Anwerbeabkommen

Frau Kim und die Pflege

Von Anna Corves · 26.03.2014
Wegen des Mangels an Pflegekräften in Deutschland wirbt die Bundesregierung verstärkt Pfleger an, aus Vietnam etwa oder von den Philippinen. Auch Gum-Sun Kim kam vor 24 Jahren auf diesem Wege nach Berlin, arbeitet heute im Urban-Krankenhaus. Ihr geht es gut - doch sie sorgt sich um all diejenigen, die jetzt noch kommen sollen.
Hien Cao lacht. Es ist sein dritter Versuch, die 102-Jährige Marlies Schulte zu wecken - doch die dreht sich lieber noch mal um. Hien lässt sie, er hat ohnehin keine Zeit, eilt durch die Flure des Berliner Pflegeheims "Haus Leonore".
Halb acht am Morgen - Frau Greils Verband muss kontrolliert, Herrn Große beim Waschen geholfen werden. Plötzlich klingelt es: Herr Kronberg möchte in den Rollstuhl gesetzt, in den Frühstücksraum geschoben werden. Hien, klein, schlank, aber mit kräftigen Schultern, läuft los:
Hien: "Morgen, haben Sie schon fertig?" Alter Mann antwortet etwas Undeutliches. Hien: "Wie bitte? Bin gerade am Ausräumen. Können Sie wiederholen bitte? Ich verstehe nicht." - "Ja, ich weiß." - "Wo ist...?" - "Nein, nein, nein!"
Der hagere Mann mit dem strengen Blick spricht undeutlich, reagiert unwirsch. Hien seufzt, als er ihn schließlich zum Speisesaal schiebt. Seit vier Monaten lebt der 24-Jährige in Deutschland, als einer von 102 Vietnamesen, die das Bundeswirtschaftsministerium zu Altenpflegern ausbilden lässt. Ihm gefällt es in Berlin, sagt Hien, die breiten Straßen, die vielen Bäume. Aber die Sprache ...
"Wenn Alte sprechen - sehr schwer für mich zu verstehen."
Ursula Reuscher hat Hien trotzdem ins Herz geschlossen. Freudig winkt ihm die 81-Jährige im Frühstücksraum zu:
"Sie sind sehr nett!"
„Er ist ja auch sehr nett. Streichelt gleich übern Kopf hier, wenn er so - na, wie soll ich sagen - Komplimente verteilt. Und er strahlt immer!"
Hilfe von allen Seiten
Ab und an arbeitet sie mit ihm an den Aufgaben aus seinem Sprachkurs. Auch von anderer Seite bekommt Hien Hilfe:
"Meine Kollegen sind sehr nett!"
Er guckt rüber zu Elida Mehovic, die mit ihm Dienst hat, gerade am Frühstückswagen steht und Toasts in mundgerechte Stücke schneidet. Elida Mehovic ist gebürtige Bosnierin, lebt selbst erst seit fünf Jahren in Deutschland.
"Das ist bestimmt für ihn sehr schwer. Ich kann das verstehen, wie das ist. Und Englisch kann er auch nicht so. Und manchmal weiß ich nicht, wie ich ihm etwas erklären soll. Aber er ist sehr fleißig, er macht das sehr gut."
In Vietnam hat er die dreijährige Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert, erzählt Hien. Seit kurzem entstehen in den großen Städten seiner Heimat erste Pflegeheime. Hien lernt mit der Altenpflege also einen Beruf, der ihm später auch in Vietnam nützen kann. Dass angeworbene Pflegekräfte in Deutschland richtig ausgebildet werden, ist ein Novum. Eine Idee, die auf Erfahrungen aus früheren Anwerbeabkommen basiert. Wie dem, das in den 70er Jahren 10.000 südkoreanische Krankenschwestern nach Deutschland geführt hat. Eine von ihnen ist Gum-Sun Kim.
Die junge Frau auf dem Krankenbett hat starke Nierenschmerzen, liegt deswegen in der Rettungsstelle des Urban-Krankenhauses in Berlin-Kreuzberg. Schwester Gum-Sun spricht extra laut und deutlich - sie weiß, dass ihr koreanischer Akzent hartnäckig ist. 1977, mit 24 Jahren, ist sie in Berlin gelandet, an einem tristen Februartag, in einem Flugzeug voller koreanischer Pflegerinnen. Alle waren so aufgeregt, erinnert sich Gum-Sun Kim: die Fremde, das seltsame Essen - und diese großen Zimmer!
"Das Schwesternheim, das war riesig. Die erste Nacht haben wir alle zusammen geschlafen. Voller Angst!"
Manchen wurde alles zu viel
Sie flitzt zur nächsten Patientin: Ein Mädchen hat sich die Hand im Kofferraum gequetscht. Anderthalb Meter ist Gum-Sun groß, versinkt fast in ihrem Krankenhauskittel. Heute ist die Arbeit längst Routine für sie, vor 40 Jahren aber war alles neu: Drei Monate Sprachkurs gab's für die angeworbenen Pfleger, mehr nicht. Dabei arbeiten Krankenschwestern in Südkorea und Deutschland ganz unterschiedlich.
"Bei uns ist getrennt: Krankenschwester arbeitet mit den Ärzten, Zugang legen oder Spritzen oder medizinische Versorgung. Und Pflegeversorgung machen die Pflegehelferinnen. Aber hier: Eher wir müssen Pflegehelferinnenarbeit machen. Das war für uns auch anfangs sehr schwierig."
Patienten waschen, Windeln wechseln - dieser intime Körperkontakt ist neu für die studierten Pflegerinnen. Manchen wurde alles zu viel, erzählt Gum-Sun. Sie kehren nach Korea zurück. Sie selbst aber, selbstbewusst und humorvoll, genießt das Leben in Deutschland schnell. Und arbeitet sich ein:
"Ich hatte so nette Arbeitskolleginnen. Die waren alle bereit, zu zeigen. Und: Ich frage."
Beim Gedanken an die ausländischen Pflegekräfte, die jetzt angeworben werden, verfinstert sich Gum-Suns Miene aber prompt. All die Jahre hat sie miterlebt, wie Schichten mit immer weniger Personal besetzt werden, wie der Zeitdruck steigt - all das, was den Pflegeberuf so unbeliebt macht. Besonders um die Fachkräfte etwa von den Philippinen oder aus China, die nicht erst ausgebildet werden, sondern gleich als vollwertige Arbeiter loslegen sollen, macht sich Gum-Sun Sorgen:
"Weil die hier arbeitenden Schwestern, die haben keine Zeit für die Neulinge. Anstatt was zu zeigen, lieber machen sie es schnell selbst, sonst schaffen sie es nicht..."
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