Arbeitsalltag an Berliner Bühnen

Theatermacher über kulturelle Vielfalt

Schauspielerin Cynthia Micas im Maxim Gorki Theater Berlin im Stück "Schwarze Jungfrauen" von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel unter der Regie von Neco Celik, aufgenommen bei der Premiere am 07.02.2014
Schauspielerin Cynthia Micas im Maxim Gorki Theater Berlin im Stück "Schwarze Jungfrauen" von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel unter der Regie von Neco Celik, aufgenommen bei der Premiere am 07.02.2014 © picture alliance / ZB / Claudia Esch-Kenkel
Von Cara Wuchold · 11.02.2016
Die Ausrede von Theatermachern, es gebe einfach nicht genügend professionelle Regisseure und Schauspieler mit Migrationshintergrund, ist längst nicht mehr haltbar. Inzwischen ist die kulturelle Vielfalt auch auf den Berliner Bühne angekommen. Ein Blick hinter die Kulissen.
Ahmed Shah:"Wir wollen mitgestalten, wir sind Bürger und Bürgerinnen dieses Landes, wir bestimmen selber, wie wir in dieser Gesellschaft in Zukunft, welche Rolle wir spielen wollen. Wir sind keine Gäste mehr in diesem Land, wir sind Dauerbewohner dieses Landes und wir würden das auch gestalten."
Sprecher: Ahmed Shah, künstlerischer Leiter des Jugendtheaterbüros Berlin
Nils Erhard: "Zentral ist für mich die Frage nach Selbstrepräsentation. Und dann ist es natürlich ein Problem, wenn die Leute, um die es geht, nicht für sich selbst sprechen können. Was fehlt, ist die Bereitschaft das Risiko einzugehen, aus'm Konzept zu geraten, sich wirklich hinterfragen zu lassen, vor allem Menschen aus der weißen Mittelschicht, ernsthaft anzunehmen, dass die eigene Perspektive eben nicht aussagekräftig ist für alle."
Sprecher: Nils Erhard, Projektkoordinator des Bündnisses KulTür auf
Mark Terkessidis:"Die Theater haben sehr häufig behauptet, dass es die Leute einfach nicht gäbe. Sie können sich nicht interkulturell öffnen, weil es gibt einfach nicht genügend Leute mit Migrationshintergrund, die als Dramaturgen, Schauspieler usw. diesen Betrieb füttern können. Und Shermin Langhoff hat bewiesen, dass diese Leute sehr wohl da sind."
Sprecher: Mark Terkessidis, Migrationsforscher und Publizist
Shermin Langhoff: "Der Ansatz ist ein solidarischer und ein Suchen nach Gemeinsamkeiten und Common Grounds einer reell heterogenen Gesellschaft und einer heterogenen Realität. Das sind öffentlich geförderte Institutionen einer demokratischen Gesellschaft und die müssen sich gefälligst mit Partizipation und mit Öffnen dieser Räume für die gesamte Gesellschaft auseinandersetzen."
Shermin Langhoff, Intendantin am Maxim Gorki Theater Berlin, hält ein Programmheft ihres Theaters in die Kamera
Shermin Langhoff, Intendantin am Maxim Gorki Theater Berlin© Deutschlandradio Kultur/ Norbert Wassmund
Shermin Langhoff ist Intendantin am Berliner Maxim Gorki Theater. Davor leitete sie fünf Jahre lang das Ballhaus Naunynstraße in Kreuzberg. Sie sprach vom "postmigrantischen Theater", das Geschichten und Perspektiven derer erzählt, die selbst nicht mehr migriert sind, ihren Migrationshintergrund aber mitbringen. Um kulturelle Vielfalt ging es Shermin Langhoff von Anfang an – auch unabhängig von Herkunftsfragen.
Shermin Langhoff: "Meine Leitfrage ist nicht 'Wer sind wir?', meine Leitfrage ist 'Wer wollen wir sein?', und das ist nen Unterschied. Also es geht nicht um ein identitäres 'Wir', sondern um ein solidarisches 'Wir'. Es geht um ein 'Wir', das sich auf eine Verfassung berufen kann, die Heuss und andere Gründungsväter als Utopie aufgestellt haben, wohlwissend, schmerzhaft erfahrend, was die monokulturalistischste Zuspitzung auf der Welt mit einem Land gemacht hat, mit all seinen Werten, auf die es zu fußen glaubte."
