"Anonymität ist nicht Böses"

Henry Krasemann im Gespräch · 18.04.2013
Der Jurist und Datenschützer Henry Krasemann begrüßt die mögliche Ausweitung der gesetzgeberischen Maßnahmen zu mehr Anonymisierung bei der Internetnutzung. Man könne durch eine Verschärfung der bestehenden Gesetze klar stellen, dass Anonymität durchaus gewollt sei.
Dieter Kassel: Wer schon mal im Internet was bestellt hat und dann feststellte, dass ihm auf der Seite des Händlers ständig ähnliche Produkte empfohlen wurden, der mag das ein bisschen nicht ganz so toll gefunden haben, aber dann doch auch schnell wieder vergessen. Wenn er dann aber regelmäßig solche Produktempfehlungen auch auf anderen Seiten findet, dann wird spätestens klar: Anonym ist im Internet, wenn man sich nicht selbst drum kümmert, erst mal fast gar nichts.

Die Enquête-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft, deren Ergebnisse heute Nachmittag im Plenum des Deutschen Bundestages beraten werden – in einer guten halben Stunde soll es da losgehen –, diese Enquête-Kommission empfiehlt deshalb, durch gesetzgeberische Maßnahmen die Möglichkeit der Anonymität im Internet zu verbessern. Wie es um diese Anonymität überhaupt bestellt ist, und auch darüber, was man selber tun kann, reden wir jetzt mit Henry Krasemann, er ist Jurist und arbeitet beim Unabhängigen Zentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein in Kiel. Schönen guten Tag, Herr Krasemann.

Henry Krasemann: Ja, guten Tag.

Kassel: Nehmen wir doch das allersimpelste, teilweise harmlos klingende Beispiel: Ich lese zu Hause am Computer eine Tageszeitung. Bin ich schon dann nicht mehr so ganz anonym, wie ich glaube?

Krasemann: Zumindest sind Sie wiedererkennbar. Es gibt im Prinzip zwei Techniken, die da besonders vorrangig sind, nämlich einmal, dass Sie mit einer Nummer behaftet sind, wenn Sie im Internet surfen, das ist die sogenannte IP-Adresse, die sich, je nachdem, mit was für einem Provider, also mit wem man ins Internet geht, regelmäßig ändert oder auch nicht. Also, es gibt durchaus Anbieter, wo man diese Nummer nicht nur einen Tag, sondern auch über Tage, Wochen und Monate hat, gerade wenn man zum Beispiel bei Kabel Deutschland Kunde ist.

Das heißt, mit dieser Nummer ist man dann auch eindeutig erkennbar. Man kann dann zwar noch nicht als Anbieter genau sagen, na ja, das ist jetzt Henry Krasemann oder das ist jetzt der und der. Indirekt dann vielleicht doch irgendwann, wenn dann irgendwann derjenige mit dieser Nummer dann mal ein Gewinnspiel mitmacht oder Ähnliches, kann man gegebenenfalls das Ganze dann wieder zurückverfolgen.

Ansonsten müsste er über den Provider gehen, also Telekom oder wer auch immer dann den Internetzugang zur Verfügung stellt. Und da muss dann tatsächlich erst mal dann auch ein Straftatbestand oder Ähnliches dazwischen sein, eine Staatsanwaltschaft oder insbesondere nachher der Richter dann auch sagen, dass das okay wäre, das rauszugeben.

Kassel: Was weiß denn der Provider? Machen wir es mal umgekehrt. Nehmen wir mal, wegen der Schleichwerbung, die anderen Beispiele, 1und1, Vodafon, Alice, die wissen natürlich, wer ich bin. Oder wissen die auch, um bei dem Zeitschriftsbeispiel zu bleiben, wissen die auch, welchen Artikel ich auf Spiegel online gelesen habe?

Krasemann: Sie können es zumindest. Also von den rechtlichen Vorgaben ist es so, dass sie das nicht speichern dürfen, wie ich mich im Internet verhalte und wo ich auf welche Seiten gehe. Aber technisch ist es durchaus möglich, dass dann auch registriert wird, wie ich denn deren Zugang nutze. Aber wie gesagt, das dürfen die auch nicht speichern. Das ist auch mit der Vorratsdatenspeicherung, die ja auch in der Diskussion ist und war, wäre das nicht möglich gewesen, diese Information, welche Seiten ich ansurfe, zu speichern. Aber technisch möglich wäre es.

Kassel: Wenn natürlich jetzt ich auf der Seite einer Wetterinformation plötzlich Werbung für was bekomme, was ich vorher bei Amazon bestellt habe, dann funktioniert das aber doch anders, oder?

