Arabische Welt

Wenn Cousins Staatslenker und Generäle sind

Jochen Hippler im Gespräch mit Ute Welty · 22.11.2013
Warum ist Nation-Building in arabischen Ländern wie Ägypten, Syrien oder Libyen so schwer? Für politische Veränderungen sei wichtig, dass die Entscheider von Staat und Militär nicht Teil der gleichen Clique seien, meint der Politikwissenschaftler Jochen Hippler.
Ute Welty: Selbstmordattentate in Syrien, Ägypten kommt nicht zur Ruhe, auch hier immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen, blutige Zusammenstöße zwischen Militärs und Demonstranten in Libyen. Fast täglich müssen wir hier in Deutschlandradio Kultur darüber berichten, was aus dem sogenannten Arabischen Frühling geworden ist. Aber wo stehen wir in diesem Prozess? Markiert die Gewalt das Scheitern? Oder handelt es sich um eine ganz normale Krise, die vielleicht sogar durchlaufen werden muss, um zu wissen, wie Demokratie funktioniert? Oder waren gar die Erwartungen zu hoch? Fragen über Fragen, die ich jetzt besprechen will mit Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg-Essen. Guten Morgen!
Jochen Hippler: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Drei Länder habe ich eben genannt: Syrien, Ägypten, Libyen. Ist es überhaupt angemessen, diese drei in einem Atemzug zu nennen?
Hippler: Ja, in gewissem Sinne schon, weil wir müssen daran denken, dass wir halt Jahrzehnte lang im Nahen, Mittleren Osten so eine Stagnationssituation hatten, wo man das Gefühl hatte, dass verkrustete Diktatoren bleiben und bleiben und noch länger bleiben, und insofern hat sich da jetzt tatsächlich in der ganzen Region ein Wandlungsprozess eingeleitet so Ende 2010, Anfang 2011. Gleichzeitig aber ist es natürlich so, dass die Länder sich sehr unterscheiden. Also wir können halt schlecht den Jemen mit Tunesien vergleichen oder Syrien mit Ägypten. Das heißt, es gibt zwar einen regionalen Wandlungsprozess, aber die Wege der Veränderung sind schon doch noch relativ unterschiedlich.
Verschiedene Prototypen von Wegen
Welty: Und wenn Sie diese Wege der Veränderung einmal abstrahieren: Gibt es so etwas wie den Prototyp einer Revolution?
Hippler: Na, es gibt unterschiedliche Wege. Ich glaube, dass es nicht einen gibt. Also wir haben einen Typ gehabt, der jetzt in die Krise geraten ist, das ist der ägyptisch-tunesische Weg, das heißt, nach einer relativ kurzen Zeit in einem relativ friedlichen, nicht wirklich friedlichen Prozess – weil 800 Tote, 900 Tote beim Sturz von Präsident Mubarak ist ja nun auch nicht völlig friedlich gewesen. Eine Situation, wo man dachte, Wahlprozesse stehen bevor und eine politische, halbwegs friedliche Reform steht bevor – die ist nun in Ägypten tatsächlich abgebrochen worden, dieser Prozess. In Tunesien ist es noch nicht ganz entschieden. Dann gibt es so einen Weg, wo man vielleicht Jordanien, Marokko nennen kann, zum Teil vielleicht noch Oman, in dem halt Herrscher, eben überwiegend interessanterweise monarchische Herrscher, sich bemühen, eben durch kontrollierte Reformen von oben den Ausbruch einer richtigen Revolution zu verhindern, also das Verfassungsreformprojekt in Marokko ist halt das klassische Beispiel. Und da würde ich sagen, dass es da auch noch nicht ganz absehbar ist, weil die Prozesse eben lange dauern. Es gibt im Moment eine gewisse Stabilisierung in diesen Ländern, aber ob das in fünf Jahren noch so ist – schwer zu sagen. Dann haben wir einen Weg, reiche Ölländer am Persischen Golf, Saudi-Arabien, Katar, die Arabischen Emirate, wo es zum Teil eine Mischung gegeben hat von, sagen wir mal, wirtschaftlicher Großzügigkeit – das saudi-arabische Königshaus hat mal eben 130 Milliarden Dollar unter den Leuten verteilt, um sie halt sozusagen zu bestechen, um sie ruhigzustellen, und das Ganze dann mit Unterdrückung verknüpft. Und dann haben wir diese Bürgerkriegssituation in Libyen und in Syrien vor allen Dingen. Also insofern würde ich sagen, wir haben so vier oder fünf verschiedene Prototypen, und manchmal können die auch von einem ins andere noch übergeleitet werden.