Energisch hat Shermin Langhoff den Öffnungsprozess der Theaterlandschaft vorangetrieben. Eben nicht im Sinne der Anpassung an eine Norm, sondern im Sinne der Wertschätzung der Unterschiede. Am kleinsten der Berliner Stadttheater hat sie ein heterogenes Ensemble zusammengestellt.
"Diese Multiperspektivität, die Biografien mitbringen, die sind für uns spannend – also es ist überhaupt nicht so, dass das jetzt ethnische Herkünfte sind, um die es primär geht oder so, sondern was da ne Rolle spielt, ist, dass es spannende Biografien sind, mit Menschen, Schauspielern, Darstellern, die auch Lust haben, mit sich als Menschen als Biografien auf der Bühne umzugehen."
Sprecher: Erster Auftritt: Nurkan Erpulat, Türke, Hausregisseur am Maxim Gorki Theater – Ein Shakespeare-Experte, anfangs auf kriminelle Geschichten aus Neukölln gebucht
Nurkan Erpulat sitzt im Büro seiner Kollegen aus der Dramaturgie am Maxim Gorki Theater und raucht, auf Stippvisite in seiner Wahlheimat Berlin. Aufgrund eines Künstlerstipendiums, vergeben vom deutschen Außenministerium und dem Goethe-Institut, hat es ihn für vier Monate nach Istanbul verschlagen. Dort übersetzt er "Die lächerliche Finsternis" des jungen deutschen Dramatikers Wolfram Lotz. Er möchte das Stück vor Ort inszenieren – sein erstes in Istanbul.
"Keiner wollte mich haben"
Nurkan Erpulat ist nicht nur ausgebildeter Schauspieler, er hat auch ein Regiestudium an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" absolviert. Vor seinem Engagement am Gorki war der Theatermacher Hausregisseur am Düsseldorfer Schauspielhaus.
Der Theatermacher Nurkan Erpulat, Hausregisseur im Berliner Maxim Gorki Theater, aufgenommen 2012
Der Theatermacher Nurkan Erpulat, Hausregisseur im Berliner Maxim Gorki Theater© picture alliance / dpa / Horst Ossinger
Richtig bekannt geworden ist er mit seinem Stück "Verrücktes Blut" über eine Lehrerin, die ihren rotzfrechen Schülern mit so genanntem Migrationshintergrund mit der Waffe in der Hand Schiller einzubläuen versucht – nicht seine einzige preisgekrönte Arbeit.
Das klingt nach einer Erfolgsgeschichte. War er als Türke am Theater in Deutschland zur richtigen Zeit am richtigen Ort?
Nurkan Erpulat: "Deutschland war richtige Zeit, richtige Platz gewesen, das mich gewinnen könnte … Spaß beiseite, das Problem war, ich habe an einer renommierten Schule absolviert oder beziehungsweise war ich gerade am absolvieren, und keiner wollte mich haben. Dabei meine Mitstudenten haben was Kleines da und was Mittleres dort bekommen oder angefangen zu bekommen und keiner wollte mich haben. Mein damaliger Professor hat gesagt: 'Geh' in die Türkei zurück! Da kannst du ja arbeiten!' Und ich war bestimmt auch nicht schlecht, auch damals nicht. Von daher würde ich nicht sagen, das war richtige Zeit, richtiger ethnischer Hintergrund, sondern das war eine verspätete Öffnung von Deutschland."
Und als er dann engagiert wurde, wurde er auf ganz bestimmte Themen festgelegt ...
