Arbeit jenseits klassischer Erwerbsarbeit

Moderation: Dieter Kassel · 25.09.2007
Der Sozialphilosoph André Gorz hat sich das Leben genommen. Der einstige Vordenker der undogmatischen Linken habe ein neues Verständnis von Arbeit aufgezeigt, sagte der Politikwissenschaftler Peter Grottian im Deutschlandradio Kultur. Zudem habe Gorz gemahnt, dass die knapper werdende Erwerbsarbeit solidarisch verteilt werden müsse.
Lesen Sie im Folgenden Auszüge aus dem Interview mit Peter Grottian:

Kassel: Der Sozialphilosoph André Gorz hat sich zusammen mit seiner Frau im gemeinsamen Haus in Vosnon im französischen Burgund das Leben genommen. Bei mir im Studio Peter Grottian, seit zwei Monaten emeritierter Professor für Politikwissenschaften an der FU Berlin. Schönen guten Tag, Herr Grottian!

Grottian: Guten Tag.

Kassel: Wenn wir jetzt gehört haben, was für eine Bedeutung Gorz hatte, was für Werke er verfasst hat, wie erklären Sie sich, dann, dass er tatsächliche bei vielen Menschen, die heute jünger als 50 sind, fast vergessen ist?

Grottian: Er ist nicht vergessen, aber er wird nicht mehr so lautstark diskutiert und das hängt damit zusammen, dass in der politischen und auch in der wissenschaftlichen Diskussion die Vorstellung von einer eher neoliberalen Bewältigung von Politik sehr stark die Oberhand gewonnen hat, denn Gorz würde, wenn er heute noch leben würde, er würde den Politikerinnen und Politikern zurufen: "Wie Ihr mit der Frage der Arbeitslosigkeit umgeht und wie Ihr umgeht mit dem Sozialstaat, das kann gar keine gute Lösung sein!"

Und da unsere Politiker nach wie vor ihr Heil darin suchen, die Menschen möglichst in einen Arbeitsprozess zu zwängen und zu drücken und sagen, dass sei das Heil, und gleichzeitig aber den Sozialstaat so organisieren - Stichwort Hartz IV -, dass sie eigentlich mehr die Menschen drangsalieren, dass sie ihnen mehr zumuten, dass sie ihnen jedenfalls keinen Mut machen, mit dieser Situation auch anders umgehen zu können, da hat sich ein Politikmuster entwickelt, was auf der einen Seite eben die Arbeitsgesellschaft nicht neu denkt, sondern sie ganz traditionell denkt nach dem Motto: Wachstum schafft irgendwie Arbeitsplätze und wenn du nicht dabei bist, bist du selber schuld, und gleichzeitig einen Sozialstaatsabbau organisiert, der die Menschen ohne Erwerbsarbeit zu Menschen zweiter und dritter Klasse degradiert.

Und da hat André Gorz eigentlich eine Alternative aufgerissen, die viele faszinierend finden und die sich auch heute bei der Diskussion um Grundeinkommen sehr wohl widerspiegelt, aber sein Name, Sie haben Recht, taucht weniger auf in diesen Debatten.

Kassel: Die Debatte um ein Grundeinkommen wird ja gerade im Moment seit wenigen wieder besonders intensiv von Menschen aus unterschiedlichsten politischen Ecken geführt. Einer, der sie besonders popularisiert, ist Götz Werner, Gründer der Drogeriemarktkette "dm". Das, was er sagt, der ist ja da auch sehr laut in dem, was er sagt, würde das jemanden wie André Gorz erfreuen?

Grottian: Nein, ich glaube, das würde ihn nicht erfreuen. Denn das Faszinierende an dem André Gorz ist ja, dass er uns allen eigentlich mit seinen verschiedenen Büchern zuruft: Ihr könnt mit den Folgen technologischer Revolution und mit den Folgen, die das für die Arbeitsgesellschaft hat, ihr könnt im Prinzip ganz anders damit umgehen, als ihr es macht. Und André Gorz sagt eigentlich ganz positiv: Wenn diese Entwicklung so geht, wie sie geht in der technologischen Revolution, d.h. also auch Arbeitsplätze immer weiter abnehmen, dann muss man daraus zwei Konsequenzen ziehen.

Eine heißt: Wir müssen die Arbeit auch solidarisch umverteilen, damit die Menschen mehr Zeit für sich selbst haben, damit sie neben ihrer Erwerbsarbeit auch ihre Erziehungsarbeit, ihre soziokulturelle Arbeit, ihre Familienarbeit wirklich betreiben können. Und das muss in einer Weise geschehen, dass sie auch einigermaßen ein Einkommen haben, also Arbeitszeitverkürzung und solidarische Arbeitsumverteilung.

Und die zweite Sache ist, dass er sehr stark dafür plädiert hat, zu sagen als zweite Säule, dass ein Leben auch ohne klassische Erwerbsarbeit möglich sein muss und das würde heißen auf heutige Bezüge übertragen, eben bitteschön nicht Hartz IV mit 349 Euro, sondern eben irgendwas - was weiß ich - mit 1000 Euro oder mit 800 Euro, was auch bezahlbar wäre. Und dann wollen wir doch mal sehen, wie die Menschen zwischen klassischer Erwerbsarbeit und dieser Grundsicherung, welche neuen gesellschaftlichen Konstellationen es daraus gibt, nämlich Gorz war ein Mensch, der über Menschen überwiegend positiv dachte, er sagte: die Leute werden ja nicht mit der Bierflasche vorm Fernseher sitzen, sondern sie werden in aller Regel versuchen, was Vernünftiges zu tun.

Sie können das Gespräch mit Peter Grottian zum Tod von André Gorz mindestens bis zum 25.2.2008 in unserem Audio-on-Demand-Angebot hören.
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