Krasemann: Ja genau, das ist dann diese zweite Technik, nämlich das sind die sogenannten Cookies, die kleinen Kekse, also kleine Informationshäppchen, die auf meinem Rechner, meinem eigenen Rechner gespeichert werden – meistens ist es entweder eine Nummer oder es können auch andere Informationen sein bis hin sogar zu meinem Namen und vielleicht sogar einem Passwort, wenn ich da mich irgendwo anmelde – das wird gespeichert von Webseiten, damit sie mich dann wiedererkennen. Das kann ganz sinnvoll sein, wenn man irgendwie einen Warenkorb hat und irgendwas bestellen möchte.

Das ist aber gegebenenfalls auch unerwünscht, wenn ich dann eben auf diese Weise auf ganz anderen Seiten plötzlich, wo aber ein gleicher Anbieter für Werbung genutzt wird, ich dann sozusagen wiedererkannt werde und dann auf diese Weise man auch durchaus verfolgen kann, über welche Webseiten hinweg ich mich dann im Internet bewege. Aber das ist die gleiche Technik, die zum Beispiel in Teilen dann auch solche Anbieter wie Facebook und soziale Netzwerke nutzen, aber auch Google, wenn es denn um zum Beispiel so was geht wie sogenannte "Social Plugins", diese "Gefällt mir"-Buttons und Ähnliches. Die nutzen das ähnlich so.

Kassel: Ab wann ist es eigentlich nicht mehr legal? Sie haben das Beispiel Google genannt, wo ja viel mehr gemacht wird, personalisierte Suchergebnisse und, und, und, und wo natürlich immer die Anbieter sagen, a) ist es für den Verbraucher gut, die Ergebnisse sind besser, und b) ist es für uns gut, wir müssen ja irgendwie Geld verdienen. Gibt es irgendwann eine Grenze, wo schon die jetzige Gesetzeslage sagt, nein, das könnt ihr nicht machen?

Krasemann: Ja. Da nämlich, wo ich sozusagen nicht mehr damit rechnen muss. Also, eigentlich ist die Gesetzeslage sogar gar nicht so schlecht. Sie sagt nämlich eigentlich, dass ich, wenn denn irgendwas gemacht werden soll, was nicht für das normale Nutzen des Internets erforderlich ist, um Erlaubnis gefragt werden muss. Ich darf nämlich eigentlich als Anbieter Daten nur erheben und in diesem Fall speichern für länger, um dann den Dienst zu erbringen, also die Webseite auszuliefern oder um abzurechnen. Und mehr Alternativen, außer vielleicht noch so ein bisschen reininterpretiert mal so Sicherheitsfragen, gibt es nicht nach der Gesetzeslage, nach dem Telemediengesetz. Und wenn ich darüber hinaus will, müsste ich eigentlich die Einwilligung einholen. Das machen aber kaum welche.

Kassel: Nun ist ja nicht nur das Telemediengesetz zuständig, in gewissen Fällen auch andere. Darf denn der Staat unter gewissen Umständen gucken, was ich im Internet mache, in Deutschland?

Krasemann: Ja. In einem gewissen Rahmen natürlich schon, auch da ist wenig dann von einem rechtsfreien Raum zu reden. Der Staat kann in viele Sachen natürlich dann reingucken. Zum Glück allerdings auch nur unter engen Schranken. Nun kann man zwar manchmal darüber diskutieren, wie eng sind die, aber in vielen dieser Fälle, insbesondere, wenn es darum geht, herauszubekommen, was ich inhaltlich so mit dem Netz mache, da muss tatsächlich ein Richter dann eine entsprechende Anordnung erlassen. Das darf also auch nicht die Polizei einfach so oder die Staatsanwaltschaft, sondern da muss dann mit einem Richtervorbehalt das Ganze dann auch abgedeckt werden. Dann kann der Staat doch eine ganze Menge. Ohne das kann er zwar auch ein paar Sachen herausbekommen, allerdings mehr so: Wer nutzt das Internet, weniger das Wie.

Kassel: Man kann Cookies einfach abschalten, man kann gewisse Einstellungen aktivieren – nur für einmal, nur für einen Tag. Man kann das noch radikaler machen, man kann durch bestimmte Software wirklich anonym durchs Internet surfen. Auch gerade Ihre Landeszentrale hat da Angebote entwickelt und gemacht den Verbrauchern. Aber ist das eigentlich legal, wenn ich mich beim Surfen mit einer guten Software hundertprozentig verstecke?

Krasemann: Ja. Also bei uns zumindest in Deutschland sehen wir das durchaus als eine Art Recht, das man hat. Und das findet sich auch durchaus im Gesetz wieder, nämlich im Paragraf 13 Absatz 6 Telemediengesetz. Da steht sinngemäß drin, dass eigentlich der Dienstanbieter, also derjenige, der einen Dienst anbietet, eine Webseite anbietet oder Ähnliches, dazu verpflichtet ist, dass, wenn es denn einigermaßen zumutbar ist und technisch möglich ist – und das sollte es in der Regel sein –, es eigentlich so machen muss, dass ich das Ganze anonym oder unter Pseudonym nutze.