Welty: Von welchen Faktoren hängt ab, welche Entwicklung die ganze Geschichte nimmt? Sie haben gerade schon von Geld gesprochen. Spielt der Bildungsgrad eine Rolle oder auch vielleicht, inwieweit Frauen an der Gesellschaft beteiligt sind?
Hippler: Insgesamt ist mein Eindruck, dass der Weg sehr stark von der Rolle und der Funktion des Staatsapparates abhängt.
Welty: Inwieweit?
Verschwippte Hierarchen
Hippler: Na ja, wenn Sie an Tunesien und Ägypten denken: Da hatten wir Diktatoren, die den Staatsapparat beherrscht haben. Wenn wir aber an Syrien und Libyen denken, dann hatten wir Diktatoren, die den Staatsapparat teilweise durchsetzt hatten, also die zum Teil den Staatsapparat nicht geleitet haben, aber der Staat war noch relativ unabhängig in gewisser Hinsicht selbst, sondern in Libyen und in Syrien haben halt Verwandte der Diktatoren, die Familie, so eine Clique von alten Freunden, die haben eben sozusagen gleichzeitig außerhalb und innerhalb des Staates operiert, und da war die Grenze von Staat und Gesellschaft teilweise gar nicht gezogen. Und in diesem ersten Fall, Ägypten, Tunesien, ist durch diese teilweise noch Selbstständigkeit vom Staat es gelungen, dass etwa auch der Präsident vom Staatsapparat selbst weggeputscht worden ist, also vom Militär in beiden Fällen. Während in Syrien und in Libyen das viel schwerer gewesen ist, weil da eben tatsächlich wichtige Machtapparate im Staat Teil der Clique sind, des Regimekernes sozusagen, dass dann halt Cousins oder Brüder oder Onkel oder so dieser Herrscher dann selber auch noch Generäle sind, die halt Führungsfunktionen im Staatsapparat ausüben. Da war es relativ schwierig halt sozusagen, den Kern des Regimes vom Staat zu trennen, und das ist halt in Tunesien relativ gut gelungen.
Welty: Wenn wir aus Europa, aus Deutschland heraus jetzt auf die arabische Welt insgesamt schauen – lehrt uns das mehr Geduld, vielleicht auch mehr Zurückhaltung?
Hippler: Na ja, in gewissem Sinne, was man daraus lernen kann, ist eben, dass die frühere Politik ... dass wir Diktatoren unterstützt haben, weil sie für Stabilität Garantien bringen konnten, dass das in der Zukunft sicher nicht mehr so eine gute Idee ist, weil eben der Versuch, durch Waffenlieferungen, durch wirtschaftliche Hilfe, durch politische Unterstützung solche Regime zu stabilisieren, in der Zukunft nicht mehr so funktionieren wird, weil in vielen der Länder die Bevölkerung jetzt stärker eigene Machtansprüche stellt und nicht mehr bereit ist, sich von den Diktatoren einschätzen zu lassen. Also da wird man tatsächlich versuchen müssen, Stabilität auf eine andere Art zu gewährleisten als in dieser klassischen alten Art, von Regierung zu Regierung, mit denen einfach irgendwelche Deals zu machen.
Welty: Rät der Politikwissenschaftler und Friedensforscher Jochen Hippler. Ich danke für dieses Interview!
Hippler: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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