Apokalyptische Endzeit

Von Bernhard Doppler · 28.03.2010
Richard Wagners "Parsifal" hat Calixto Bieito von der Vergangenheit in eine gespenstische Zukunft versetzt. Die Ruine einer Betonbrücke ragt bis in den Orchestergraben. Die Menschen vegetieren in Erdlöchern und tragen Sauerstoffmasken.
Richard Wagners "Parsifal" hat Calixto Bieito von der Vergangenheit, der mittelalterlichen Welt der Ritter, in eine gespenstische Zukunft, eine apokalyptische Endzeit versetzt. Die Ruine einer Betonbrücke ragt bis in den Orchestergraben, daneben einige Baumstämme. Die Menschen vegetieren in Erdlöchern und tragen Sauerstoffmasken. Sie haben sich zu gewalttätigen Sekten zusammengeschlossen und warten auf einen Erlöser, aber die religiösen Rituale funktionieren nicht mehr. Tatsächlich ist dies auch ein Ausgangspunkt von Wagners Drama: die Krise der Artusgesellschaft, der der Gral keine Erlösung mehr bringt.

Mehr jedoch als theologische Fragen bestimmt die Ästhetik von Horrorfilmen Bieitos Inszenierung. Man ist immer wieder an den düsteren Wald von Lars von Triers "Antichrist" erinnert – auch dies ein Film voller apokalyptischer Symbole und pornografischer Andeutungen. Statt des Schwans wird ein Ministrant mit Engelsflügeln misshandelt und die Kastration Klingsors und die von ihm abhängigen Blumenmädchen werden drastisch vorgeführt.

Eine schlüssige Interpretation von Wagners Werk wird man bei Bieito vergeblich finden, Bieito bastelt sich selbst eine Theaterreligion zusammen – und ist insofern dann wieder Wagners Werk, das ebenfalls ein Amalgam aus unterschiedlichsten Philosophien und Religionen und sektiererischen Vorstellungen von Reinheit des Blutes und Erlösung ist, nahe.
Im Karfreitagszauber wird bei Bieito unter Weihrauchschwenken auf einem Einkaufswagen Parsifal als Erlöser mit Amuletten behängt, wie es kitschiger kaum vorstellbar ist: Christum im Slum.

Bietos gewalttätige Ästhetik vereinnahmt allerdings auch die musikalische Interpretation, die kaum ein Gegengewicht schaffen kann. Wagners Musik wird zu einer Art Filmmusik. Unter den kräftigen Bildern kann der Karfreitagszauber auch nur mehr religiös süßlich wirken. Manfred Honeck dirigiert das Staatsorchester effektvoll und präzise, aber die Musik bleibt untergeordnet, die Sänger überraschen dabei nicht nur durch große Wortdeutlichkeit, sondern auch durch einige expressive Ausbrüche. Doch auch bei ihnen ist vor allem das Unheimliche ihrer Bühnenpräsenz wirkungsvoll: der immer wieder etwas irr vor sich lächelnde Parsifal mit dem Christushaar (Andrew Richards), der sadistisch, masochistische Gurnemanz (Stephen Millig) und der heiser erregte Klingsor (Claudio Otelli).

Als menschlichste Kreatur überzeugt Christiane Iven als Kundry. Sie bleibt schwanger am Schluss auf der Bühne zurück. "Das Leben wird weitergehen – mit Hoffnungen!", will Bieito beschwichtigen. Das ist gut gemeint. Doch seine meisterhafte Weiterentwicklung von Wagners Werk wird noch lange verstören und Zuschauer in Albträumen heimsuchen.
Service: Zu der Oper "Parsifal" bietet die Staatsoper Stuttgart ein Begleitprogramm