Arbeitnehmervertretung

Warum sich Gewerkschaften im Niedergang befinden

Teilnehmer der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB stehen am 20.03.2015 am Brandenburger Tor in Berlin anlässlich des "Equal Pay Day" mit Transparenten zusammen.
Teilnehmer der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB stehen am 20.03.2015 am Brandenburger Tor in Berlin anlässlich des "Equal Pay Day" mit Transparenten zusammen. © dpa/picture-alliance/Stephanie Pilick
Von Caspar Dohm · 24.01.2017
Bei der Einführung von Sozial- und Arbeitsrechten spielten Gewerkschaften eine fundamentale Rolle. Heute sind sie fast überall schwach. Eine Ursache der zunehmenden sozialen Ungleichheit sieht der Internationale Währungsfonds in der Schwäche der Gewerkschaften. Sechs Gründe, warum sich die Gewerkschaften weltweit im Niedergang befinden.
Grund Nummer eins: Die Angst der Beschäftigten
Die Schilde-Halle in Bad Hersfeld. Streikversammlung von Amazon-Beschäftigten. Nach den kämpferischen Reden und viel Beifall wird gefragt, wer als Streikposten mitmacht.
"Bitte gebt mal Handzeichen!"
Keine Hand geht hoch.
"Leute, das kann es doch nicht sein. Also einen, zwei, drei, vier, fünf, höre ich ein weiteres Angebot, sechs, wir brauchen acht. Zwei bräuchten wir noch. Das kann doch nicht sein. Leute wir kämpfen doch alle zusammen, da müssen wir mitziehen."
Angst ist spürbar. Hinter vorgehaltener Hand erzählen einige, warum sie so eingeschüchtert sind. Sie berichten über Zeiten ihrer Arbeitslosigkeit, erniedrigende Erfahrungen des Hartz-IV-Bezugs und ihre große Erleichterung, als sie endlich wieder Arbeit fanden bei Amazon. Klar hätten sie gerne mehr Geld oder Mitbestimmung durch die Gewerkschaft, deswegen sind sie ja bei Verdi eingetreten und beteiligen sich bei den Streiks. Aber sie haben Angst, durch zu großen Einsatz ihren Job zu gefährden, vor allem diejenigen mit Zeitverträgen. Gewerkschaftssekretär Heiner Reimann:
"Diese Ängste kann ich den Leuten nicht wirklich nehmen. Ich kann zwar juristisch argumentieren, dass das keine Auswirkungen haben darf, aber diese unbestimmte Angst, dass das ohne irgendwo Erwähnung zu finden, dann doch der ausschlaggebende Moment ist, die ist aus meiner Sicht berechtigt."
Der zweite Grund: Beschäftigte werden seit dem Schub der Globalisierung immer öfter gegeneinander ausgespielt
Nach dem Fall der Mauer und der wirtschaftlichen Öffnung Chinas strömten mehr als eine Milliarde Arbeitskräfte auf den globalen Arbeitsmarkt. Jetzt hatten die Unternehmen leichtes Spiel, ihre Interessen durchzusetzen, indem sie die Produktionsverlagerung in Niedriglohnländer androhten oder durchführten. Zum Beispiel ist Ungarn heute nach Ansicht der IG-Metall eine Art "Labor" für deutsche Autobauer. Sie probierten dort neue Arbeitsbewertungssysteme oder Arbeitszeitmodelle aus, die in Deutschland auf Widerstand der Gewerkschaften stoßen würden. In Ungarn gehe dies widerstandsloser, weil die Arbeitsrechte schwach und die Gewerkschaften heillos zersplittert und entsprechend machtlos seien.
Der dritte Grund: Der Vormarsch der Roboter
Roboter Nox: "Welcome to the Hannover Messe 2014. Welcome to this wonderful Event. My name is Nox. Nox the robot."
Ein elektronischer Hüne von Roboter empfängt Besucher bei der Hannover Messe. Ein Industrieroboter kostete im Schnitt vor zehn Jahren 182.000 Dollar, 2014 waren es 133.000 Dollar und 2025 sollen es laut Prognosen nur noch 103.000 Dollar sein. Der Einsatz von Robotern rechnet sich damit immer öfter für Betriebe, gerade in der Industrie, wo Gewerkschaften traditionell stark sind.
Grund Nummer vier: Die Auslagerung von Arbeit
Weltweit ist einer von fünf Arbeitnehmern laut der Internationalen Arbeitsorganisation ILO bereits in einer globalen Lieferkette tätig. Das können die Beschäftigten bei den asiatischen Zulieferern für die Modehändler sein, aber auch einzelne Selbständige. Als Makler für die Arbeit fungieren heute oft Onlineplattformen. Mindestlöhne gelten für solche Selbständigen nicht – sie können sich immer weiter unterbieten, um Aufträge zu ergattern. Und diese Selbständigen sind extrem schwierig für Gewerkschaften zu organisieren.
Fünftens: Regierungen unterdrücken Gewerkschaftsarbeit
Vereinigungsfreiheit ist ein Menschenrecht. Als der Textilarbeiter Khan Zarin dieses Recht mit Kollegen wahrnahm, bekamen sie Druck. Sie wurden in das Haus des Gouverneurs der Provinz von Sindh bestellt, erzählt Zarin, während der Gewerkschaftsfunktionär Nasir Mansoor übersetzt. Fabrikant und Beamten hätten sie gemeinsam unter Druck gesetzt. Sie sollten die Gewerkschaft verlassen und verschwinden. Andernfalls würde ein Exempel statuiert. Als die Gewerkschafter nicht nachgaben, machten die Behörden ihre Drohung ernst. Sie verhaftete die Arbeiterführer. Ein gewerkschaftsfeindliches Verhalten der Behörden ist vielerorts der Normalfall: In sechs von zehn Ländern gibt es keine Tarifverhandlungen und in sieben von zehn Ländern sind Streiks verboten.
Sechstens: Das neoliberale Mantra als schleichendes Gift
Gegenwind spüren Gewerkschaften seit der Reagan/Thatcher-Ära auch in den Industrieländern immer heftiger. Wilma Liebmann hat die Behörde geleitet, die über die Einhaltung von Arbeitsstandards in den USA wacht. Manche Leute halten Gewerkschaften für grundsätzlich unamerikanisch, für einen Widerspruch zu einer wettbewerbsorientierten, kapitalistischen Gesellschaft, erzählt Liebmann. Mehr als hundert Jahre lang hatten freie Gewerkschaften in breiten Teilen der Gesellschaft zur Avantgarde gezählt. Nun zeichneten neoliberale Apologeten von ihnen das Bild gesellschaftlicher Dinosaurier, die sich gegen notwendige Veränderungen stemmten. Verkrustungen in den Gewerkschaften ließen sich nicht leugnen, doch das Bild war völlig verzerrt. Als schleichendes Gift für die Gewerkschaften erwies sich das neoliberale Mantra, jeder Einzelne sei seines Glückes Schmied. Es zersetzt die Solidarität, das Lebenselixier einer jeden Gewerkschaft.
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