, der dieses inzwischen geflügelte Wort 1803 niedergeschrieben. Wovon Schiller an dieser Stelle wenig bis nichts schreibt, ist die Tatsache, dass diese Bretter oft genug nicht die Welt, sondern prekäre Arbeitsverhältnisse bedeuten. Gerade junge Schauspieler verdienen so wenig, dass es kaum zum leben reicht. Das zu ändern ist Lisa Jopt angetreten. Vor einem Jahr gehörte Lisa Jopt zu den Mitbegründern des Ensemble Netzwerk, und an diesem Wochenende trifft sie sich mit eben diesem Netzwerk oder diesem Ensemble in Bonn. Guten Morgen!
Lisa Jopt: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Bessere Arbeitsbedingungen und eine gerechtere Bezahlung wollen Sie erreichen. Die Gründung Ihrer Initiative liegt ein Jahr zurück, das erste bundesweite Treffen vor Ihnen. Gibt es schon sowas wie eine erste Bilanz von Ihrer Seite aus?
Jopt: Ja, also die erste Bilanz, die ich definitiv ziehen kann, ist, dass diese Initiative oder diese Bewegung, die wir gegründet haben – wir sind ja kein Verein oder so –, absolut notwendig war. Die vielen hunderte E-Mails, die uns erreicht haben, plus auch Zuspruch von Intendantenseite zeigt, dass es an der Zeit ist, eine Theaterreform einzuleiten, die auf vieler Seiten vermutlich das Bedürfnis war.

Forderung nach besserer Bezahlung

Welty: Was muss diese Theaterreform Ihrer Meinung nach beinhalten?
Jopt: Zum einen, dass die Theaterschaffenden – das sind übrigens nicht nur die Schauspieler, das sind auch die Theaterpädagogen, das sind die Dramaturgen und so weiter – besser bezahlt werden. Alle Leute mit künstlerischen Verträgen. Die meisten von uns haben ein Hochschulstudium absolviert, Kollegen, die Tarifverträge des Öffentlichen Dienstes haben in der Technik oder Verwaltung, unterliegen der Entgelttabelle, da wird man mit einem Hochschulstudium bei 2500 Euro eingestuft. Wir werden aber mit 1765 Euro eingestuft.
Welty: Brutto.
Jopt: Brutto. Da bleibt dann Eins-eins Netto. Eine Wohnung, die knapp 500 Euro kostet – in Städten kann man sich vorstellen, wie wenig da übrig bleibt, plus, dass wir permanent die Arbeitszeit überschreiten, also es geht oft über 48 Stunden, was schlicht illegal ist, und auch viele Intendanten würden dieses Problem gerne lösen.
Welty: Sie schreiben über das Netzwerk Ensemble: "Manches ist leichter als gedacht, für anderes braucht es einen langen Atem." Das, was Sie gerade beschrieben haben, das deutet schon an, für was man alles einen langen Atem braucht, aber was ist denn leichter als gedacht?
Jopt: Wir haben festgestellt, dass durch Kommunikation und Bedürfnisformulierung, die nicht in einem anklagenden Ton und in Schuldzuweisung passieren, sondern sich lösungsorientiert gebärden, dass damit einiges zu erreichen ist. Zum Beispiel gehen wir Schauspieler zweimal am Tag zur Arbeit – morgens 10 bis 14 Uhr und abends von 18 bis 22 Uhr.
Welty: Das tue ich auch manchmal.
Jopt: Und dann auch noch am Samstag.

Kampf um das Recht auf einen freien Tag

Welty: Auch!
Jopt: Und am Sonntag hat man Vorstellung, und man hat locker mal drei Wochen keinen einzigen freien Tag. Wir haben zum Beispiel erreicht, dass wir formuliert haben, wir möchten gerne samstags, soweit es geht, auf Proben verzichten, es sei denn, wir haben in der Produktion das Bedürfnis zu proben, oder wir haben Bühnenproben – das ist eine rare Zeit. Das war unheimlich einfach, das hinzubekommen, und es wirkt Wunder. Es wirkt wirklich Wunder.
Welty: Inwieweit?
Jopt: Indem man einfach zweimal in der Woche ausschlafen kann und wieder Kraft tankt, um Theater zu machen oder sein Leben zu organisieren, mit seinen Kindern Zeit zu verbringen, seine Freunde zu treffen, die Materialmappe zu lesen, sich mit dem Stück zu befassen und so weiter und so fort.

