Applaus von der falschen Seite?

Kerstin Zilm im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 21.03.2010
"Precious" war schon ein Publikumsliebling auf Filmfestivals, bevor der Film für sechs Oscars nominiert wurde und zwei davon gewann. Doch bei Teilen der schwarzen Community Amerikas kommt der Film weniger gut an. Er bediene einen ganzen Reigen Klischees über Schwarze, so die Kritik.
Liane von Billerbeck: Aus Los Angeles ist jetzt unsere Korrespondentin Kerstin Zilm zugeschaltet. Schönen guten Morgen!

Kerstin Zilm: Guten Tag!

von Billerbeck: Die Geschichte dieses Films, die klingt doch eigentlich ziemlich gut. Wo also setzt da die Kritik an?

Zilm: Es gibt Kritik von vielen Seiten, also viele Aspekte werden von denen angesprochen, die mit dem Film sehr unglücklich sind. Das geht los damit, dass die Kritiker sagen, "Precious" sei rassistisch. Sie machen das fest daran, dass die Person in dem Film, die Charaktere, die Precious, die Hauptperson, den Teenager, den schwangeren, auf den besseren Weg bringen, dass das alles hellhäutige Schwarze sind - Mariah Carey zum Beispiel als Sozialarbeiterin, Lenny Kravitz als einer, der im Krankenhaus mitarbeitet. Sie sind sozusagen die Retter, die Precious in die richtige Richtung steuern, während alle die, die des Missbrauchs schuldig sind, die Eltern von Precious und auch andere Personen, das sind alles sehr dunkelhäutige Schwarze. Also das ist ein Aspekt.

Dann sagen die Kritiker, der Film ist überhaupt nicht repräsentativ. Das mag ein Bild mehr aus den 80ern sein, in denen der Film auch spielt, wo die Schwarzen noch schlechtere Aufstiegschancen hatten, wo sie noch mehr in Sozialbauten wohnten, das hat sich alles geändert. Und der Film bediene vielmehr Klischees, die sowieso überbenutzt werden, Klischees, dass die Schwarzen alle Inzest üben, dass die Schwarzen alle ungebildet sind, dass sie fettleibig sind, dass sie einander missbrauchen, dass die Väter nicht da sind, dass auch die Mütter nur von Sozialhilfe leben. All das seien Bestätigungen von Klischees, die nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun haben und die auch nicht wirklich einen positiven Aspekt zeigen oder ein Vorbild, wo man sagt, daran können sich Schwarze orientieren, daran haben sie sich orientiert, das ist ein Weg zur Verbesserung.

von Billerbeck: Aber nun war es doch Obama selbst, der zum Beispiel an die Väter appelliert hat, an die Väter Schwarzer, aus schwarzen Familien, sich mehr um ihre Kinder zu kümmern, weil es ja Statistiken gibt, dass es besonders viele alleinerziehende schwarze Mütter gibt, und es war Michelle Obama, die die Statistiken auch erwähnt hat, dass eben Schwarze führend sind bei Drogenkonsum, bei Aidserkrankungen und auch bei Fettleibigkeit. Beschreibt da der Film nicht etwas, selbst wenn er in den 80er-Jahren spielt, was eben tatsächlich noch Wirklichkeit ist?

Zilm: Ja, und das wird den Kritikern dann eben auch entgegengehalten, weil es gibt eben diese Statistiken. Es haben sich ein paar Sachen verbessert, aber auch zum Beispiel, was HIV-Infektionen angeht, da sind 51 Prozent der Infizierten in den USA sind Schwarze. Bei den Übergewichtigen sind auch die Schwarzen mit mehr Prozent dabei als Weiße oder Latinos. Es ist einfach immer noch die Wirklichkeit von Schwarzen. Es geht den Kritikern wohl vor allem aber auch darum: Muss man dieses Bild so deutlich in den Kinos zeigen ohne ein Gegenbild und muss man es als die Welt der Schwarzen darstellen? Und die Kritiker sagen, dieser Film "Precious" konzentriert sich so sehr auf die schwarze Welt und bestätigt damit Klischees. Und sie werfen Hollywood oder denjenigen, die diesen Film auch vonseiten der Weißen, von denen, die das Geld geben in Hollywood, von denen, die Filme bewerben, von denen, die den Filmen Preise geben, dass das wieder die sind, die sich an diesem Bild der Schwarzen dann auch irgendwie bereichern, dass die Leute das auch nur sehen wollen und gar nicht die andere Seite zeigen wollen.

von Billerbeck: Wenn Kritiker das beklagen, dass hier wieder so ein Mythos bedient wird, also von Verwahrlosung und nicht funktionierenden Familien bei den Schwarzen, ist das tatsächlich so ein Motiv, das so häufig vorkommt in Filmen?

