Anschläge in Ankara

Angst und Misstrauen nehmen zu

Tote bei Explosionen in Ankara (10.10.2015).
In Ankara sind bei einem Terrroranschlag zahlreiche Menschen getötet worden. © dpa / picture-alliance / Muammer Tan
Von Reinhard Baumgarten · 11.10.2015
In der Türkei dreht sich die Spirale der Gewalt weiter, kommentiert Reinhard Baumgarten. Es herrsche eine Atmosphäre der Angst und des Misstrauens. Selbst wenn der Anschlag in Ankara aufgeklärt würde, sei fraglich, ob die Öffentlichkeit jemals die Hintergründe erfahre.
Unerbittlich dreht sie sich weiter, die Spirale der Gewalt. In dieser Atmosphäre sollen in drei Wochen Wahlen stattfinden. Wie soll das gehen? Die Angst der Menschen nimmt von Tag zu Tag zu. Ganze Städte im Südosten stehen unter Ausnahmezustand. Bisher haben Kampfflugzeuge Bomben auf PKK-Stellungen geworfen und PKK-Guerillas Soldaten und Polizisten getötet.
Nun trifft es mit Wucht Zivilisten. Es sollte eine Demonstration für den Frieden werden. Es wurde der verheerendste Terroranschlag in der Geschichte der modernen Türkei.
Aufbegehren gegen autokratisch auftretende Regierung
Wie konnte es zu dieser unglaublichen Eskalation der Gewalt kommen? Das politische Klima der Türkei hat sich seit Juni 2013 drastisch verschlechtert. Damals ging es um gut 200 Bäume im Gezi-Park. Damals begehrte ein Teil der türkischen Zivilgesellschaft auf gegen eine immer selbstherrlicher und autokratischer auftretende Regierung.
Jeder Widerspruch wurde niedergeknüppelt. Aktivisten wurden mit Prozessen überzogen und als Terroristen bezeichnet. Viele von denen, die damals politisch aufbegehrten, haben vor vier Monaten die linksliberale prokurdische HDP gewählt und dazu beigetragen, der machtverliebten AKP eine bittere Niederlage beizubringen.
Die Spirale der Gewalt hat sich nach dieser Wahlschlappe von Anfang Juni angefangen zu drehen. Sie hat Ende Juli richtig Fahrt aufgenommen, nachdem die PKK und Ankara den zweieinhalb Jahre geltenden Waffenstillstand fahrlässig aufgekündigt haben. Beide Seiten haben nicht nur tödliche Waffen eingesetzt, sondern auch verbal mächtig aufgerüstet. Sie haben ihre jeweilige Klientel auf den ideologischen Feind eingeschworen und die politische Atmosphäre vergiftet.
Aufklärung ungewiss
Nun herrscht Wahlkampf in der Türkei, in dieser hochexplosiven Atmosphäre, in der die Schwelle der Gewalt immer weiter herabgesetzt wird.
Wieder waren linke Aktivisten, wieder war die prokurdische HDP Ziel eines Terroranschlags. Und wieder gelobt die politische Führung des Landes, alles zur Aufklärung dieses grausamen Verbrechens zu tun.
Vielleicht tut sie das wirklich. Vielleicht erfahren die Ermittler, wer dahinter steckt. Ob es dann auch die Öffentlichkeit erfährt, ist noch keineswegs ausgemacht.
Reyhanli, Suruc, Diyarbakir - dort wurden in jüngster Zeit terroristische Anschläge verübt, über deren Hintergründe die Öffentlichkeit nie wirklich aufgeklärt wurde.
Nun wird wild spekuliert. Die PKK war es, sagen Nationalisten. Nationalisten waren es, oder Islamisten, oder beide vereint, oder aber der tiefe Staat - was immer damit gemeint ist. Angst und Misstrauen nehmen in der Türkei seit der AKP-Wahlschlappe von Anfang Juni beängstigend zu. Wer glaubt wirklich, dass es mit der Wahl am 1. November besser wird? Mindestens einer: Recep Tayyip Erdogan, der alles für ein besseres Wahlergebnis seiner AKP tut.
Mehr zum Thema