Nachholbedarf auch bei der Transparenz

Welty: Um noch mal auf Ihre Zielsetzung zu sprechen zu kommen – bessere Arbeitsbedingungen, gerechtere Bezahlung –, gibt es nicht genau dafür auch Gewerkschaften?
Jopt: Ja. Bevor ich zu den Gewerkschaften komme, möchte ich noch einen Punkt ergänzen. Und zwar: Normalerweise ist es so am Theater, dass man besetzt wird, also ziemlich fremdbestimmt, du wirst besetzt, du spielst die und die Rolle. Nun kann man aber auch mal angucken, was für Stücke wollt ihr eigentlich spielen oder interessiert euch, dass der oder die Regisseurin noch mal wiederkommt.
Diese Art der Mündigkeit oder des Gefragtwerdens, der Transparenz, das macht unheimlich viel mit dem Klima, und da haben die Theater einen großen Nachholbedarf. Und ja, Sachen, die mit dem Tarifvertrag zu tun haben, sind Sache der Gewerkschaft. Derzeit ist es so, dass die Gewerkschaft und die Künstler sich etwas verloren haben und wir in Bonn dem wieder annähern wollen.

Die Gewerkschaft hat nicht genug Durchschlagkraft

Welty: Das habe ich, ehrlich gesagt, nicht verstanden.
Jopt: Die Gewerkschaft hat nicht genug Durchschlagkraft. Die Gewerkschaft ist auch ein bisschen verstaubt und verkrustet. Es sind nicht viele Schauspieler in der Gewerkschaft, weil sie sich dort nicht richtig repräsentiert fühlen. Dadurch engagieren die sich aber auch nicht in der Gewerkschaft und versuchen, die vielleicht zu erneuern oder ihren Bedürfnissen dort Platz einzuräumen, und so hat man so einen Teufelskreis, und wir wollen den hier in Bonn mal durchbrechen.
Welty: Wer was erreichen will, muss auch Einfluss nehmen auf die Politik, auf die Kulturpolitik –
Jopt: Richtig.
Welty: – wo wollen Sie, wo können Sie ansetzen?
Jopt: Also wir haben zunächst eine Fotoaktion geplant. Das ist eine Wanderausstellung, die durch alle deutschen Theaterfoyers wandern soll und sich erst mal an das Publikum richtet, denn die wissen am wenigsten von uns. Die fragen uns, wie lernen Sie den vielen Text. Da kann ich nur sagen, in meiner Freizeit. Das ist nämlich keine Arbeitszeit, sondern sowas passiert in der Freizeit. Wenn die wissen, was wir Schauspieler … unter welchen Bedingungen wir arbeiten, das machen wir natürlich in einer charmanten Art und Weise und nicht in einem gewerkschaftlichen Meckergestus, dann sind das am Ende auch die Wähler, die Einfluss haben auf die lokale Politik.

Raubbau am Körper

Welty: Bei all dieser Arbeit für Ensemble Netzwerk – bleibt Ihnen da noch Zeit zum Spielen?
Jopt: Ja, tatsächlich ja! Ich habe zum Glück in Oldenburg pro Jahr ungefähr vier Produktionen, statt, wie es an vielen Häusern üblich ist, sechs Produktionen plus noch kleine Sonderveranstaltungen, die immer sehr kräfteraubend sind, auch viel Spaß machen – deswegen macht man sie ja auch gerne –, aber am Ende hängt man dann da und ist unheimlich müde, und woher nehmen, wenn nicht stehlen. Also man macht da schon viel Raubbau an seinem Körper, weil man aber auch dazu Lust hat.
Ich habe auch das Glück, dass die Produktionen, die ich mache, mir unglaublich viel Spaß machen. Ich glaube, es war so wichtig, dass Schauspieler aufstehen, die sagen, ich habe so Lust auf Kunst, ich habe so Lust auf blaue Flecken in der Vorstellung und laufe nackt durchs Publikum und hast du nicht gesehen.
Gleichzeitig brauche ich danach auch Zeit, um mich auszuruhen. Das ist so wichtig, dass diese Bewegung von Künstlern ausgeht und nicht von Schauspielern, die ihre Karriere nicht geschafft haben, deswegen frustriert sind und anfangen, sich mit einem verkniffenen Mund zu engagieren.

"Das Berliner Ensemble interessiert mich nicht"

Welty: Wir haben mit Schiller begonnen, wir wollen mit Schiller enden: "Die Räuber" sind jetzt von Leander Haußmann am Berliner Ensemble inszeniert worden. Wäre das was, was Sie interessieren würde?
Jopt: Nein.
Welty: Warum nicht?
Jopt: Also ich weiß nicht, wie Leander Haußmann inszeniert, aber das Berliner Ensemble ist jetzt nicht das, was mich künstlerisch interessiert. Auch der dortige Leiter hat ja gerade nicht einen guten Ruf, mit den Schauspielern pfleglich umzugehen, geschweige denn innovatives, modernes Theater zu machen.
Welty: Die Schauspielerin Lisa Jopt setzt sich mit dem Ensemble Netzwerk für bessere Arbeitsbedingungen ein, auch mit diesem Interview, für das ich danke sage und das wir aufgezeichnet haben!
Jopt: Vielen Dank! Alles Gute! Tschüß!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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