Arbeiterpriester

Einst Exoten, jetzt die "Lieblinge“ des Papstes

Die feierliche Abschlusssitzung der dritten Arbeitsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils am 21.11.1964 im Petersdom. Das Konzil, welches zur Öffnung und Erneuerung der Kirche beitragen sollte, endete im Dezember 1965.
1965 wurde im Rahmen des 2. Vatikanischen Konzils - hier eine feierliche Sitzung im Petersdom - ein Fabriken-Arbeitsverbot für Priester zurückgenommen. © picture alliance / ANSA
Von Michael Hollenbach · 01.03.2014
Als einfache Arbeiter stehen sie an der Seite der Schwachen und möchten nicht nur seelsorgerisch vor Ort wirken, sondern auch umgekehrt: in die Kirche hinein. Der eine in einer Textilfabrik, die andere im Supermarkt.
Albert Koolen hat vier Jahre lang als Kaplan im Bistum Aachen gearbeitet, bis er Anfang der 90er-Jahre von seinem Bischof die Erlaubnis bekam, aus dem Kirchendienst auszuscheiden. Nicht etwa - wie manche andere Priester -, um zu heiraten, sondern weil er als einfacher Arbeiter in eine Textilfabrik wechseln wollte:
"Die Grundidee war die: Nicht in der Betreuung, in der Beratung, in der Begleitung für andere tätig zu sein, sondern diese Art des Lebens selber zu leben. Die Idee ist, dass das noch mal eine andere Qualität des Lebens hat, als wenn ich aus einer anderen sozialen Hintergrundsituation eben versuche, Menschen zu betreuen."
Vorbild der deutschen Arbeitergeschwister sind jene Priester, die vor rund 100 Jahren in Frankreich begannen, den Kontakt zu den Arbeitern aufzubauen. Allerdings merkten sie bald, dass die Arbeiter nicht zu ihnen in die Kirche kamen, sondern dass die Priester in die Betriebe gehen mussten. Der Theologe und Politikwissenschaftler Veit Straßner hat die Geschichte der Arbeiterpriester erforscht:
"Die Priester hatten alle eher einen bürgerlichen Hintergrund, und das war etwas, was den Arbeitern völlig fremd war. Und somit setzte sich nach und nach die Erkenntnis durch, dass der Priester das Leben der Arbeiter teilen muss, um an die Arbeiter überhaupt heranzukommen."
Insgesamt bildeten sich in Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts über 100 Gruppen mit Arbeiterpriestern.
"Dann ist das passiert, was der Kirchenleitung nicht mehr so gepasst hat, nämlich dass die Priester sich immer mehr in die Arbeiterkultur eingefunden haben, dass sie ihre bürgerliche-klerikale Existenz aufgegeben haben und es zum Schulterschluss mit der Arbeiterschaft kam, was dann auch dazu führte, dass die Arbeiterpriester begannen, sich etwa auch in der kommunistischen Partei zu engagieren. Man kann sich vorstellen, dass die Kirchenleitung das nicht goutiert hat."
1954 verbot der Vatikan den Priestern, in Fabriken zu arbeiten. Aber schon 1965 wurde im Rahmen des 2. Vatikanischen Konzils diese Entscheidung zurückgenommen. Vielleicht auch, weil die Grundintention der Arbeiterpriester keine primär politische, sondern eigentlich eine spirituelle ist, wie Veit Straßner erläutert:
"Eine ganz wichtige Quelle ist die Spiritualität des Charles de Foucauld, eines Einsiedlermönches, der das Wirken im Unscheinbaren in den Mittelpunkt stellt. Für Charles de Foucault spielt die handwerkliche Tätigkeit eine wichtige Rolle, verbunden mit einer Gottessuche im Einfachen."
Ordensschwester als Inventurhelferin
Die ehemalige Ordensschwester und Lehrerin Maria Jans-Wenstrup gehört zu den rund 40 Arbeitergeschwistern in Deutschland. Sie arbeitet als Inventurhelferin bei Discounter-Märkten. Ihr Credo:
"Ich möchte nicht für Leute was tun oder helfen, sondern einfach Leben teilen."
Maria Jans-Wenstrup hat das Anliegen von Papst Franziskus, die Option für die Armen, in die Realität umgesetzt. Ähnlich wie der Papst wünscht sie sich eine arme Kirche, die an der Seite der Schwachen stehe. Sie will aber nicht etwa ihre Kolleginnen im Betrieb missionieren. Sie sieht die Stoßrichtung eher umgekehrt: als eine Mission in die katholische Kirche hinein.
