Anti-EU-Populismus

Auf dem Holzweg

Der slowakische Regierungschef Fico auf dem Weg zum EU-Gipfel in Bratislava.
Gastgeber des Gipfels in Bratislava: Regierungschef Fico, der selbst nicht gerade ein Blatt vor den Mund nimmt © dpa/picture-alliance/Virginia Mayo
Von Annette Riedel · 16.09.2016
Leidenschaft bleibt meist den EU-Gegnern überlassen, beklagt unsere Kommentatorin Annette Riedel. Das sei fatal, wenn es um die EU gehe: Denn die Befürworter der EU würden übertönt von ihren Gegnern - eine zunehmend gefährliche Entwicklung.
Ein bisschen Populismus tut not! EU-freundlicher Populismus. Offen und ehrlich über die wahrhaft großen Probleme in und mit der EU zu sprechen – das war der Sinn des Gipfel-Treffens von Bratislava. Wobei die Frage schon erlaubt ist, ob man denn sonst weder offen noch ehrlich miteinander spricht, wenn die Gipfelnden in Bratislava das so betont haben.
Die Leidenschaft für etwas im 21. Jahrhundert genauso wie im 20. Jahrhundert Unverzichtbares wie die EU – sie fehlt allzu oft. Leidenschaft bleibt meist den EU-Gegnern überlassen. Sie sind lauter, direkter, unverblümter. Populärer eben. Und sie dringen deshalb wirksamer zu den verunsicherten Bürgern durch als jene, die in mühsamen, komplexen Prozessen zu gestalten suchen. Zu wünschen wäre häufiger Lautes, Direktes, Unverblümtes zugunsten der EU. Einer EU, die viele Konstruktionsfehler und strukturelle Schwächen hat – überhaupt kein Zweifel. Aber wer glaubt oder glauben macht, dass mit nationalstaatlichen Alleingängen à la 19. Jahrhundert in der globalen Welt des 21.Jahrhunderts die Dinge besser zu richten sind, der ist schlicht auf dem Holzweg.

Bloß raus aus dem tiefen Jammertal

Aber Leidenschaft kann man nicht verordnen. Solidarität übrigens auch nicht, wie EU-Kommissionspräsident Juncker diese Woche in Straßburg ganz richtig sagte. Verordnet haben sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs einen Prozess: Den Bratislava-Prozess. Der soll aus dem tiefen Jammertal der weit verbreiteten Ernüchterung über das europäische Einigungsprojekt, durch die diversen Krisen und zuletzt den Brexit, hinausführen.
Es ist richtig, dass man sich auf das Vorantreiben mehrerer Einzelprojekte konzentrieren will, in jenen Bereichen, die zurzeit konsensfähig erscheinen: Sicherheit und Terrorismus-Bekämpfung, der digitale Binnenmarkt. Auch mehr Investitionsförderung, wenn das denn nachweislich nachhaltig zu Wachstum und Arbeitsplätzen führt.
Es wird stärker noch als zuvor schon auf eine EU mehrerer verschiedener Geschwindigkeiten, der unterschiedlichen Tiefen der Integration hinauslaufen. Nicht, dass das wünschenswert wäre. Aber es ist realistisch bei 28 Mitgliedern, oder 27.

Ein Europa mit mehreren verschiedenen Kernen?

Ja, vielleicht wäre das eine Art "Kern-Europa" oder ein Europa mehrerer verschiedener Kerne. Wenn es darauf hinausliefe, wenn das am Ende des Bratislava-Prozesses stünde, dann läge die nächste große Herausforderung darin, die Kerne trotzdem in einem gemeinsamen Gehäuse zu halten. Sonst bestünde die EU am Ende nur noch aus einem losen Bund diverser Splittergruppen und –grüppchen.
Eines steht aber felsenfest: Was immer je beschlossen wurde, was immer noch beschlossen wird – es wird nur Bestand haben, wenn verabredete Regeln für alle gelten. Ausnahmslos und immer. Und die Regierungen der EU-Länder – egal welch politischer Couleur - müssen endlich anfangen, sich zuhause an das zu erinnern, was sie selbst in Brüssel beschlossen haben. Und es dann auch vertreten. Gern mit einer ordentlichen Dosis Populismus.
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