Animationsfilm "Belladonna of Sadness"

Psychedelisch, erotisch, feministisch

Porträt des japanischen Regisseurs Nagisa Oshima, aufgenommen in Cannes 1982
Porträt des japanischen Regisseurs Nagisa Oshima, aufgenommen in Cannes 1982 © imago
Von Anke Leweke · 27.08.2016
Der japanische Animationsklassiker "Belladonna of Sadness" von 1973 kommt restauriert und unzensiert ins Kino. Dieser besondere Zeichentrickfilm des Regisseurs Nagisa Oshima ist als feministische Kampfansage zu verstehen, geizt dabei nicht mit Sexszenen.
Schon der Titel ist doppeldeutig. Belladonna heißt übersetzt: schöne Frau. Belladonna ist aber auch eine giftige Pflanzenart. Schönheit und Gift. Tödliches Begehren. Die Angst vor der Frau, sie schwingt schon im Titel mit.
Zu Beginn von "Belladonna of Sadness" ist man erstaunt und irritiert angesichts des überwältigenden Genre- und Musikmixes. Man glaubt sich auf einer animierten Achterbahn, auf einem Streifzug durch die moderne Kunstgeschichte, die sich vor der klassischen verbeugt.

Psychedelische Höllenfahrt quer durch Kulturgeschichte

Irgendwie poppig und Hippiehaft wirken die ersten Einstellungen, bunte Wiesen und Blumen, ein Flower-Power-Paar: Jean und Jeanne. Und auch der Soundtrack erinnert an den "Summer of Love".
Als der Bräutigam dem Fürsten das gemäß einer alten Sitte zu entrichtende Brautgeld nicht zahlen kann, behält der grausame Herrscher Jeanne bei sich. Es beginnt eine psychedelische Höllenfahrt voller Grimassen quer durch die europäische Kulturgeschichte. Verzerrte Masken der "Comedia 'dell Arte", feist grinsende Hofnarren, expressionistische Schattenspiele. Unter höhnischem Gelächter dieses Horrorkabinetts muss der Bräutigam die Festung verlassen.
Jetzt trifft Roy Lichtenstein auf den wilden Stil japanischer Manga und auf die Zeichnungen von Gustav Klimt. Blut spritzt und verwandelt sich in geometrische Muster. Verletzlich und zart wirken plötzlich die Linien und Formen des gezeichneten Frauenkörpers mit seinen wallenden Haaren.

Sex und Erotik - keine Tabus im japanischen Kino

Explizit erotische und sexuelle Darstellungen haben Tradition in der japanischen Kulturgeschichte. Über Jahrhunderte wurden Liebesspiele auf traditionellen Stichen in allen erdenklichen Positionen festgehalten. Mal in naturalistischer Manier, mal in phantastischer.
Sex und Erotik sind keine Tabuthemen im japanischen Kino. "Pinku Eiga" heißt zum Beispiel das japanische Filmgenre, das seit den 1960er-Jahren über 5000 softpornografische Werke hervorgebracht hat. Doch bestehen diese Filme anders als ihre Pendants im Westen nicht nur aus einer Aneinanderreihung von Höhepunkten. Die Sexualität wird selbst zum Thema, ist mehr als bloßer Schauwert.
Auch der Animationsfilm "Belladonna of Sadness" ist eine eigenwillige Studie des weiblichen Begehrens. Als gebrochene Frau kehrt Jeanne zu ihrem Bräutigam zurück. In der Nacht erscheint ihr der Teufel in phallischer Form, ihre Angst verwandelt er in Lust.

Sexualität als Befreiungsschlag gegen männliche Dominanz

Anders als die traditionell passive, sich hingebende Frau, wird die Heldin hier zur Handelnden. "Belladonna of Sadness" entstand 1973. Drei Jahre später drehte Nagisa Oshima mit "Im Reich der Sinne" den ersten ernsthaften Porno der Kinogeschichte.
Oshima hat seinen Diskurs über Sexualität und Macht stets als Befreiungsschlag gegen männliche Dominanz und traditionelle Geschlechterverhältnisse verstanden. Es ist der Mann, den er hier zum reinen Objekt und zur Befriedigungsmaschine macht. Doch dieser Gegenentwurf wird letztlich nicht geduldet und so wartet auf seine Heldin der Wahnsinn.
Der Wahnsinn schreibt sich auch in "Belladonna of Sadness" ein. Als Projektion der Männerwelt. Ihre diabolische Kräfte nutzt Jeanne für sogenannte gute Taten.
Als nach einem langjährigen Krieg der "schwarze Tod" in ihr Dorf einzieht, weiß sie mit Kräutern und Zaubertränen das Leiden der Bevölkerung zu lindern. Doch diese Gabe wird ihr zum Verhängnis, Jeanne wird als schwarze Magierin zum Tode verurteilt.
Und eben deshalb muss man auch an die andere Jeanne denken. An "Johanna von Orleans", die sich dazu berufen fühlte, in den Krieg zu ziehen. Auf beide Frauen, die sich in männlichen Domänen wagen, deren Verhalten sich den tradierten Geschlechterzuschreibungen entzieht, wartet der Scheiterhaufen. Stets wird die brennende Frau zum traurigen Sinnbild einer Urangst vor dem weiblichen Geschlecht. Und diese Angst sitzt tief; so tief, dass sie verdrängt und nur als Aggression gelebt werden kann.
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