"Dass ich ein bisschen ein Scharnier sein kann, durch das ein bisschen von der Welt der einfach Arbeitenden reinschwappt in die Kirche, die ja sehr stark lebt vom Bildungsbürgertum."
Von Oberhausen aus macht sie sich morgens um halb sechs auf den Weg zur Arbeit in Essener Supermärkte. Nach Feierabend ist sie so ausgepowert, dass sie kaum noch Termine wahrnehmen kann. Die ehemalige Lehrerin wohnt in einer Sozialsiedlung in Oberhausen; die meisten Nachbarn sind arbeitslos. Eine Welt, in der Kirche keine Rolle spielt:
"Ich merke das auch bei mir selber, dass auch mir Kirche fremder wird, obwohl sie eigentlich mein Zuhause ist, aber ich habe im Alltag sonst nichts damit zu tun. Das sind alles Dinge, die mir sehr vertraut sind und die ich gar nicht lassen will, und trotzdem wird es von selbst fremder."
Albert Koolen lebt in einer kleinen Wohnung in einem Mietshaus in Krefeld. Sein Wohnzimmer ist zugleich das Gästezimmer - so spartanisch eingerichtet wie eine Mönchszelle. Ein Zimmer hat der 53-Jährige noch abgetreten an einen tamilischen Asylbewerber. Seit Jahren engagiert sich Koolen auch in der Seelsorge für tamilische Flüchtlinge. Heute arbeitet der Krefelder als schlecht bezahlte Servicekraft am Düsseldorfer Flughafen. Zuvor hat er 18 Jahre lang in einer Textilfabrik gearbeitet. Gleich zu Beginn hatte der ehemalige Kaplan, der manchmal am Wochenende noch ehrenamtlich als Priester tätig ist, einen Arbeitsunfall, als er eine Hartgummiwalze reinigen wollte.
"Dann ist der Lappen da reingerissen worden mit meiner Hand, und ich habe mir in Panik – und das war auch mein Glück – das obere Glied meines rechten Zeigefingers selber abgerissen. Wenn nicht, hätte ich Pech gehabt, dann wäre vielleicht die ganze Hand da reingezogen worden. Das war schon im Unglück ein sehr großes Glück."
An den Rändern der Gesellschaft
Trotz des Unfalls: Wieder zurück als Priester in eine Gemeinde, das wollte Albert Koolen nicht. Er sieht seinen Platz – ganz im Geiste von Papst Franziskus – bei den Menschen am Rande der Gesellschaft. Und obwohl der Krefelder Geistliche jahrelang in der Textilfabrik als Betriebsrat tätig war, betont er eher den theologischen als den politischen Aspekt seiner Arbeit:
"Wir sind nicht für andere da, sondern aus dem möglichst nahen und solidarischen Mitleben heraus mit Leuten gemeinsam zu entwickeln, wie das Leben zu bewältigen ist und wie auch die Gerechtigkeitsfrage ganz konkret vor Ort gelöst werden kann."
Der Mainzer Theologe Veit Straßner erläutert allerdings, dass es den Arbeiterpriestern niemals nur um die Spiritualität des einfachen Lebens gegangen sei:
"Jeder, der sich für einen solchen Weg entscheidet, hat ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein, und die reflektierte Erfahrung führt dazu, dass er weiter politisiert wird."
In Papst Franziskus sehen die Arbeitergeschwister Maria Jans-Wenstrup und Albert Koolen einen Gleichgesinnten, der die Option für die Armen unterstützt:
"Warum soll ich keine Hoffnung haben, dass da noch mal ein Akzent in die Kirche reinkommt, der ihr durchaus, was ihre Glaubwürdigkeit angeht, ganz gut täte. Es macht jedenfalls ein bisschen Mut."
Und auch Veit Straßner erkennt eine geistliche Nähe zwischen den Arbeitergeschwistern und Papst Franziskus:
"Wenn Papst Franziskus davon spricht, dass die Kirche an die Ränder gehen soll, dann wird man wohl sagen müssen, dass die Arbeiterpriester genau das tun, sie begeben sich in gesellschaftliche Segmente, die aus dem Fokus der breiten Öffentlichkeit geraten sind, und versuchen dort konkret, die Lebenswirklichkeit dieser Menschen zu teilen und mit ihnen darauf hinzuarbeiten, diese Situation zu verbessern."
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