Nurkan Erpulat: "Tatsächlich war das so, dass ich vermehrt für Geschichten, es muss nicht immer Migration sein, auch zum Beispiel Kriminalität war auch ein Fachgebiet von uns (lacht) ... man wusste nicht, aber hatte Ahnung, dass du vielleicht mit Shakespeare nicht viel anfangen könntest. Das ist trotz paar Änderungen bis heute, dieser Verdacht ist da. Das hat mich ein bisschen gekränkt damals, ich bin klassisch ausgebildeter Schauspieler gewesen, genauso auch in der Regie, ich hatte ein Riesenwissen über Shakespeare, über Brecht, über Theatergeschichte, aber ich war eher gefragt für Neuköllner kriminelle Geschichten. Was ich auch nicht uninteressant finde, nur gerade in meinem Fall, ich bin Türke, ich bin nicht Deutsch-Türke, ich bin nicht Deutscher mit türkischen Wurzeln, ich bin in der Türkei geboren, aufgewachsen, sozialisiert bis 25. Ich kenne viel weniger Neuköllner Geschichten oder der Milieu kenne ich viel weniger als Shakespeare. Das hat mich gekränkt natürlich, weil ich sehr gerne auch klassische Stoffe inszenieren wollte."
Taner Sahintürk, Lea Draeger, Mehmet Atesci in "Die juristische Unschärfe einer Ehe" von Olga Grjasnowa im Maxim Gorki Theater Berlin
Taner Sahintürk, Lea Draeger, Mehmet Atesci in "Die juristische Unschärfe einer Ehe" von Olga Grjasnowa unter der Regie von Nurkan Erpulat im Maxim Gorki Theater Berlin© dpa/ picture-alliance/ Claudia Esch-Kenkel
Inzwischen hat sich Nurkan Erpulat freigeschwommen und auch Horvath, Kafka, Gorki oder Tschechow inszeniert. Die Wandlung der Gesellschaft interessiert ihn: das Zusammenleben, Macht, Aufstieg und Fall, Hoffnungen und Enttäuschungen, Sexualitäten. Zuletzt inszenierte er "Die juristische Unschärfe einer Ehe" im Maxim Gorki Theater, die Geschichte eines schein-verheirateten homosexuellen Paars, das von Aserbaidschan ins libertinäre Berlin flieht.
Ganz losgelöst von bestimmten Erwartungen ist die Theateröffentlichkeit ihm gegenüber aber noch nicht. Im Zusammenhang mit Kafkas "Das Schloss" wurde ihm vorgeworfen, die im Stück angelegte Steilvorlage, daraus eine heutige Migrationsgeschichte zu machen, bewusst ignoriert zu haben. Dass er den "Kirschgarten" wiederum als eine solche erzählt hat, dafür haben ihn einige Kritiker dann gescholten.
Nurkan Erpulat: "Einige Journalisten behaupten, dass ich Tschechow so gemacht habe, wie es mir passt. Natürlich habe ich so gemacht, aber (lacht) ich meine, damit meinen sie was Schlechtes oder hat sogar eine geschrieben, dass ich das Stück vergewaltigt habe. Dabei habe ich so viele Interpretationen in Deutschland gesehen, die nicht unbedingt Russland erzählt haben, nicht irgendwie mit eingebauter Kulisse von 1900-etwas, sondern mit alltäglichen Kostümen, könnten auch deutsch sein, warum aber nicht türkisch? Und das empfindet man komischerweise, wenn eine moderne Interpretation deutsch-deutsche Geschichte ist, ist eine Modernität oder eine kleine Interpretation so, aber wenn eine von den Figuren ganz zufälligerweise Migrationshintergrund hat, empfindet man als klare Farbe darauf geschmiert. Ich sehe nicht so."
"Was wir machen ist leider nur Normalität"
Das Programm am Maxim Gorki Theater beschreibt Nurkan Erpulat so:
Nurkan Erpulat: "Wenn ich einen einzigen Begriff wählen dürfte, hätte ich gesagt, unsere Thema ist 'Democracy'. Was für ein Land, was für eine Welt wollen wir haben. Für diese Themen versuchen wir neue Stoffe zu entwickeln oder neue Stoffe zu greifen, und daraus Bühnenstücke zu machen, andererseits auch lesen wir die Stücke mit unserer Realität noch mal wieder anders, was eigentlich in der Regel alle Theater macht. Nur einfach tatsächlich wenn man unter anderem ein Viertel dieses Landes, nämlich Menschen mit Migrationshintergrund, auch thematisiert, empfindet man von außen, dass man eine ganz bestimmte Linie und ganz bestimmte Richtung hat. Nein, eigentlich, was wir machen ist leider nur Normalität. Was viele andere Bühnen machen, ist leider nicht die Normalität (lacht) und Realität, aber es ändert sich. Schneckentempo, manchen Bühnen, manchen Städten, bei anderen ein bisschen mehr. Also ich hoffe, dass irgendwann nicht eine besondere Merkmal gesehen wird."
