Antisemitismus in Breslau

Weltoffenheit als Mythos

Die rechtsextreme polnische "Nationale Bewegung" demonstriert gegen die Aufnahme von Flüchtlingen.
Rechtsradikale sind in Polen kein Einzelphänomen © picture alliance
Kamil Majchrzak im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 17.06.2016
Im vergangenen Jahr verbrannten Rechtsradikale in Breslau auf dem Rathausplatz eine Puppe, die wie ein orthodoxer Jude aussah. Der Publizist Kamil Majchrzak sieht darin keinen Einzelfall, sondern beklagt die steigende Gefahr von Antisemitismus in Polen.
Antisemitismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit würden bisher in Polen verkannt, kritisiert der polnische Publizist Kamil Majchrzak, der Mitglied des Internationalen Komitee Buchenwald/Dora ist. Bei der rechtsradikalen Demonstration auf dem Breslauer Rathausplatz im November 2015 habe es sich nicht etwa um einen Einzelfall gehandelt, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Problem, sagt Majchrzak im Deutschlandradio Kultur. "Die traurige Wahrheit ist auch, dass Polen das empirische Beispiel dafür ist, dass der Antisemitismus auch ohne die Juden funktioniert", sagt er. "Es leben nur wenige Juden in Polen." Majchrzak betont, dass Breslau nicht nur eine deutsche Stadt gewesen sei, sondern auch eine jüdische Kultur gehabt habe.

Europäisches Problem

Bei der angeblichen Weltoffenheit von Breslau handele es sich aus der Sicht von Opfern rechter Gewalt und Leuten, die in der Erinnerungsarbeit engagiert seien, eher um einen Mythos als um Realität. Der Publizist sagt, die Leugnung des Antisemitismus sei für die aktuelle nationalistische Identitätsbildung in Polen konstitutiv. Es helfe auch nicht weiter, wenn die Breslauer Stadtverwaltung rechtsradikale Vorfälle eher als Problem der Imagepflege betrachte. "Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das ist auch ein europäisches Problem."

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Es gibt leider eine Geschichte, die in absolutem Kontrast dazu steht, aus dem vergangenen November. Eine Puppe, die wie ein orthodoxer Jude gekleidet und dekoriert war, mit Schläfenlöckchen und dergleichen, wurde von Rechtsradikalen verbrannt auf dem Platz, auf dem wir senden, dem Rathausplatz. Was war da passiert?
Kinga Wołoszyn-Kowanda: Das war im letzten Jahr im November. Es gab eine Demonstration von Rechtsradikalen, und die haben sich auf dem Rathausplatz versammelt und haben eine Judenpuppe, aber auch eine Flagge der Europäischen Union verbrannt, unter dem Gebrüll "Gott, Ehre und Vaterland – fast hundert rechtsradikale Demonstranten.
Frenzel: Eine traurige, eine bedrückende Geschichte, die nicht der einzige Anlass ist, aber auch ein Anlass für unser Gespräch. Zu Gast ist jetzt bei uns Kamil Majchrzak. Er ist der polnische Vertreter im Internationalen Komitee Buchenwald/Dora, mittlerweile in Berlin zu Hause. Herr Majchrzak, guten Morgen!
Majchrzak: Guten Morgen, guten Morgen nach Deutschland!
Frenzel: Diese Verbrennung der jüdischen Puppe in Breslau – ich würde mich beruhigen, freuen, wenn Sie meine Frage, ob das ein trauriger Einzelfall war, einfach bejahen könnten, aber ich fürchte, das können Sie nicht.
Majchrzak: Das ist ja eben das Problem, dass Antisemitismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit die steigende Gefahr auch nationalistischer Gruppierung überhaupt verkannt wird und eben kein Einzelfall ist. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, und die traurige Wahrheit ist auch, dass Polen das empirische Beispiel dafür ist, dass der Antisemitismus auch ohne die Juden funktioniert. Es leben nur wenige Juden in Polen. Man muss diese kulturelle Wiedergeburt unterstützen, denn diese Stadt ist nicht einfach im Grunde eine deutsche Stadt, sondern sie hat auch eine jüdische Kultur, und aus der Sicht der Menschen, die sich in Bildungsarbeit engagieren, in der Erinnerungspolitik, und auch aus der Sicht der Opfer rechter Gewalt ist natürlich diese Weltoffenheit und Toleranz von Wroclaw eher ein Mythos denn Realität.

