Antonia Michaelis: "Die Attentäter"

Die Vorgeschichte eines Anschlags

Eine Frau schaut auf eine Website mit Propaganda des IS.
Antonia Michaelis versucht Antworten darauf zu geben, warum ein junger Mann plötzlich zum Dschihadisten wird. © picture alliance/dpa/Oliver Berg
Von Thomas Fuchs · 28.09.2016
Das Buch "Die Attentäter" von Antonia Michaelis begeistert durch kunstvoll gezeichnete, absolut glaubwürdige Charaktere. Es ist ein beklemmender Blick in die Abgründe des Terrorismus.
Cliff, Alain und Margarete kennen einander seitdem sie vier Jahre alt sind. Die drei wachsen in einem Berliner Miethaus auf, verbringen ihre Tage zusammen, spielen zusammen und zeichnen gerne. Aber während Margarete und Alain in intakten modern-bürgerlichen Familien aufwachsen, lebt Cliff bei seinem trinkenden Vater, die Mutter hat die Familie verlassen.
Leicht ist das nicht. Auch das die zwei Jungen sich über die Jahre immer stärker zueinander hingezogen fühlen, möchte Cliff nicht wahrhaben. Er wird zunehmend wütend. Auf sich, auf die Welt. Doch dann beginnt er sich für den Islam zu interessieren. Er konvertiert, radikalisiert sich und verschwindet. Als er nach einem Jahr wieder auftaucht, soll Cliff im Auftrag des Islamischen Staates einen "Tag des Blutes" planen und durchführen.

Suche nach Antworten

In "Die Attentäter" schildert Antonia Michaelis die Vorgeschichte eines Anschlags und versucht Antworten darauf zu geben, warum ein junger Mann, der im multikulturellen Berlin aufwächst, sozialisiert wird und dessen türkische Wurzeln lange Zeit in seinem Leben keine Rolle gespielt haben, plötzlich zum Dschihadisten wird und Anschläge plant – auf den Weihnachtsmarkt in Mitte, bei einem Weihnachtskonzert, im Kaufhaus KaDeWe, im Club Berghain und im Reichstag.
Das macht das Buch beklemmend aktuell. Zumal die Planung der Attentate erschreckend realistisch beschrieben sind. Wir sind live dabei. Es betrifft die Welt, in der wir leben. Alles ist beängstigend nah und vertraut. Antonia Michaelis versteht es meisterhaft zu beschreiben, welche Entwicklung ihre Protagonisten durchlaufen, die Kämpfe und Zerrissenheit, dieses Schwanken und Hoffen, die Sehnsucht nach Rettung.
Sie schreibt die Geschichte abwechselnd aus der Sicht von Alain, Cliff und Margarete – in einer sehr poetischen Sprache, gespickt mit Symbolen und Metaphern. Und so bekommt der Roman stellenweise auch etwas Traumhaftes, Entrücktes. Immer wieder tauchen auch die Bilder eines gefallen Engel auf. Hell und Dunkel, Gut und Böse, so wie Cliff Alain und sich selbst sieht.

Sätze, die lange nachwirken

Dabei mutet Antonia Michaelis ihren Lesern einiges zu. Vor allem die Kapitel, die von Cliffs Erlebnissen in Syrien handeln, sind oft so grausam, dass man sie kaum aushalten kann. Zugleich versucht sie den jungen Mann in seiner Zerrissenheit zu verstehen und Antworten darauf zu geben, woher sein ungeheurer Hass kommt, der ihn seinen schrecklichen Plänen und Taten antreibt. "Es würde Opfer geben, große Opfer. Wie in jedem Krieg. Unschuldige, Kinder, Frauen. Aber warum waren Kinder und Frauen eigentlich immer unschuldig?"
Thomas Fuchs, Deutschlandradio Kultur
Thomas Fuchs, Deutschlandradio Kultur© Deutschlandradio - Bettina Straub
Einprägsame Sätze, die ebenso lange nachwirken wie das Buch selbst. "Die Attentäter" ist ein erschreckender Roman, der aber genau richtig ist – in Zeiten wie diesen.

Antonia Michaelis: Die Attentäter
Mit Illustrationen von Kathrin Schüler
Oetinger, Hamburg 2016
448 Seiten, 18,99 Euro

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