Anschlag auf den Tenno

Von Barbara Geschwinde · 24.01.2011
Den Verschwörern galt der Tenno als Symbol für einen von Elend und Unterdrückung gekennzeichneten Staat. Im Jahr 1910 planten 25 Männer und eine Frau ein Attentat auf den japanischen Kaiser. Und einen radikalen Systemumsturz.
"Ich habe gehofft, nicht nur den Kaiser, sondern auch andere Elemente zu zerstören. Aber auch, wenn es mir für ihn persönlich leid tut, ist er als Kaiser hauptsächlich für die ökonomische Ausbeutung der Menschen verantwortlich. Politisch ist er die Wurzel aller Verbrechen, die begangen werden, und intellektuell ist er die fundamentale Ursache für alle abergläubischen Überzeugungen. Eine Person in solch einer Position muss getötet werden."

Kanno Sugako während der Verhöre zur Untersuchung der so genannten Hochverratsaffäre. Aus ihrer radikalen Einstellung machte die engagierte Feministin und Journalistin keinen Hehl. Sie war die einzige Frau in einem Kreis Oppositioneller, der ein Attentat auf den japanischen Kaiser vorbereitet hatte. Der Historiker Jan Schmidt:

"Prinzipiell ist es schon einmal so, dass rechtlich Frauen tatsächlich jegliche politische Beteiligung verboten war, theoretisch sogar die Teilnahme an politischen Veranstaltungen. Kanno Sugako ist sicher eine herausragende Gestalt, eine von wenigen Frauen, die hier politisch aktiv wurden, und eine von den ganz wenigen, muss man sicher sagen, die linksextremen Gedanken nachgehangen ist und die dann eben einen Weg gegangen ist, bis hin zu einem recht konsequenten Anarchismus."

Der Kaiser als Symbol für einen von Elend und Unterdrückung gezeichneten Staat sollte Ziel des Anschlags werden. Er war der Oberbefehlshaber des Militärs und hatte Japan bereits in zwei Kriege gegen China und Russland geführt, bei denen es viele Opfer gegeben hatte. Darüber hinaus planten die Verschwörer, Straßenschlachten zu organisieren, Gefängnisse zu zerstören, Minister zu töten und Regierungseinrichtungen anzugreifen. Nur mit einem radikalen Umsturz des Systems glaubten sie, die schlechten Lebensbedingungen einer im Zuge der Industrialisierung immer größer werdenden Arbeiterschaft verbessern zu können.
Doch im Mai 1910 wurden die Attentatspläne bekannt. 25 Männer und eine Frau wurden festgenommen und vor Gericht gestellt, damit war der Anschlag vereitelt. Es waren junge Radikale und Intellektuelle, die aus dem Bürgertum oder aus der Arbeiterklasse stammten. Die Beweise für die Attentatspläne waren eindeutig. Dennoch hielt sich jahrzehntelang das Gerücht, die Polizei habe den Anarchisten die Verschwörung nur untergeschoben, um ein Exempel zu statuieren und einen Schauprozess zu führen, mit dem Ziel, Gegner des Staates abzuschrecken.

"Da waren ja Bombenpläne unterwegs, man hat Sprengversuche gemacht, man hat sich sehr konkret vorgestellt, wie man die Kutsche des Kaisers in die Zange nimmt, mit vier Personen, die dann Bomben zu werfen haben, und es ist eigentlich relativ ersichtlich, dass auch der häufig als Kopf der Verschwörung titulierte Kotoku Shusui da auch sehr weitgehend Bescheid wusste."

Die Hochverratsaffäre wurde auch Kotoku-Affäre genannt nach ihrem ideologischen Anführer Kotoku Shusui. Er stand in engem Austausch mit westlichen Anarchisten und hatte zahlreiche politische Schriften übersetzt, wie beispielsweise das Kommunistische Manifest. Auch im Ausland, vor allem in Europa und den USA, wurden die Hinrichtungen von Protesten begleitet. Die Verurteilungen waren ein harter Schlag für die radikal sozialistische Bewegung in Japan, in dessen Folge sich das Klima wandelte und die Zensur verschärfte. Der Schriftsteller Takuboku Ishikawa schrieb 1911:

Kopf mein Kopf
denkst du
auch dieses Jahrhundert
lauter Dinge
undurchführbar
in dieser Gesellschaft


Der Prozess, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, begann Anfang Dezember 1910 und dauerte nur wenige Wochen. Am 24. Januar 1911 wurden die Todesurteile gegen die elf verurteilten Männer im Abstand von jeweils 30 Minuten vollstreckt. Die einzige Frau, Kanno Sugako, wurde am Tag darauf hingerichtet. Es war das Ende einer politischen Bewegung. Diejenigen, denen eine Beteiligung an den Attentatsplänen nicht nachgewiesen werden konnte, verstummten oder sie agierten nur noch im Untergrund. Manche gingen ins Ausland.

Die so genannte Winterzeit des japanischen Sozialismus hatte begonnen. Sie dauerte bis in die 20er-Jahre. Um der politischen Bewegung den Nährboden zu entziehen, machten die Politiker jedoch unmittelbar nach der Hochverratsaffäre 1911 auch Zugeständnisse und modernisierten die Sozialgesetzgebung. Eine Hoffnung, die Kanno Sugako in ihrem Gefängnistagebuch zwei Wochen vor ihrem Tod notiert hatte:

"Ich bin davon überzeugt, dass unser Opfer nicht vergeblich war. Es wird Früchte tragen in der Zukunft. Ich glaube fest daran, dass mein Tod einem wertvollen Zweck dienen wird. Darum werde ich bis zum letzten Augenblick auf dem Schafott dazu imstande sein, meine Selbstachtung zu bewahren. Ich werde einen edlen Tod sterben, ohne Angst oder Qual."