Arabischer Thementag

"Die Liebe zwischen Islam und Christentum schützen"

Eine Frau verlässt auf dem Kirchentagsgelände in Stuttgart beim 35. Evangelischen Kirchentag ein gestricktes Tipi aus Wolle.
Eine Frau verlässt auf dem Kirchentagsgelände in Stuttgart beim 35. Evangelischen Kirchentag ein gestricktes Tipi aus Wolle. © picture alliance / dpa
Von Rainer Brandes · 07.06.2015
Beim Arabischen Thementag in Stuttgart stand die Lage in Syrien im Mittelpunkt: Alle Diskussionsteilnehmer betonten die Einheit der syrischen Gesellschaft und wollten es unbedingt vermeiden, sich in verschiedene religiöse Gruppen spalten zu lassen.
Arabische Klänge auf dem Evangelischen Kirchentag. In der Biografie des Lautenspielers kristallisiert sich die ganze Dramatik dessen, worum es am Samstag beim Thementag Arabischer Raum des Kirchentags geht: Er ist Palästinenser, aufgewachsen in einem libanesischen Flüchtlingslager, jetzt lebt er in Berlin und arbeitet in einer Flüchtlingsunterkunft.
Ein Schicksal, wie es viele Menschen aus dem Arabischen Raum teilen – nicht nur Palästinenser. Der Kirchentag will ihnen Gehör schenken – eine seltene Innenansicht bieten, auch in Länder, aus denen zurzeit kaum authentische Informationen zu uns dringen. Das gilt ganz besonders für Syrien. Zwei Stunden lang geht es nur um dieses vom Bürgerkrieg zerstörte Land. Zerstört aber ist nicht nur das Land, sondern auch die Gesellschaft. Das wird deutlich, als die junge syrische Aktivistin Rand Sabah sagt: In ihrer Heimat gibt es keine Zivilgesellschaft mehr. Die letzten Aktivisten haben das Land verlassen.
"Sie wurden verhaftet, einige von ihnen abgeschlachtet. Deshalb können Sie heute kaum noch Aktivisten dort finden. Sie wollen schlicht überleben."
Als einziger Gesprächsteilnehmer, der heute noch in Syrien lebt, ist Elias Toumeh gekommen, griechisch-orthodoxer Patriarch von Antiochien. Sein Bischofssitz ist Wadi al-Nasara – zu Deutsch: das Tal der Christen. Die Stadt liegt ganz im Westen Syriens an der libanesischen Grenze. Hier ist es noch sicher, weshalb der Bischof berichtet:
"In unserer Gegend, dem Tal der Christen, ist wahrscheinlich zurzeit die größte Ansammlung von Christen im Nahen Osten, weil alle christlichen Flüchtlinge aus Syrien hierher kommen. Denn hier ist es noch sicher."
Das bringt natürlich den oft gehörten Verdacht auf, dass es die Christen in Syrien noch am besten haben, weil sie Unterstützer des Assad-Regimes seien. Tatsächlich sagt die Aktivistin und Christin Rand Sabah:
"Viele sind loyal zum Regime, ja. Gleichzeitig gibt es welche wie mich, die gegen das Regime sind. Wir unterstützen die Revolution, weil wir für unser Recht auf Freiheit kämpfen."
Warum es unter den Christen mehr Unterstützer Assads gibt als unter Anhängern anderer Religionen, das versucht Tarek Mitri dem Publikum zu erklären. Der libanesische Politikprofessor ist Leiter der UN-Mission zum Aufbau eines Rechtsstaates im Libanon.
"Den Christen werden bestimmte Rechte eingeräumt. Sie bekommen eine begrenzte Freiheit, ihre internen Angelegenheiten selbst zu regeln, im Austausch für totale Loyalität und den Entzug ihrer politischen Rechte."
Betonung der Einheit
Alle Diskussionsteilnehmer sind sehr bemüht, die Einheit der syrischen Gesellschaft zu betonen. Sie wollen unbedingt vermeiden, sich in verschiedene religiöse Gruppen spalten zu lassen. Als aus dem Publikum die Frage kommt, ob eine Trennung der verschiedenen religiösen Gemeinschaften Syriens eine Lösung für den Bürgerkrieg sein könnte, da reagieren die Diskutanten fast entrüstet. Der sunnitische Gelehrte und ehemalige syrische Parlamentarier Muhammad Habash beschwört die einstige Einheit der syrischen Bevölkerung jenseits von Glaubensgrenzen. Für ihn kann es eine friedliche Zukunft nur geben, wenn diese Beziehungen nicht zerstört werden.
"Ich glaube, unsere Aufgabe ist es, diese Beziehungen zwischen dem Islam und dem Christentum, diese Liebe zwischen Islam und Christentum, zu schützen. Es ist nicht leicht, die derzeitige Wut im Nahen Osten zu überwinden. Aber wir müssen an die Zukunft denken."
Die Zukunft: Wie die für den Nahen Osten aussehen wird, diese Frage stellen sich nicht nur die Syrer. Der Thementag richtet seinen Blick auch nach Ägypten. Nach dem erfolgreichen Sturz des Diktators Mubarak gab es Hoffnung auf Demokratie. Doch der freigewählte Präsident Mursi von den Muslimbrüdern brachte nur neue Unfreiheit. Nun sind wieder die alten Machteliten unter dem Ex-Militär Al Sisi an der Macht. Auf dem Kirchentag zieht der ägyptische Aktivist Ahmed Hararah eine bittere Bilanz. Er ist hier mit der Stimme seines Dolmetschers zu hören.
"Ich sehe, dass das Regime Mubaraks immer noch besteht, nach wie vor, durchgehend durch die Muslimbruderschaft und auch den Militärrat. Also, die Sicherheitskräfte sind dieselben von damals bis zum heutigen Tag. Wir wollten eine Umstrukturierung, und wir haben das verlangt und gefordert. Aber nichts ist passiert."
Ahmed Hararah ist eigentlich Zahnarzt. Doch seinen Beruf kann er nicht mehr ausüben. Bei einer Demonstration in Kairo gegen das Regime haben Sicherheitskräfte ihn angeschossen. Seitdem ist er blind. Einer seiner Freunde wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, nur weil er die Freilassung anderer Aktivisten gefordert hatte. Und doch ist sich Ahmed Hararah sicher, dass das Regime eines Tages zu Fall kommen wird.
Dabei erwartet er von der europäischen Gesellschaft nur eins:
"Es genügt mir, wenn diese Gesellschaft auf unsere Bedürfnisse hört, zunächst einmal, und sie zur Kenntnis nimmt. Was die Menschenrechte und die Meinungsfreiheit angeht, das überlassen Sie uns Ägyptern. Wir haben’s zustande gebracht früher und wir werden es auch ebenfalls jetzt zustande bringen können."
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