Verleugnung des Antisemitismus

Frenzel: Es war nicht leicht, einen Gesprächspartner zu finden, der mit uns über Rechtsradikalismus in Polen sprechen möchte. Sie haben dankenswerterweise zugesagt als jemand, der aber selbst mittlerweile in Berlin lebt. Ist rechtes Gedankengut, rechte Gewalt, liegt darüber ein Tabu in Polen?
Majchrzak: Ich glaube, das Problem ist, dass die Verleugnung des Antisemitismus konstitutiv eigentlich ist für die aktuelle nationalistische Identitätsbildung. Und es hilft leider auch nicht weiter, wenn auch seitens der Stadtverwaltung diese Probleme immer als ein Problem der Imagepflege betrachtet werden, sondern das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das ist auch ein europäisches Problem, und wir müssen uns jetzt sehr viel Gedanken darüber machen, wie wir dieser europäischen Herausforderung auch in Osteuropa gerecht werden können.
Frenzel: Wenn wir mal den Schritt machen von der blanken, dumpfen rechtsradikalen Gewalt, wie man sie hier erlebt hat, zu dem, was uns ja auch in Deutschland beschäftigt, die nationalkonservative Regierung. Sie haben gerade dieses Nationale, das Betonen des Nationalen erwähnt. Erlebt Polen zurzeit gerade ein ungesundes Maß an der Betonung aufs Nationale?
Majchrzak: Ja, aber man darf nicht vergessen, das wurde hier auch mehrmals angesprochen, dass die Probleme nicht völlig neu sind. Mit dem Nationalismus wurde nicht gebrochen. Es wurde auch nach '45 mit dem Nationalismus nicht gebrochen. Immer wieder flammte er auf und wurde auch aus innerparteilichen Erwägungen immer benutzt. Auch der Antisemitismus wurde immer wieder benutzt. Nur die besondere Herausforderung heute ist eigentlich die, dass es nicht einfach nur extrem rechte Gruppierungen sind, die diesen chauvinistischen Nationalismus vertreten, sondern dass er auch als Patriotismus verklärt wird, dass viele Intellektuelle, auch linke Leute mittlerweile auf diese problematische, antisemitische Heldenverehrung aufsatteln und versuchen, ihre Helden zu finden, anstatt den Nationalismus als eine Gefahr für die gesamte Gesellschaft abzulehnen.
Und da erwarte ich auch – ich meine, wir stehen jetzt hier direkt vor dem Springbrunnen – genau hier, das sind 30 Meter, wurde diese Judenpuppe verbrannt, wenige Tage nach dem Jahrestag der Reichspogromnacht. Einen Monat später wurden dann Schweinsköpfe hier direkt vor uns aufgestellt, da wurde dann wieder das Bild von Merkel verbrannt. Wenig später wieder eine Demonstration hier, es passiert ständig, wurde dann auch ein Bild von Stadtpräsident Dutkiewicz verbrannt, der übrigens eine Kipa trug auf dem Bild. Das heißt, diese Probleme müssen angegangen werden. Und ich glaube, die einzige Lösung ist, wenn man endlich das nicht mehr als Imageproblem betrachtet, sondern dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Wir müssen hier Bildungsarbeit machen. Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel.
Es gibt einige engagierte Leute wie zum Beispiel zwei Lehrer an einem Gymnasium, die zum Beispiel ein Projekt gestartet haben gegen Diskriminierung. Dieses Projekt wurde sehr stark kritisiert von der Stadtverwaltung. Am Ende mussten diese Lehrer auch dieses Gymnasium verlassen. Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel. Wir haben im Sommer letzten Jahres ein trilaterales Projekt in Buchenwald gemacht über die Kontinuitäten der Roma-Diskriminierung. Hier haben wir auch ein großes Problem mit der Roma-Diskriminierung in Wroclaw. Ich habe gemerkt, dass die Jugendlichen aus Polen – das waren Jugendliche aus einem Gymnasium hier in Wroclaw sehr viel Nachholbedarf haben im Vergleich auch mit deutschen Jugendlichen, aber auch mit den rumänischen Jugendlichen aus Bukarest, die daran teilgenommen haben, die sehr viel wussten über die Roma-Diskriminierung. Wir haben ein großes Problem auch mit Homophobie. Die Morze Polska Vertreter sind bei einer Partei von Korwin auch im Parlament vertreten. Sie haben nach dem Anschlag von Orlando mit Bibelzitaten versucht, das zu rechtfertigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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