Antisemitismus in Frankreich

Muslime und Rechtsextreme sind im Hass vereint

Demonstranten in Paris verbrennen am 26. Juli 2014 eine Flagge Israels aus Protest gegen den Gaza-Krieg.
Demonstranten in Paris verbrennen am 26. Juli 2014 eine Flagge Israels aus Protest gegen den Gaza-Krieg. © dpa / picture alliance / Etienne Laurent
Von Klaus Manfrass · 20.04.2015
Der Hass auf die Juden und den Staat Israel ist bei vielen Muslimen in Frankreich unübersehbar, meint der Historiker Klaus Manfrass. Diese "importierten" Ressentiments seien noch gefährlicher als der alte Antisemitismus, den der Front National schürt.
Jüdische Friedhöfe werden von Jugendlichen geschändet. Ein früherer Außenminister François Mitterrands sagt unverblümt, dass der Premierminister und Parteifreund unter jüdischem Einfluss stehe. Ein jüdischer Supermarkt wird von Islamisten überfallen. Der Antisemitismus, so scheint es, kehrt als Begleiterscheinung der muslimischen Einwanderung nach Frankreich zurück. Damit droht eine Polarisierung der ganzen Gesellschaft.
Als Brandbeschleuniger des Hasses fungieren paradoxerweise weniger die katastrophale Wirtschaftslage und das mehr oder weniger offenkundige Versagen der Politik, ob rechts oder links. Als Brandbeschleuniger dient ein externer Konflikt, der Frankreich im Grunde kaum tangiert: der Israel-Palästina-Konflikt. Hier vermischen und entzünden sich die Ressentiments.
Während des Gaza-Kriegs im vergangenen Sommer kam es auf den Pariser Straßen zu gewalttätigen Konfrontationen zwischen Israel-Aktivisten und Palästina-Aktivisten. Sicher sind nicht alle Kritiker der israelischen Politik Antisemiten. Doch bei vielen Muslimen, der überwältigenden Mehrheit der Demonstranten, ist der Judenhass unübersehbar. Und dieser Antisemitismus, der sich den Gaza-Konflikt zum Anlass nahm, paart sich mit einem grassierenden Zorn über jedwede Mohamed-Karikatur. Selbst integrierte Muslime verweigerten aus dieser Gefühls-Melange heraus den Attentatsopfern Respekt und Ehre. Das ist der neue, der importierte Antisemitismus.
Munition im Dauerwahlkampf
Der alte Antisemitismus in der französischen Gesellschaft mag zwar marginalisiert erscheinen – doch ist er stets latent vorhanden. Traditionell kommt er von ganz rechts und, wenn auch weniger stark, von ganz links, angeschürt namentlich vom Front National und seinem linken Pendant, dem Front de Gauche. Zugegeben: Marine Le Pen selber wurde vom Präsidenten des Zentralrats der Juden Korrektheit bescheinigt. Bleibt der Antisemitismus von Teilen der Linken, insbesondere der extremen Linken. Sie sind Israel-Kritiker, und aufgrund ihres fundamentalen Antikapitalismus ist ihnen ein gewisser Antisemitismus nicht fremd. Die anachronistische Beschwörung von Vichy-Vergangenheit und Antisemitismus dient mittlerweile als verbale Munition in einem erbitterten Dauerwahlkampf.
Der herkömmliche Antisemitismus ließ sich noch eindämmen. Ganz anders die Vermengung alter Vorurteile mit dem neuen, importierten Antisemitismus: Weil die Problematik dieses neu geformten Judenhasses fast deckungsgleich ist mit der Problematik der muslimischen Einwanderung, wird sie tabuisiert. Die regierenden Sozialisten sind überfordert. Wie gelähmt durch die rhetorische Keule der "Islamophobie" wagen sie kaum eine Kritik und reagieren geradezu erleichtert, wenn für die Schändung jüdischer Friedhöfe junge Franzosen ohne Migrationshintergrund verantwortlich sind.
Das Problem lässt sich kaum durch ein Arsenal an repressiven Maßnahmen lösen. Die Banlieues haben sich ohnehin von der Rechtsstaatlichkeit verabschiedet. Es droht ein gesellschaftlicher Zusammenbruch: Der Antisemitismus ist bloß ein Menetekel.
Klaus Manfrass hat seit Anfang der 1960er-Jahre in Paris gelebt und mehr als 30 Jahre am Deutschen Historischen Institut im Bereich Zeitgeschichte gearbeitet. Besonders geprägt hat ihn seine Zeit im heutigen Maison Heinrich-Heine. Es wurde noch vor dem Elysée-Vertrag eingeweiht und ist ein wichtiges Element deutsch-französischer Kontakte. Später arbeitete Klaus Manfrass für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er verließ Paris 2006 und lebt jetzt im Ruhestand in Oberbayern.
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