Zilm: Also es ist im Grunde, zumindest bei den erfolgreichen Filmen, nicht wirklich so. Wo man das häufiger sieht, ist vielmehr in Musikvideos, bei Hip-Hop und Rap von den Schwarzen selber, wo dieser Mythos der Verwahrlosung und aber auch ein anderer Mythos der Frau, die eigentlich permanent zu Sex bereit ist, einer Frau, die sich nicht wirklich bildet, einer Frau, die nur darauf auf ist, einen Mann zu bekommen und sich von dem aushalten zu lassen, das wird viel mehr in Musikvideos weitergetragen als in Filmen. Also es gibt durchaus Erfolgsgeschichten Schwarzer, die im US-Kino sehr großen Erfolg haben. Da war Will Smith mit seinem "Pursuit of Happyness", es gab andere Filme - also diese Kritik geht eigentlich ins Leere, wenn man mal genauer hinschaut, was in den vergangenen Jahren in den USA erfolgreich war. Man kann halt generell sagen, Geschichten von Schwarzen, die kommen im großen US-Kino an und für sich einfach selten vor. Und vielleicht ist deshalb auch die Kritik so groß, dass sie sagen, jetzt hat mal einer Erfolg, und dann ist es wieder so eine Geschichte, wo die Schwarzen ganz unten sind und die schlechte Seite gezeigt wird.

von Billerbeck: Erinnern wir uns doch mal dran, für welche Charaktere haben denn schwarze Schauspieler, Filmemacher, Regisseure Oscars bekommen in den vergangenen Jahren?

Zilm: Ja, und da ist eben auch wieder etwas, wo viele sagen, das ist ja mal wieder ganz typisch, dass auch dieser Film, wo Klischees bedient werden, dass dieser von Hollywood ausgezeichnet wird, weil die Geschichte der Oscars und der Schwarzen, das ist schon eine, die sehr bemerkenswert ist. Die Erste war Hattie McDaniel aus dem Film "Vom Winde verweht", da hat sie die ganz, die dicke, gemütliche, für alle sorgende Mammy gespielt. Da haben viele auch schon gesagt, na ja, das ist halt auch wieder so ein Klischee. Danach kam Sidney Poitier, der in "Lilien auf dem Felde" 1964, da hat er einen Schwarzen, der ganz an das Leben von Weißen angepasst war, ein hilfreicher Mensch, den hat er da gespielt. Das haben ihm viele vorgeworfen, dass er sich da quasi auch in so eine angepasste Rolle begeben hat in den 60er-Jahren, wo sehr viel Aufruhr war, und dass das dann auch wieder ein Klischee war, was die Weißen gerne gesehen hätten, dass die Schwarzen sich da so schön anpassen. Dann in modernen Zeiten Denzel Washington für seinen korrupten, brutalen Polizisten in "Training Day". Da sagen viele, warum hat Denzel Washington nicht für seine Darstellung von "Malcolm X" einen Preis gewonnen, warum hat Hollywood ihn dafür ausgezeichnet. Und Halle Berry zuletzt in "Monster's Ball", wo sie eine Alkoholikerin spielt und auch eine, die immer Sex initiiert. Eine Rolle, die zum Beispiel Angela Bassett, die Tina Turner mal gespielt hat, also Angela Bassett hat gesagt, sie spielt das nicht. Die sollte zuerst die Rolle übernehmen und hat gesagt, das ist so klischeehaft, das bestätigt wieder dieses Bild, die Frau nur aus Sexualität besteht. Also da sind die Kritiken eben auch groß, dass Hollywood sich diese Rollen aussucht, für die sie Schwarze auszeichnet, die eigentlich alte Klischees bestätigen und nicht dieses neue Bild, was man jetzt vielleicht auch mit Barack Obama hat - erfolgreich, intelligent, einflussreich -, dass man sich nicht diese Figuren aussucht, wenn man mal Schwarze auszeichnet in Hollywood.
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