Sprecher: Zweiter Auftritt: Neco Çelik, freier deutscher Theater-und Filmregisser mit türkischen Wurzeln – Über Vorurteile und Diskriminierung
Neco Çelik: "Man muss offen darüber debattieren, wo steht die deutsche Gesellschaft, wo steht die postimmigrantische Gesellschaft. Ich bin genötigt dazu, immer zu erklären. Ich meine es erledigt sich ja nicht mit erklären, sondern ich muss auch noch die Vorurteile abbauen. Das ist nicht unsere Aufgabe, und genauso ist es auch, dass wir das nicht im Theater machen können. Wir können das thematisieren, aber genau diesen Konflikt können wir thematisieren, dass wir unterschiedliche Dinge nicht wissen und nicht zueinander kommen können. Mensch, der Deutsche lernt überall auf der Welt, alles weiß er, aber nichts über seinen Nachbarn, der seit 50 Jahren hier ist."
Theater-, Opern- und Filmregisseur Neco Celik, aufgenommen 2011 in der Oper in Frankfurt am Main bei der Verleihung des Theaterpreises "Der Faust"
Theater-, Opern- und Filmregisseur Neco Celik© picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Als Treffpunkt für das Interview hat sich Neco Çelik das Theater Hebbel am Ufer ausgesucht. Hier fand 2006 erstmals "Beyond Belonging" statt, ein Festival mit Inszenierungen zum Thema "Migration". Neco Çelik, der vom Film kam, wurde eingeladen, "Schwarze Jungfrauen" von Feridun Zaimoğlu und Günter Senkel auf die Bühne zu bringen. Es war sein dann vielfach gespieltes und von vielen gefeiertes Theaterdebüt.
Darin monologisieren junge muslimische Frauen mit großem Aggressionspotenzial und in drastischen Worten über ihren Alltag in Deutschland, gespickt mit Sex- und Gewaltfantasien.
Neco Çelik: "Als wir 'Schwarze Jungfrauen' aufgeführt haben, war das schon eine gewisse Zäsur, eine Art Zäsur von einer Wahrnehmung, die bis dahin so noch nicht existiert hat im deutschen Theater. Feridun Zaimoğlu schreibt ja sehr bildlich, eine gewaltige Sprache. Dass es hier um Frauen ging, die dann wirklich kein Blatt vor den Mund nehmen und im Grunde alles, was man nicht sagen darf hier sagen, war schon beeindruckend. Und diese Abwechslung eben zwischen harter Kritik und schonungsloser auch Selbstdarstellung, war schon zu der Zeit, was das Thema betrifft, den Islam und die Frau, eine Sensation. Und die Texte waren ja wirklich stark, also ich musste dann aufpassen, dass ich diese Texte nicht kaputt mache und habe entschieden, dass die Frauen sich nicht bewegen. Und somit dann natürlich auch diese Ausstellungsobjekte, über die wir auch in der Gesellschaft immer, über die wir reden, aber nie etwas gehört haben, und jetzt plötzlich sind sie im Theater, und man muss auch noch dafür Geld zahlen, um sie zu hören. Das war schon … (lacht) war schon für manche Leute sehr unverschämt."
Neben seinen Theaterarbeiten hat Neco Çelik auch bei Opern Regie geführt. Für seine Inszenierung "Gegen die Wand" des gleichnamigen Films von Fatih Akin erhielt er 2011 den Deutschen Theaterpreis. Gerade arbeitet er an seinem zweiten Tanztheater für das Schauspielhaus Bochum – zusammen mit dem von Zekai Fenerci gegründeten Künstlerkollektiv Renegade.
