Anthony McCarten: "Licht"

"Gebt uns das Dunkel zurück!"

Cover von Anthony McCartens Roman "Licht"
Der amerikanische Erfinder Thomas Edison - Protagonist in McCartens historischen Romans. © AP / Diogenes
01.03.2017
In "Licht" lässt Anthony McCarten zwei äußerst unterschiedliche Männer aufeinandertreffen: Thomas Edison, den Erfinder der Glühbirne, und J. P. Morgan, ein Genie des Geldes. Morgan wird aufgrund Edisons Erfindung zum reichsten Mann der Welt, Edison dagegen zerbricht.
"Licht" – die erste Glühbirne, Elektrizität, die Erleuchtung New Yorks – ein "Tag, den die Welt nie vergessen würde", ein Einschnitt in der Geschichte der Menschheit. Wenn hinter einem solchen Ereignis auch noch zwei Männer mit ihren persönlichen Geschichten stehen, wenn sich Weltläufte und Lebensläufe kreuzen, dann lässt sich so eine Sternstunde der Menschheit aus den Psychogrammen von Personen erklären, die genauso in ihrer Haut stecken, wie du und ich – wobei in diesem Fall der eine, der Banker J. P. Morgan, die Weltläufte mehr beeinflusst als er von ihnen gebeutelt wird, während das bei dem anderen, dem genialen, aber nicht ganz so geschäftstüchtigen Erfinder Thomas Edison, umgekehrt gewesen zu sein scheint. Was für ein Stoff!

McCarten denkt und schreibt in Bildern

Der in München und London lebende neuseeländische Romancier Anthony McCarten hatte einst seinen Durchbruch mit Theatertexten und Drehbuchadaptionen. Auch in seinen erfolgreichen Romanen wie "Superhero", "Ganz normale Helden" oder "Funny Girl" wählt er gern kammerspielartige Ausgangssituationen. Große Gefühle, unvermeidliche Konflikte und gesellschaftliche Zusammenhänge werden in Konstellationen gespiegelt, die man sich gut auch auf der Bühne vorstellen kann.
Dabei beweist sich McCarten eins ums andere Mal als versierter Meister des Spannungsbogens, der Figuren so gegeneinander in Stellung zu bringen vermag, dass die großen Konflikte auch im Kleinen aufbrechen. Der Preis für dieses Vorgehen ist ein weitgehender Verzicht auf das erzählerische Ausloten psychologischer Untiefen. McCarten denkt und schreibt in Bildern. Und darin ist er richtig gut.
Der schwerhörige Workaholic Edison, der machthungrige J. P. Morgan, ihr Widersacher Westinghouse, der sonderbare serbische Erfinder Tesla, die Vanderbilts und Carnegies, sie lle erscheinen plastisch vor unserem inneren Auge, mit ihnen das New York von 1878 (als die Elektrifizierung begann) und 1929 (zwei Jahre vor Edisons Tod). Das sind die Zeitschnitte, die McCarten macht, um sein Historientableau zu strukturieren.
Es beginnt als Kammerspiel: Der Banker geht zum Erfinder, Keimzelle einer Symbiose, aus der ein riesiges Unternehmensgeflecht wuchern wird, eine neue Welt mit "neuen Menschen", denen es nicht um Ideen geht, sondern um Märkte und darum, Konkurrenten zu vernichten. Morgan wird dabei immer reicher, während Edison daran zerbricht, am Ende gar ausruft: "Gebt uns das Dunkel zurück!"

Genie und Geld, Macht und Moral

McCarten unterhält seine Leser mit seiner spannend arrangierten Konstellation und macht doch die Bühne seines Historiendramas in guter alter Tradition auch zur moralischen Anstalt, einschließlich eines eindringlichen Plädoyers gegen die Todesstrafe, schließlich firmiert Edison als Erfinder nicht nur der Glühbirne, sondern auch des Elektrischen Stuhls.
Licht und Schatten also, dazu Genie und Geld, Macht und Moral, Neid und Liebe – es sind altbekannte Antagonisten, die die Geschichte vorantreiben, die der Edison'schen Elektrifizierung ebenso wie die des Raubtierkapitalismus eines J. P. Morgan. Beide prägen unsere Welt bis heute.

Anthony McCarten: Licht
Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié
Diogenes Verlag, Zürich 2017
368 Seiten, 24 Euro

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