Das machen aber die Wenigsten oder zumindest sehr wenige nur, dass sie das beachten. Und so ersehen wir auch aus dieser gesetzlichen Grundlage, dass da durchaus auch ein Recht zur Selbsthilfe für den entsprechenden Internetnutzer erwächst. Wenn schon der Anbieter seine rechtlichen Pflichten nicht erfüllt, dann darf ich mich zumindest entsprechend anonym dann auch so, wie es der Gesetzgeber eigentlich wollte, dass ich da eben unerkannt surfen kann, unerkannt shoppen kann, unerkannt erst mal Seiten mir angucken kann, dass ich das dann eben selber mache, mit Anonymisierungsdiensten, mit eben, dass ich dann regelmäßig meine Cookies lösche und, und, und.

Kassel: Wir reden gerade hier im Deutschlandradio Kultur mit Henry Krasemann vom Unabhängigen Zentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein über die Frage der Anonymisierung im Internet. Anlass dafür ist die Empfehlung der Enquête-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft, auch mit gesetzgeberischen Maßnahmen, so heißt es ja dann, diese Möglichkeiten zur Anonymisierung zu erweitern. Ist denn das aus Ihrer Sicht dann wirklich nötig? Denn das klingt für mich so, als seien die Gesetze im Prinzip in Ordnung. Die Frage ist eher, wie man sie anwendet.

Krasemann: Ja, also – ich sagte ja schon, es gibt zwar eine Regelung, die das entsprechend den Anbietern vorschreibt, das ist aber, sagte ich auch schon, ja etwas, was eher so, weil es eben auch wenig genutzt wird und auch wenig bisher an wirklich Repressalien sich auch in den Gesetzen findet, wenn man es denn nicht einhält, was relativ zahnlos ist. Da kann man dann zwar immer mal drauf pochen, aber man kann auch selbst als Aufsichtsbehörde in diesem Bereich relativ wenig wirklich machen. Das heißt, da durchaus noch einmal eine Verschärfung und vielleicht auch eine Klarstellung dahingehend zu bekommen, dass das wirklich gewollt ist, dass Anonymität nichts Böses ist, dass es nicht etwas ist, was eben mir vorgeworfen wird nach dem Motto, na, dann hast du wohl irgendwas zu verbergen, sondern ich eben nicht mich rechtfertigen muss dafür, sondern dass es als etwas angesehen wird, was zur Freiheit einfach gehört, zu einem eben wirklich normalen Menschen, dass der eben nicht erkannt werden muss bei allem, das, finde ich, ist schon etwas, was man auch noch mal etwas klarer dann in die Gesetze reinschreiben kann.

Kassel: Ob Anonymität immer nichts Böses ist, ist aber doch die Frage. Viele Menschen denken ja an Internetforen, an die virtuellen Leserbriefseiten von Tageszeitungen zum Beispiel auch, wo natürlich viel gepöbelt und manchmal auch beleidigt wird. Und auch da gibt es ja die Diskussion, soll man das dürfen unter Pseudonym oder namenlos oder nicht. Ist da für Sie die Grenze des Rechts auf Anonymität erreicht?

Krasemann: Ja, aber Gott sei Dank gibt es ja nicht nur ein Hopp oder Topp. Sondern man kann durchaus auch Mittelwege finden, und die sind auch durchaus möglich. Das heißt nämlich, dass ich zwar zum Beispiel, um meiner Meinungsfreiheit dann eben auch Ausdruck zu verleihen, solche Foren so nutzen kann, dass die Nutzer nicht wissen, wer ich bin, und eben, dass ich nicht Angst haben muss, wenn ich da reinschreibe, dann am nächsten Tag mein Chef kommt und sagt, was hast du denn da für eine seltsame Meinung vertreten.

Aber dass, wenn ich da wirklich Sachen mache, die eben rechtswidrig sind, also anfange, vielleicht dort rechtsradikales Gedankengut zu verbreiten oder bis hin zu Kinderpornografie und Ähnlichem, dass ich dann ein Aufdeckungsrisiko habe, das heißt, dass es eine Instanz gibt, vielleicht sogar der Anbieter selber oder eine neutrale Instanz, die diese Pseudonym wieder auflösen kann, aber auch nur, zum Beispiel auch in solchen Fällen wieder, wenn zum Beispiel, wenn wirklich Straftatbestand da ist und vielleicht zum Beispiel ein Richter diese Aufdeckung dann entsprechend verlangt. Das heißt, ich kann normal, wenn ich mich normal auch verhalte, das Internet frei nutzen und unerkannt dort meine Meinung äußern, im Extremfall aber, wenn ich mich eben widrig zu den Gesetzen verhalte, gegebenenfalls dann eben wieder entdeckt werden.

Kassel: Henry Krasemann vom Unabhängigen Zentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein über die Anonymität im Internet, wie sie jetzt ist und wie man sie vielleicht noch ein bisschen verbessern könnte. Herr Krasemann, ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen einen anonymen Nachmittag.

Krasemann: Danke, vielen Dank! Ihnen auch.


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