Neco Çelik: "Der Kontakt mit Renegade kam so zustande, dass Zekai auf der Suche nach einem anderen Regisseur, Choreografen war. Er hat einfach Googlebegriffe eingegeben wie migrantischer Hintergrund, Hip Hop und Regisseur und Google hat dann meinen Namen rausgespuckt – und ich mein das ernst, also... (lacht) daraufhin hat er mich angerufen, und wir haben uns auf Anhieb verstanden, weil unsere Biografien sich sehr geähnelt haben, weil er auch aus dem Hip Hop kam, und haben dann das erste Stück 'Ruhm' in Bochum im Schauspielhaus auf die Bühne gestellt."
Neco Çelik ist in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen, sammelte als Jugendlicher Gang-Erfahrung bei den 36ern, die aus der Hip-Hop-Kultur entstanden sind.
Neco Çelik: "Mit dem Hip Hop bin ich seit meiner Jugendzeit verbunden. Es ist die Kultur, die ich in den 80ern kennengelernt habe und seitdem fühle ich mich verbunden. Und meine Anfänge als Graffiti-Künstler und dieses ganze Lebensgefühl hat mich durch die schwierigen Zeiten gebracht, kann man sagen, also beschützt vor vielen Dummheiten."
In der Tanzszene spielt der kulturelle Hintergrund keine Rolle
"Basmala – Freund oder Feind" heißt das neue Stück, das im März Premiere feiern wird. Basmala ist eine islamische Gebetsformel. Die Künstler untersuchen darin, was Hip Hop mit dem Islam zu tun hat. Wie eine kulturelle Bewegung von radikalen Gruppierungen instrumentalisiert werden kann. Wann ästhetische und religiöse Praktiken zu terroristischen werden.
Renegade hat kein festes Ensemble und besteht aus vielen freien Tänzern. Diejenigen, mit denen Neco Çelik im Moment in Bochum probt, kommen aus Ägypten, Iran, dem Senegal, es gibt einen Deutschen mit türkischen und einen Franzosen mit westafrikanischen Wurzeln.
Neco Çelik: "In der Tanzszene spielt das keine Rolle, was für einen Hintergrund oder Vordergrund du hast, sondern es geht um dein Talent, es geht um dein Können und das ist das, was die Türen öffnet."
Ganz anders als im Sprechtheater, meint Neco Çelik.
Neco Çelik: "Wir Regisseure haben das vielleicht einfacher gehabt, aber die Schauspieler kamen aus den Schauspielschulen und haben keinen Platz im Ensemble bekommen. Und diese Diskriminierung ist wirklich einmalig, die immer noch anhält, und durch das Gorki jetzt zum Glück noch mal ein Beweis ist, dass wirklich Qualität sich durchsetzt, ist egal, welche Herkunft du hast. Und dafür war das unglaublich wichtig, dass Gorki das innerhalb einer Saison geschafft hat, Theater des Jahres zu werden, und dann mit den Schauspielern, denen man ein Handicap hinterher sagt – was für absurde Gedanken. Und das hat Mut gemacht auch den anderen Intendanten, zu erlauben, andere Schauspielercharaktere im Ensemble zu haben. Also Farbe ins Spiel zu bringen, und da passiert einiges. Letztens auch bei dieser Kampagne 'Auch ich bin Deutschland', da war eine Schauspielerin, schwarz, die ist im Deutschen Theater, als sie das gesagt hat, wäre ich fast umgefallen (lacht)... und das beweist, dass wir auf dem richtigen Weg sind."
Sprecher: Dritter Auftritt: Lorna Ishema, deutsche Schauspielerin mit ugandischen Wurzeln, Ensemble-Mitglied am Deutschen Theater – Über Identifikationsfiguren auf der Bühne und Möglichkeiten, sich auszuprobieren
Es ist Lorna Ishemas erste Spielzeit in Berlin. Den Weg vom Pförtner am Bühneneingang durch die vielen Gänge bis zur "Love Lounge", einem kleinen Veranstaltungsraum neben der Bar, auch Durchgang zur Garderobe, findet sie inzwischen auf Anhieb – nur beim Licht hilft ein Techniker. Erste Frage: Wie hat sie es ins Ensemble des Deutschen Theaters geschafft?
Lorna Ishema: "Das war nen ganz klassischer Weg. Am Ende der Schauspielschule hat man so nen Intendanten-Vorsprechen und da reist man in drei verschiedene deutsche Städte und dann waren wir auch in Berlin und daraufhin wurde ich eingeladen und hab vorgesprochen und hab dann nen Engagement bekommen."
Die Schauspielerin Lorna Ishema, aufgenommen 2015 bei der Premiere des Dokumentarfilms "Dior und ich" im Cinema Paris in Berlin
Die Schauspielerin Lorna Ishema© imago/Future Image
Auch davor lief es für Lorna Ishema gut. Am Schauspiel Hannover verhalf ihr Hartnäckigkeit zu einer Hospitanz: Eine Woche lang wartete sie früh morgens im Foyer auf einen Termin mit dem Intendanten, um ihn von sich zu überzeugen. Danach ergatterte sie einen der raren Plätze an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Sie ist die erste Stipendiatin der Deutschlandstiftung Integration im Bereich Schauspiel. Und noch während ihrer Studienzeit erhielt die heute 26-Jährige ein Rollenangebot an den Müchner Kammerspielen.
Lorna Ishema: "Ich hatte einfach Glück, es wurde der Roman 'Schande' von dem südafrikanischen Autor Coetzee auf die Bühne gebracht und dafür hat man noch eine farbige Schauspielerin gesucht. Und dann habe ich einen Anruf bekommen und hab bei Luk Perceval vorgesprochen und hatte die Rolle."
An der Inszenierung Percevals gab es auch Kritik. Ihm wurde die allzu stereotype Abhandlung der Charaktere mit dunkler Hautfarbe vorgeworfen, die er zudem gebrochen Englisch reden ließ. Lorna Ishema sieht das pragmatischer ...
Lorna Ishema: "Also das war für mich einfach eine Rolle und damals ging es für mich auch in erster Linie darum, mich auszuprobieren. Ich fands spannend mit den anderen Schauspielkollegen zu arbeiten, auch zu gucken, wie die an den Münchner Kammerspielen arbeiten, das war für mich viel wichtiger. Und ich hab das jetzt nicht so als problematisch gesehen, das zu spielen, aber ich verstehe die die Kritik, finde die Diskussion darum wichtig, auch wenn die mühsam ist. Dass es halt irgendwann egal ist, ob jemand einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Ich versuche nie dran zu denken. Das ist eher etwas, das von außen kommt, weil ich geh nicht an ne Rolle ran und sage, boah, wie streiche ich alles raus aus der Figur, oder wie spiele ich die Figur, dass jemand versteht, dass ich als Farbige die Figur spiele. Das ist mir viel zu anstrengend und das ist auch überhaupt nicht mein Job. Und wenn das jemanden stört, ja, dann tut's mir leid. Aber natürlich wünsche ich mir, dass es irgendwann einfach selbstverständlicher ist, also dass man sich diese Fragen nicht mehr stellt."
Es geht um Chancengleichheit für alle, auch darum, Potenziale auszuschöpfen. Derzeit steht Lorna Ishema im "Herzerlfresser" auf der Bühne – ihre erste Rolle am DT.
Im Mai feiert dann "Der Zauberberg" Premiere, mit Lorna Ishema als Dr. Krokowski – den Thomas Mann als Psychotherapeut mit bedenklichen Neigungen zu Okkultismus und Spiritismus angelegt hat.
Lorna Ishema: "Ich hab irgendwie so langsam das Gefühl, jetzt müsste man es einfach anpacken. Leute selbstverständlich auf die Bühne stellen oder Regie führen lassen oder Bühnenbild machen lassen und es am besten auch nicht weiter kommentieren. Dass es einfach Normalität gewinnt, also dass man nicht jedes Mal denkt, huch, sag' mal, hat das jetzt nen Türke gemacht? Also dass das völlig egal ist. Alle die an so nem Prozess beteiligt sind ne Theaterproduktion auf die Beine zu stellen ..., dass diese Leute einfach mutiger sind und ja, quasi die Veränderungen anpacken."
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